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5.

Friedrich Heiler und die St.-Johannes-Bruderschaft

Dies ist die Besprechung eines Buches, das die Johannes-Bruderschaft ins Netz gestellt hat. Das Buch ist 2010 erschienen, und sein vollständiger Titel lautet:

Das kirchliche Amt

in der Nachfolge der Apostel

- Grundsatzerklärung

der Hochkirchlichen

St.-Johannes-Bruderschaft -

im Namen des Apostolischen Vorstehers +Paulus

und seiner Brüder im Amt

und des Kapitels

der Hochkirchlichen St.-Johannes-Bruderschaft

an die Glieder der Bruderschaft

und die EINE HEILIGE KIRCHE Gottes auf Erden.

 

Es handelt sich also um ein bischöfliches Schreiben, mitverantwortet von den anderen leitenden Brüdern, an alle Mitglieder der Bruderschaft und alle Christen auf Erden. Es mangelt also den Verfassern nicht an Selbstbewußtsein, wenn sie sich an die ganze heilige Kirche auf Erden wenden.

Es ist jedenfalls ein mutiges Schreiben, denn sie treten mit ihrer bischöflich geleiteten Bruderschaft an die Öffentlichkeit und haben offenbar keine Angst vor landeskirchlicher Verfolgung. Sie vermeiden zwar, wenn es um Ihre eigene Bruderschaft geht, den herausfordernden Titel „Bischof“; aber wenn sie von ihrem „Apostolischen Vorsteher“ sprechen, ist doch ganz klar, was gemeint ist. Und wenn der Apostolische Vorsteher Paulus in der hier besprochenen Schrift wiederholt ein Kreuzchen vor seinen Namen setzt, ist es ebenfalls klar: Die meinen es ernst mit ihrem Bischofsamt.

Die Landeskirchen sind offenbar bereit, bischöflich geleitete Sondergruppen bzw Bruderschaften zu tolerieren, so lange der Status der führenden Männer nicht mit dem Reizwort »Bischof« beschrieben wird.

In diesem Zusammenhang ist auch das Geleitwort interessant und erstaunlich - man könnte dieses Geleitwort auch als das wichtigste Stück dieses Büchleins sehen. Das Geleitwort stammt von Jürgen Johannesdotter, dem früheren Landesbischof von Schaumburg-Lippe und jetzigen Beauftragten der EKD für die Geistlichen Gemeinschaften und Evangelischen Kommunitäten. Dieses Vorwort ist also so etwas wie ein „Imprimatur“, bzw eine mehr oder weniger offizielle Anerkennung durch die evangelischen Kirchenleitungen. Dazu kann man der St.Joannesbruderschaft gratulieren!

 

Vorwort und Einleitung

In einem kurzen Vorwort der Herausgeber wird uns mitgeteilt, daß dieses Buch das Ergebnis eines jahrelangen Meinungsbildungs- und Lernprozesses innerhalb der Johannes-Bruderschaft ist und daß dabei auch die ökumenischen Konsenspapiere berücksichtigt worden sind und daß dann alles von einer Theologischen Kommission zu Papier gebracht worden ist. Im Namen dieser Kommission haben Konrad Schrieder und Udo Beucker unterschrieben. Wir haben es hier also mit einer langsam gereiften, wohldurchdachten Schrift zu tun, die man fast schon als „Bekenntnisschrift“ der Johannesbruderschaft bezeichnen könnte.

In der später folgenden kurzen Einleitung verfestigt sich dieser Eindruck. Es heißt dort:

Die Hochkirchliche St.-Johannes-Bruderschaft und alle ihre Glieder bezeugen den Inhalt dieses Rundschreibens in Übereinstimmung mit den Zeugnissen der ganzen Kirche und ihrer eigenen Geschichte.
(Seite 15)

Wie glücklich muß eine kirchliche Gruppe sein, wenn sie in der heutigen Zeit, die von einer Vielzahl verschiedener und sich häufig widersprechender Theologien beherrscht wird, mit allen ihren Gliedern eine einhellige Meinung über die Kirche, das Amt und das Abendmahl hat! Andererseits: Wie unglücklich ist eine solche Gemeinschaft, die über Kirche, Amt und Abendmahl unter historisch-kritischen Voraussetzungen einig ist. Denn die historisch-kritische Theologie ist leider ein wichtiger Bestandteil der Geschichte der St.-Johannes-Bruderschaft.

