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Gedanken zum Zölibat
Gedanken eines verheirateten evangelischen Pfarrers
zur ehelichen Enthaltsamkeit und dem Zölibat
des katholischen Priesters
Zur Zeit rumort es in der katholischen Kirche, zumindest in Deutschland und Österreich. Dabei ist einer der Streitpunkte der Zölibat, den die progressiven Kräfte gerne abschaffen möchten, während die Konservativen ihn verteidigen. Die Progressiven erklären, der Zölibat sei eine heute überholte, rein menschlich-kirchliche Anordnung des Mittelalters, während die Konservativen ihn in der Idee auf die Apostel und auf Jesus selber zurückführen. So schreibt der katholische Theologieprofessor Manfred Hauke[i]:
Der »Zölibat« im strikten Sinne der klerikalen Ehelosigkeit ist die Frucht einer kirchlichen Gesetzgebung seit dem 11. Jahrhundert, aber die »Enthaltsamkeit« ist eine Praxis, die bereits am Beginn des 4. Jahrhunderts eindeutig bezeugt ist und gemäß den neueren Studien bereits auf die apostolische Zeit zurückreicht.
Das heißt: Der Zölibat ist tatsächlich erst das Ergebnis einer längeren kirchengeschichtlichen Entwicklung, aber seine Vorform reicht bis in die apostolische Zeit zurück. Am Anfang der Kirche gab es kaum ledige Männer, die man hätte ordinieren können, man mußte also notgedrungen verheiratete Männer weihen. Man hat ihnen aber von Anfang an eine absolute eheliche Enthaltsamkeit auferlegt.
Wenn das stimmt, wenn schon die Apostel den kirchlichen Amtsträgern eine absolute eheliche Enthaltsamkeit auferlegt haben, dann erhebt sich die Frage, ob nicht auch der evangelische Pfarrer zur Enthaltsamkeit verpflichtet ist, denn auch die evangelische Kirche ist durch das Nizänische Glaubensbekenntnis der apostolischen Tradition verpflichtet. Das ist der Grund, warum sich auch der evangelische Pfarrer mit dem Thema Enthaltsamkeit und Zölibat auseinandersetzen sollte.
1. Die Aussagen des Neuen Testaments
Unsere erste Frage ist natürlich: Was steht darüber in der Bibel? Da machen wir eine merkwürdige Entdeckung. Die wichtigsten Bibelstellen zur Ehe stehen in den Paulusbriefen, aber der Apostel äußert sich erstaunlich widersprüchlich über die Ehe. Im Hebräerbrief heißt es:
Die Ehe soll in Ehren gehalten werden bei allen ...
(Hebr 13,4)
Ich gehe davon aus, daß der Hebräerbrief zwar von einem Mitarbeiter des Paulus verfaßt worden, aber unter der Autorität des Apostels ausgegangen ist - daß wir es also mit einer von Paulus autorisierten Äußerung über die Ehe zu tun haben.
Wenn es heißt, die Ehe solle „bei allen“ in Ehren gehalten werden, so scheint es damals einzelne Christen gegeben zu haben, die die Ehe nicht ausreichend in Ehren hielten - vielleicht weil sie ihren eigenen unverheirateten Stand für ehrenvoller gehalten und damit die Ehe abgewertet haben. Jedenfalls soll die Ehe in Ehren gehalten werden.
Noch viel ehrenvoller für die Ehe ist, was Paulus selber im Epheserbrief schreibt. Er vergleicht dort die Ehe mit der Liebe, die Jesus Christus gegenüber der Kirche hegt:
Ihr Männer, liebet eure Frauen, gleichwie auch Christus geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben, auf daß er sie heiligte, und hat sie gereinigt durch das Wasserbad im Wort ...
(Eph 5,25+26)
In diesem Zusammenhang schreibt er auch:
Dieses Geheimnis ist groß; ich rede aber von Christus und der Gemeinde.