 

Friedrich Heiler als „Ausgangspunkt“

Zwischen dem Vorwort und der Einleitung gibt es ein Kapitel mit der Überschrift: „Ausgangspunkt: Friedrich Heiler“.

Hier ist nicht nur die Stellung zwischen Vorwort und Einleitung erstaunlich. Auch inhaltlich kann man sich wundern. Müßte nicht der Ausgangspunkt einer Grundsatzerklärung über das kirchliche Amt die Bibel sein, oder notfalls auch die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche? Müßte man nicht, wenn man für die historisch-kritische Theologie aufgeschlossen ist, ein Werk wie das von H. von Campenhausen „Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten“ zum Ausgangspunkt wählen? Nun, die Johannes-Bruderschaft ist hier anderer Meinung. Sie nimmt Friedrich Heiler, den Begründer der Bruderschaft zum Ausgangspunkt. Damit billigt sie ihm eine sehr große, eigenständige Autorität zu.

Wer war Friedrich Heiler? Friedrich Heiler war offenbar eine Persönlichkeit mit einer großen Ausstrahlungskraft; ein hochbegabter Wissenschaftler, ungewöhnlich fleißiger Schriftsteller, ein wortgewaltiger Redner und vor allem ein hinreißender Zelebrant[1]; aber auch ein guter Menschenkenner und Organisator, der es verstand zur rechten Zeit neue Gruppierungen zu begründen, in denen er die geistige Führerschaft übernehmen konnte. In diesem Zusammenhang ist vor allem die „Evangelisch-Katholische Eucharistische Gemeinschaft“ von Bedeutung, die er 1929 offenbar deshalb begründet hat, weil er einen Resonanzboden für das von ihm erstrebte bischöfliche Amt brauchte. Wir kennen diese „Evangelisch-Katholische Eucharistische Gemeinschaft“ heute unter dem Namen „Hochkirchliche St.-Johannes-Bruderschaft“. Und auch das ist bemerkenswert, daß diese von ihm begründete Bruderschaft heute, nach über 80 Jahren, immer noch existiert. 1963 ist Friedrich Heiler übrigens mit dem Großkreuz des Bundesverdienstkreuzes ausgezeichnet worden.

Vielleicht ist sein größtes Verdienst, daß er einen Weg gefunden und ein Vorbild geschaffen hat, wie in der evangelischen Kirche gegen die herrschende Theologie und gegen größte Widerstände das Bischofsamt in apostolischer Sukzession und Vollmacht zurückgewonnen werden kann. Er ist in diesem Punkt zweifellos ein Vorbild für Helmut Echternach wie auch für manche anderen geworden.

Es muß aber leider auch kritisches zu Heiler gesagt werden. Er war kein gläubiger Christ - jedenfalls kein rechtgläubiger. Wenn aber jemand einwenden sollte, ein solches Urteil stehe niemandem zu. Erst Gott werde ein gerechtes Urteil fällen, und bis dahin bleibe uns nur ein demütiges Abwarten, so verweise ich auf das folgende Pauluswort:

Etlicher Menschen Sünden sind offenbar und gehen ihnen ins Gericht voran, bei etlichen aber werden sie hernach offenbar. Desgleichen sind auch etlicher Menschen gute Werke zuvor offenbar, und die andern bleiben auch nicht verborgen.
(1.Tim 5,24+25)

Mit anderen Worten: Bei manchen Christen ist es schon in diesem Leben klar, daß sie Heilige oder womöglich sehr unheilige Menschen sind. Bei anderen zeigt sich das eine oder andere erst am Jüngsten Tag. Bei Heiler liegen die Dinge offenbar klar auf der Hand.

Heiler war ein multireligiös eingestellter Mensch. Er arbeitete nicht nur auf die Einheit der christlichen Kirche hin, sondern auch auf die Einheit der Religionen. Und so, wie er im christlichen Bereich die calvinistische Abendmahlslehre vollgültig neben der lutherischen hat stehen lassen[2], so standen für ihn auch die verschiedenen Religionen vollgültig nebeneinander. Sein Schwiegersohn schreibt über seinen Tod:

Das letzte Wort, das er vernehmlich zu sagen vermochte, war kein christliches. Es entstammte der Tradition des Mahayána-Buddhismus und lautete: „Herz des großen Erbarmens“.
(Hartog 236)

Und auf seiner Grabplatte standen die Worte:

Ein Erforscher der Religionen und ihrer Geheimnisse / ein Lehrer der Theologie und Priester der Kirche Christi / Ein Künder der Einheit der Christenheit und Menschheit. Ut omnes unum.
(Chronik 151)

In Heilers Bibliographie kommen u. a. folgende Aufsatztitel vor[3]:

„Von der Einheit der Religionen. Die Zusammenarbeit der Christenheit mit den außerchristlichen Religionsgemeinschaften als religiöse Aufgabe“

„Einheit und Zusammenarbeit der Religionen“

„Gott ist der Gott der ganzen Menschheit“ Ansprache zum Weltreligionstag am 15.1.1961 in Hamburg.

„Una Sancta Religionum“

„Die religiöse Einheit der Menschheit.

„Ein Weltbund der Religionen“

Wenn alle Religionen im Recht sind, dann ist - ich sage das einmal mit meinen eigenen Worten - die Transzendenz wie das reine klare Grundwasser, das man an verschiedenen Stellen aus verschiedenen Brunnen schöpfen kann. Die Brunnen, das heißt: die Religionen sind verschieden; das Wasser aber, die göttliche Transzendenz ist gleich. Das heißt: auch die christliche Religion bietet uns die Wahrheit, und ich kann auch die christliche Messe nutzen, um an das göttliche Grundwasser heranzukommen.

Heiler soll die Messe mit außerordentlicher Sammlung und Hingabe, ja mit großer „Frömmigkeit“ gefeiert haben, wie man mir erzählt hat; und er hat damit offenbar einen großen Eindruck auf seine Anhänger und Anhängerinnen gemacht.

Es scheint nur einmal ein größeres Problem gegeben zu haben, als er seinen Glauben an das Abendmahl in einem Vortrag allzusehr auf historisch-kritische Weise dargelegt hat. Mit den folgenden Worten hat er seine Zuhörer tief verunsichert[4]:

Wir kennen überhaupt nicht den genauen Wortlaut der Einsetzungsworte; nicht nur die neutestamentlichen Schriften geben sie in verschiedenen Varianten wieder, vielmehr treten zu diesen Verschiedenheiten noch weitere hinzu in den zahlreichen altchristlichen Liturgien ...

Trotz solcher Unsicherheiten weiß Heiler aber ganz sicher, was die Urgemeinde damals geglaubt hat:

Der urgemeindliche Glaube an die Realpräsenz war zweifellos verschieden von dem späteren dinglichen.

Mit anderen Worten: Der massive Glaube an die leibliche Anwesenheit Christi im Sakrament ist nicht ursprünglich, sondern das Ergebnis einer späteren Entwicklung. Ursprünglich - sagt Heiler - war das letzte Mahl Jesu eine „spontane und schlichte Gleichnishandlung des Brotbrechens und Kelchtrinkens“, mit der er auf seinen bevorstehenden Opfertod hinweisen wollte. Daß Jesus seine Jünger nach Joh 6 schon frühzeitig auf das bevorstehende Abendmahl vorbereitet hat, hat Heiler wohl übersehen, bzw er wird dieses Kapitel vermutlich mit Bultmann für eine spätere kirchliche Zutat angesehen haben.

Wie aus der von ihm vermuteten schlichten Gleichnishandlung später eine rituell-liturgische Handlung wurde, beschreibt Heiler mit folgenden Worten:

Die Jünger hatten bald nach dem Tod Jesu wieder zusammengefunden. Als sie miteinander das Mahl hielten, war es ihnen oft, als wäre der Herr wieder unter ihnen. Und immer erneut wurden sie dessen sogar gewiß. Sie erinnerten sich seiner Worte (...) und fühlten sich in der Hoffnung bestärkt, seine Wiederkunft in Herrlichkeit stünde unmittelbar bevor. So hatte das Mahl des Gedächtnisses anfänglich einen vorwiegend eschatologischen Charakter ... Das wurde ... anders,  als die Christen auf hellenistischem Boden sich der sakramentalen Mahlzeiten der Mysterienkulte gegenübersahen ...