(Eph 5,32)
Gemeint ist: Der Vergleich der Ehe mit der Liebe Christi gegenüber der Kirche, ist zwar schwer verständlich, es ist aber ein sehr weitgehender, sehr tiefsinniger Vergleich. Die Ehe ist etwas geheimnisvoll Großes. Sie kann und darf verglichen werden mit der Liebe, die Jesus Christus gegenüber der Gemeinde hegt.
Hier bringt der Apostel also eine sehr hohe Meinung von der Ehe zum Ausdruck. Dementsprechend verurteilt er an anderer Stelle mit scharfen Worten gewisse, zukünftige Irrlehrer, die glauben, die Ehe sogar verbieten zu müssen:
Der Geist aber sagt deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abfallen und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren böser Geister durch die Heuchelei der Lügenredner, die ein Brandmal in ihrem Gewissen haben. Sie gebieten, nicht ehelich zu werden und zu meiden die Speisen, die Gott dazu geschaffen hat, daß sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkennen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.
(1.Tim 4,1-5)
Die Ehe gehört also zu Gottes guter Schöpfung; sie ist trotz aller menschlicher Sünde ein Rest aus dem Paradies. Durch „Wort Gottes und Gebet“, das heißt: durch die kirchliche Segnung wird sie geheiligt, so daß die christliche Ehe zu recht als eine „heilige Ehe“ bezeichnet werden kann.
*
Im Gegensatz zu dieser hohen Wertschätzung stehen nun aber im 7. Kapitel des 1.Korintherbriefes verschiedene Aussagen, nach denen das hohe Gut einer christlichen Ehe keineswegs erstrebenswert ist. So heißt es gleich am Anfang:
Wovon ihr aber mir geschrieben habt, (darauf antworte ich:) Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre.
(1.Kor 7,1)
Kurz darauf schreibt der Apostel:
Den Ledigen und Witwen sage ich: Es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich.
(1.Kor 7,8)
Paulus selber war offenbar unverheiratet oder verwitwet. Er empfiehlt also den Unverheirateten, daß sie möglichst ledig bleiben sollten. Den gleichen Rat gibt er den Witwen dann noch einmal am Ende des Kapitels. Die verwitwete Frau darf zwar heiraten,
Seliger ist sie aber, wenn sie ledig bleibt ...
(1.Kor 7,40)
Wie gesagt: Während der Apostel Paulus die Ehe vor allem im Epheserbrief als ein besonders hohes Gut preist, stellt er sie im 1. Korintherbrief als wenig erstrebenswert hin. Widerspricht er sich also, und widerspricht sich hier die Bibel? Das glaube ich nicht. Man muß nämlich zwei Besonderheiten des 7. Kapitels des 1. Korintherbriefes beachten.
Da ist einmal die besondere Eigenart dieses Kapitels, die sich sonst nie in den neutestamentlichen Briefen findet, daß der Apostel zwischen den klaren Anweisungen Jesu und seiner eigenen, relativ unsicheren Meinung unterscheidet. So heißt es einmal:
Den Ehelichen aber gebiete nicht ich, sondern der Herr ...
(1.Kor 7,10)
Dann aber schreibt der Apostel:
Den andern aber sage ich, nicht der Herr ...
(1.Kor 7,12)
Und es heißt:
Über die Jungfrauen habe ich kein Gebot des Herrn; ich sage aber meine Meinung ...
(1.Kor 7,25)
Oder der Apostel schreibt:
(Die verwitwete Frau ist) frei zu heiraten, welchen sie will, nur daß es in dem Herrn geschehe! Seliger ist sie aber, wenn sie ledig bleibt, nach meiner Meinung.
(1.Kor 7,39+40)
Es zeigt sich hier eine großartige und vorbildliche Wahrheitsliebe des Apostels, indem er deutlich unterscheidet zwischen seiner eigenen Meinung, die niemanden bindet, und den klaren autoritativen Anordnungen Jesu.