Und so weiter, und so weiter. Ich breche hier ab. Die Chronik der Hochkirchlichen Vereinigung berichtet:

Der Vortrag von Prof. Heiler ... führte zu schwerwiegenden Zerwürfnissen in den Reihen der teilnehmenden Mitglieder.
(Chronik 111)

Aus alledem ergibt sich: Heiler war eine Persönlichkeit  mit Ausstrahlung, aber auch ein extrem liberaler Theologe. Die von ihm begründete Johannes-Bruderschaft setzt seine Ausführungen über das kirchliche Amt als Ausgangspunkt an den Anfang, wo man in einem anderen Werk vielleicht eine biblische Grundlegung oder einen Hinweis auf die lutherischen Bekenntnisschriften vermuten würde. Damit unterwirft sich die St.-Johannes-Bruderschaft einer extrem liberalen Theologie oder toleriert sie zumindest mit Wohlwollen.

Was schreibt nun Heiler zum Amt? Merkwürdigerweise wird Heiler hier fast nur mit Aussagen zitiert, die die apostolische Sukzession herunterspielen oder sogar eine Warnung aussprechen. So heißt es beispielsweise:

Nicht nur die Geringschätzung, sondern auch die Überschätzung irgendeiner katholischen Wahrheit muß als „Protestantismus“ gekennzeichnet werden.
(GE 12)

Die apostolische Sukzession wird in der Tat im Protestantismus weitgehend gering geschätzt oder sogar verachtet. Aber wo gibt es die Gefahr der Überschätzung, und ist es in dieser Zeit nötig, davor zu warnen?

An anderer Stelle heißt es:

Wer ... die göttliche Gnade an eine bestimmte rechtliche Form der Sukzession bindet und dem Geist widersteht, welcher „weht, wo er will“; der verkehrt die apostolische Sukzession in das genaue Gegenteil.
(G 11)

Mir ist diese Warnung unverständlich. Was wäre das „genaue Gegenteil“ der apostolischen Sukzession? Gibt es das überhaupt? Und welche rechtlichen Formen sind gemeint, an die die Gnade nicht gebunden werden darf? Will Heiler damit sagen, zur gültigen Weitergabe der apostolischen Sukzession sei es nicht unbeingt nötig, daß die Weihen nach dem Pontifikale Romanum und unter Berücksichtigung des katholischen Kirchenrechts vollzogen werden? Damit hätte er zwar recht, aber angesichts der Gefahr protestantischer Beliebigkeit wäre eine solche Feststellung wenig sinnvoll und hilfreich.

An anderer Stelle  wird Heiler mit folgenden Worten zitiert:

Ohne die innere Katholizität, ohne das urchristliche Glauben, Beten und Opfern ist die „apostolische Sukzession“ eine leere Hülle, ja, eine täuschende Maske.
(GE 12)

Das sind starke Worte, aber was bedeuten sie? Täuscht derjenige ein bischöfliches Amt bloß vor, der nicht urchristlich glaubt, betet und opfert? Bleibt der von ihm Gefirmte in Wirklichkeit ungefirmt, weil der hochkirchliche Bischof keine innere Katholizität besitzt? Aber ist nicht normalerweise ein Sakrament auch dann gültig, wenn der Spender unwürdig ist? Wovor soll hier also gewarnt werden? An anderer Stelle heißt es[5]:

Wer, im Besitz der vollen apostolischen Sukzession befindlich, mit einem verächtlichen Seitenblick auf andere sich seiner „gültigen“ Weihen rühmen wollte, der „rühmte sich am Fleische“, der ... verfiele dem Fluch des Apostels über jene, welche unsere Freiheit in Christo belauern (Gal 2,4).

Auch dies ist wieder eine scharfe Warnung. Diesmal ist sie im wesentlichen verständlich, nur daß es im Galaterbrief keinen Fluch über diejenigen gibt, die die Freiheit des Apostels belauern. Warum aber wird das Wort „gültig“ in Anführungsstriche gesetzt? Ist das nur ein falscher Zungenschlag, oder verbirgt sich etwas anderes dahinter? Wir werden sehen: es geht in der St.-Johannes-Bruderschaft tatsächlich nicht um die Gültigkeit des Amtes und des Altarsakramentes, sondern um die Kirche, nämlich um die EINE HEILIGE KIRCHE.

Das größte Lob, das sich in diesem Kapitel zur Apostolischen Sukzession findet, lautet:

„Die apostolische Sukzession ist ein wundervolles Sinnbild für den ununterbrochenen Lebenszusammenhang der Kirche von heute mit der Kirche vergangener Zeiten bis hinauf zur Kirche der Apostel, ein Unterpfand für die Mitteilung des Heiligen Geistes ...
(GE 11)

Aber auch dieser Satz endet mit einer Warnung vor geistlichem Hochmut.

Es fehlt in diesem ganzen Kapitel das hohe, ungetrübte Lob der Apostolischen Sukzession und der Ausdruck tiefer Freude über das Geschenk dieser großen Gnade. Warum? Wird hier die apostolische Sukzession bewußt heruntergespielt? Ist das eine Taktik, um nicht einen Neid der großen Menge der ungeweihten Pastoren und den Zorn der Kirchenleitungen aufkommen zu lassen? Oder ist die Apostolische Sukzession in den Augen der St.-Johannes-Bruderschaft, letzten Endes doch nicht so wichtig? Die Antwort auf diese Frage verschiebe ich auf später.

 

Die eigentliche Grundsatzerklärung (GE)

Die eigentliche Grundsatzerklärung besteht aus sieben Kapiteln, in denen es vor allem um die Kirche geht und natürlich auch um das kirchliche Amt. Vieles kann man mit Zustimmung lesen, manchmal muß man sich aber auch wundern. Erfreulich sind die klaren Aussagen, daß das kirchliche Amt nicht vom allgemeinen Priestertum abgeleitet werden darf, sondern auf einer Stiftung Jesu beruht. Zwar hat Jesus das „Dienstamt“ nur im Grundsatz gestiftet; das  tatsächliche dreifache Amt der Bischöfe, Priester und Diakone ist dagegen das Ergebnis einer späteren Entwicklung, aber immerhin: Das Amt geht auch nach Auffassung der Johannes-Bruderschaft nicht von der Gemeinde aus, sondern von Jesus.

Erfreulich ist auch die immer wiederkehrende Aussage, daß das kirchliche Amt ein „Dienstamt“ ist, nicht ein Amt der Machtausübung!

*

Erstaunlich ist der folgende Satz:

Die Hochkirchliche St.-Johannesbruderschaft versteht sich als der deutschsprachige Teil der weltweiten hochkirchlichen Bewegung ...
(GE 19 / Hervorhebung durch K.B.)

Wird hier ein hochkirchlicher Alleinvertretungsanspruch der Johannes-Bruderschaft angemeldet - das Gefühl hat man ja auch sonst schon manchmal - oder handelt es sich nur um eine unüberlegte Formulierung? 

*

Mit einer gewissen Skepsis muß auch der folgende Satz über die Kirche gelesen werden:

Sie muß sich selbst und ihre Quellen immer wieder neu interpretieren ...
(GE 22)

Es ist ja wahr, daß die Kirche, vor immer wieder neue Probleme gestellt, auf immer wieder neue Weise die Bibel liest und daß sich auch im Lauf der Zeit manche kirchlichen Strukturen ändern müssen. Aber im Grundsatz ist die Kirche und ihre Botschaft doch unveränderlich. Und im Grundsatz verändert sich auch das Bibelverständnis nicht. Deshalb schreibt Paulus an die Korinther:

Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unbeweglich ...
(1.Kor 15,58)

Es gehört also beides zusammen: die stetige Anpassung an die neue Zeit mit ihren neuen Problemen und die absolute Unveränderlichkeit im Grundsatz. Wer aber nur die eine Seite betont, ist im Unrecht und schadet der Kirche.

*

Die Grundsatzerklärung betont mehrfach, daß das kirchliche Amt ein öffentliches Amt sei, deshalb müsse auch die Ordination öffentlich vollzogen werden (GE 35+38). Das ist sicherlich richtig unter volkskirchlichen Verhältnissen, aber unpraktikabel in Verfolgungszeiten. Leider können auch die hochkirchlichen Priester- und Bischofsweihen eine landeskirchliche Verfolgung auslösen. Darum ist es wohl besser, auch diese Weihen lieber nichtöffentlich zu vollziehen. Übrigens sind auch die Apostel nichtöffentlich in ihr Amt berufen worden (Mk 3,13). Und wahrscheinlich ist doch auch Heiler nicht in einem wirklich öffentlichen Gottesdienst zum Bischof geweiht worden. Echternach ist es jedenfalls nicht.