Die zweite Besonderheit dieses Kapitels besteht darin, daß der Apostel in absehbarer Zeit das Hereinbrechen großer Nöte erwartet - vielleicht hatte er aus prophetischem Vorherwissen die mörderischen Christenverfolgungen unter Nero und Domitian vor Augen. Jedenfalls schreibt er:
So meine ich nun, solches sei gut um der kommenden Not willen - es sei dem Menschen gut, ledig zu sein. Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, von ihr loszukommen; bist du los von der Frau, so suche keine Frau. Wenn du aber doch freist, sündigst du nicht, und wenn eine Jungfrau freit sündigt sie nicht; doch werden sie leibliche Trübsal haben. Ich aber schonte euch gerne.
(1.Kor 7,26-28)
Ob ein Leser dieses Kapitels sich der Meinung des Apostels anschließen will, daß es in einer Notzeit ein Nachteil ist, wenn man verheiratet ist, darf jeder für sich selbst entscheiden. Diese Freiheit wird dem Leser vom Apostel selber eingeräumt. Wir haben es hier nicht mit einem autoritativen Gotteswort zu tun.
Wenn Paulus allerdings schon die zukünftigen Christenverfolgungen vor Augen gehabt hat, könnte er durchaus recht gehabt haben. In Verfolgungszeiten ist es jedenfalls für den Mann leichter zu leiden, wenn er nicht auf Frau und Kinder Rücksicht zu nehmen braucht. Ebenso ist es aber auch für eine Frau leichter zu leiden, wenn sie nicht an Kinder gebunden ist
Es gibt aber noch einen anderen schwierigen Punkt in diesem Kapitel, wenn nämlich der Apostel schreibt:
Wer ledig ist, der sorgt um des Herrn Sache, nämlich wie er dem Herrn gefalle; wer aber gefreit hat, der sorgt um die Dinge der Welt, nämlich wie er der Frau gefalle, und so ist er geteilten Herzens.
(1.Kor 7,32+33)
Vom Standpunkt eines verheirateten evangelischen Pfarrers in normalen, friedlichen Zeiten kann ich dem Apostel nicht zustimmen. Seit Beginn meiner Ehe habe ich viel weniger mit den „Dingen der Welt“ zu tun als vorher. Ich brauche nicht einzukaufen und das Essen vorzubereiten. Ich setze mich an den gedeckten Tisch, und meine Frau erzählt mir, welches Gemeindeglied sie beim Einkaufen getroffen und was man ihr erzählt hat. Ich brauche nicht zu waschen, zu bügeln oder Staub zu saugen.
An meinen Kindern habe ich vieles gelernt, was zum Verständnis der Bibel hilfreich ist. Zu fremden Kindern hatte ich früher das Gefühl einer Distanz. Dieses Distanzempfinden hat sich vollkommen aufgelöst, seit ich eigene Kinder hatte. Seit dem habe ich um so lieber den Kindergottesdienst gehalten.
Meine Frau hat irgendwann damit begonnen, im Wohnzimmer das morgendliche Stundengebet zu singen. Ich habe mich ihr angeschlossen, und wir haben das Abend- und Morgengebet zu zweit in der Kirche gesungen. Von alleine hätte ich wohl nie zum Stundengebet gefunden.
Als die Kinder größer waren, hat meine Frau sich in der Gemeinde engagiert, einen Frauenkreis, einen Kinderkreis und die Schola der Jugendlichen geleitet. Sie hat alle meine Bücher, Aufsätze und Gemeindebriefe kritisch gelesen und korrigiert. Sie hat mich von vielen „Dingen der Welt“ befreit und mich zugleich als geistliche Mitarbeiterin unterstützt.
Was ich über meine Situation als verheirateter Pfarrer gesagt habe, gilt nach meiner Beobachtung auch für die Gemeindechristen. Wenn sie wirklich gläubig sind, stützen sich die Familienmitglieder auch in Glaubensdingen. Wer an einen gläubigen Ehepartner gebunden oder Mitglied einer christlichen Familie ist, ist offensichtlich standfester im Glauben.