*

Mit scharfen Worten wendet sich die Grundsatzerklärung gegen Bischöfe, denen jegliches gemeindliche Gegenüber fehlt, so daß bei ihnen

keine „Repräsentation“ stattfindet und darum die Gnade nicht wirksam weitergegeben werden kann.
(GE 42)

Es geht hier vermutlich um die sogenannten „Vagantenbischöfe“, die keine Gemeinde hinter sich haben und völlig isoliert und allein dastehen. Solche Vagantenbischöfe sind in der Tat absolut abzulehnen, aber daß ihnen die Gnade nicht wirksam vermittelt werden kann, ist auch wieder nicht richtig, denn einmal ist „bei Gott kein Ding unmöglich“, und zum anderen kann nach katholischem Kirchenrecht jeder gültig geweihte Bischof gültig weihen - unabhängig vom kirchlichen Umfeld. Übrigens hat der heilige Athanasius einzelne Anachoreten zu Bischöfen geweiht, damit sie, mit bischöflichem Charisma ausgerüstet, als bischöfliche Einzelkämpfer besser gegen die Dämonen in der Wüste kämpfen konnten[6]. Man sollte also nicht, bloß um die Vagantenbischöfe zu treffen, theologisch unhaltbare Aussagen machen.

*

So ziemlich gegen Ende der Grundsatzerklärung steht ein Satz, der auf alles, was man bis dahin in dieser Erklärung lesen konnte, ein neues Licht wirft:

Alle Glieder der Bruderschaft wissen, daß der Gebrauch von Segnung, Beauftragung, Handauflegung und Epiklese durch den Apostolischen Vorsteher ausschließlich innerhalb der Bruderschaft erfolgt und in keinem Gegensatz zur landeskirchlichen Ordination steht, noch sie ergänzt oder aufbessert.
(GE 44 / Hervorhebung von K.B.)

Nach unserer Überzeugung ist es gerade die vordringlichste Aufgabe einer hochkirchlichen Weihe, die landeskirchliche Ordination zu ergänzen und zu verbessern. Das steht sogar in den Weiheurkunden:

Diese Priesterweihe wurde vollzogen, um der landeskirchlichen Ordination das von der evangelischen Theologie vielfach verneinte und durch die evangelische Ordination vermutlich nicht vermittelte immerwährende Amtscharisma ergänzend hinzuzufügen.

Hier gibt es offensichtlich einen gravierenden Unterschied zwischen der St.-Johannes-Bruderschaft und einigen anderen hochkirchlichen Bruderschaften. Und nun wird es klar, warum Heiler ununterbrochen vor einem falschen Verständnis der apostolischen Sukzession warnt, und warum in der Grundsatzerklärung so wenig vom Segen[7], vom Heiligen Geist, von einem gültigen Amt und von einer gültigen Kommunion die Rede ist. Oder warum, wenn doch einmal von einer „gültigen“ Weihe gesprochen wird, das Wort „gültig“ in Anführungsstriche gesetzt wird (GE 13).

Offenbar geht es in der Johannesbruderschaft gar nicht in erster Linie darum, unsere evangelischen Gemeindeglieder mit der höchsten Wonne eines gültigen Abendmahls zu versorgen, sondern es geht um den Bau der großen Kathedrale, der EINEN HEILIGEN KIRCHE. Mögen sich die verschiedenen Bruderschaften äußerlich auch ähneln, so haben wir offenbar doch nicht das gleiche Ziel.Wir suchen in erster Linie Jesus Christus im heiligen Sakrament, wir bauen an der kleinen ecclesiola in ecclesia, wir suchen auf dem Trümmerfeld der evangelischen Kirche, ob es da noch ein Gewölbe gibt, das man gegen Regen und Wind abdichten kann, um dort unsere kleinen, gültigen Messen zu feiern. Sie haben in erster Linie die große Kirche im Blick, den „ökumenischen Gesamthorizont“, denn so schreiben sie nach dem oben zitierten Satz:

das einzige „deficit“ unseres Dienstes ... ist die fehlende Anerkennung und damit die fehlende communio innerhalb der Episkopé im ökumenischen Gesamthorizont. Die von allen ersehnte Anerkennung durch alle kann erfolgen durch die grundlegende Einsicht, dass alle Ordinierten Anteil haben am weltweiten Netzwerk des Einen Amtes, das Jesus Christus seiner Kirche geschenkt hat.
(GE 44f)

Es geht den Johannesbrüdern also um die Anerkennung aller durch alle - um die Anerkennung aller kirchlichen Amtsträger durch alle Kirchen im „Ökumenischen Gesamthorizont“.

Warum ist die Anerkennung so wichtig, daß sie hier als einziges „deficit“ bezeichnet wird? Ich kannte einen Pastor, der nicht an die Gültigkeit seiner landeskirchlichen Ordination glaubte. Er teilte seiner Gemeinde das Abendmahl zwar aus mit den Worten „Christi Leib, für dich gegeben“ und „Christi Blut, für dich vergossen“, aber er glaubte selber nicht daran und fühlte sich als ein Betrüger. Daraufhin hat ihm ein hochkirchlicher Bischof eine hochkirchliche Priesterweihe angeboten, von deren Gültigkeit der Betreffende durchaus  überzeugt war. Er fragte aber, ob auch die katholische Kirche diese Weihe anerkennen würde. Die Antwort darauf lautet: Für die katholische Kirche können wir nicht sprechen. Daraufhin verzichtete er auf die Weihe. Die „Anerkennung“ war ihm wichtiger als das gültige Sakrament. Eine solche Einstellung ist doch im höchsten Maß unverständlich. Ist nicht das gültige Altarsakrament um ein vielfaches wichtiger, als die „Anerkennung“ - von wem auch immer?

Wenn nun aber die Grundsatzerklärung die fehlende Anerkennung als das einzige „deficit“ bezeichnet, dann stellt sich die Frage, ob auch der Johannes-Bruderschaft die Anerkennung ihrer Ämter das größte und wichtigste Anliegen ist -  wichtiger ist als die gültige Kommunion?

Nun will ich nicht bestreiten, daß eine Anerkennung auch aller hochkirchlichen Ämter an sich wünschenswert ist. Aber hat nicht jeder, der geweiht worden ist, seine Bestätigung durch Gott erfahren? Hat nicht jeder, der geweiht worden ist, etwas ähnliches erlebt wie der König Saul, dem der Prophet Samuel versprochen hat: Du wirst merken, daß du ein „anderer Mensch“ geworden bist? Und die Bibel berichtet, daß Gott ihm tatsächlich ein „anderes Herz“ geschenkt hat[8]! Genügt nicht das Bewußtsein, von Gott anerkannt zu sein? Und wenn wir von den gutwilligen Gemeindegliedern anerkannt werden und von unseren theologischen Freunden, was wollen wir noch mehr? Die Anerkennung unserer Ämter durch Menschen ist vergleichsweise unwichtig. Wenn nun jemand unsere Ämter nicht anerkennen will, der soll es bleiben lassen.

Die Anerkennung aller Ämter durch alles, was sich Kirche nennt - also auch der Freikirchen? -  erscheint mir dagegen ziemlich unwahrscheinlich. Wenn es aber doch geschehen sollte, wäre ein solches Ergebnis wohl kaum wünschenswert.

*

Die Grundsatzerklärung der Hochkirchlichen St.-Johannes-Bruderschaft ist ein interessanter Denkanstoß, ein großer theologischer Wurf ist sie wohl nicht. Die große Ehre, die sie dem ungläubigen Begründer ihrer Bruderschaft noch nach 80 Jahren erweist, wirft die Frage auf, ob nicht die ganze Hochkirchliche St.-Johannes-Bruderschaft mit allen ihren Mitgliedern theologisch liberal, vielleicht sogar ungläubig ist. Zwar war in früheren Zeiten auch für einen rechtgläubigen evangelischen Pfarrer der Beitritt zu dieser Bruderschaft die einzige Möglichkeit, eine gültige Priesterweihe zu bekommen, aber seit einiger Zeit gibt es ja die anderen, die rechtgläubigen hochkirchlichen Bruderschaften.

Karsten Bürgener

 

Literatur

www.hochkirchliche-vereinigung/documents/DaskirchlicheAmtinderNachfolged...

Hans Hartog „Evangelische Katholizität“, Mainz 1995

Helmut Martin Niepmann: „Chronik der Hochkirchlichen Vereinigung ...“ Bochum 1988

 

Anmerkungen

[1].) Siehe dazu in Hartogs Biographie das Kapitel „Heiler als Liturg“ Seite 96ff.

[2].) Hartog Seite 163+166.

[3].) Hartog Seite 247.

[4].) Siehe zum folgenden Hartog Seite 123-138.

[5] ) GE 12f.

[6].) BKV2 31,685.

[7].) Das Literaturverzeichnis dieser Grundsatzerklärung führt 35 Titel auf.

      Echternachs „Segnende Kirche“ ist nicht darunter.

[8].) 1.Sam 10,6+9.