Die Erklärung, daß der verheiratete Christ vor allem darum besorgt ist, seiner Frau zu gefallen, der Unverheiratete dagegen frei ist, sich allein auf Gott auszurichten, kann ich nicht als allgemeingültig akzeptieren.
Wenn der Apostel hier an eine normale christliche Ehe gedacht haben sollte, müßte man seine Äußerung wohl als eine vorläufige Meinung des Apostels ansehen, die er später korrigiert hat, indem er sich vor allem im Epheserbrief wesentlich ehefreundlicher geäußert hat - und das in apostolischer Vollmacht, ohne jede Relativierung.
Vielleicht hatte Paulus hier aber gar nicht die normale christliche Ehe vor Augen, sondern die anfangs noch häufig heidnisch-christliche Mischehe. Er schreibt ja in diesem Kapitel recht ausführlich zur Frage der Ehescheidung dieser Mischehen:
Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat, und sie ist willig, bei ihm zu wohnen, der scheide sich nicht von ihr. Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat, und er ist willig, bei ihr zu wohnen, die scheide sich nicht von ihm. Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den gläubigen Mann. Sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig. Wenn aber der Ungläubige sich scheiden will, so laß ihn sich scheiden. Es ist der Bruder oder die Schwester nicht gebunden in solchen Fällen.
(1.Kor 7,12-15)
Offenbar war die Mischehenfrage zu Beginn der Heidenmission besonders drängend; und vielleicht wollte der Apostel vor allem in diesem Zusammenhang warnen: Wer einen heidnischen Ehepartner heiratet, gerät in eine ungeistliche Situation. Dagegen waren die Dinge zur Zeit des Epheserbriefes wohl schon so weit fortgeschritten, daß Mischehen seltener waren und der Apostel sein hohes Lied auf die christliche Ehe anstimmen konnte.
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In diesem Zusammenhang ist interessant, was Paulus über Petrus und die anderen Apostel schreibt. Sie haben nämlich ihre Frauen mitgenommen auf ihre Missionsreisen, wie uns das Paulus an anderer Stelle im 1. Korintherbrief mitteilt. Es geht in diesem Zusammenhang darum, daß Paulus aus freien Stücken auf vieles verzichtet. Er schreibt:
Haben wir nicht das Recht, zu essen und zu trinken? Haben wir nicht auch das Recht, eine Schwester als Ehefrau mit uns zu führen wie die andern Apostel und des Herrn Brüder und Kephas?
(1.Kor 9,4+5)
Paulus schreibt nicht: „eine Frau als Schwester“, sondern „eine Schwester als Frau“! Es ist ganz klar, was diese Worte bedeuten, nämlich: Die Apostel haben ein ganz normales Eheleben geführt. Und das nicht nur, wenn sie zwischen zwei Reisen eine kurze Zeit zu Hause waren, sondern sie haben ihre Frauen auf den Reisen „mit sich geführt“. Das ist um so bemerkenswerter, als für eine Frau das Reisen immer etwas problematischer ist als für den Mann. Sie ist in der Regel körperlich nicht so leistungsfähig, und sie ist als Frau gefährdeter. Trotzdem haben die Apostel ihre Frauen mit sich reisen lassen. Ihnen lag offenbar daran, neben ihren hohen apostolischen Aufgaben ihre Ehe treu und beständig fortzuführen. Sie haben mit diesem Verhalten ihre hohe Wertschätzung der Ehe sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
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Zu den wichtigsten Aussagen des Neuen Testamentes zur christlichen Ehe gehören auch drei sehr ähnliche Stellen aus den Pastoralbriefen.
Im 1. Timotheusbrief fordert der Apostel Paulus:
... ein Bischof soll unsträflich sein, eines Weibes Mann ...
(1.Tim 3,2)
Bei den „Bischöfen“ handelte es sich zu der Zeit wahrscheinlich um Gemeindepfarrer. Das bedeutet: Ein Pfarrer darf verheiratet sein. Er darf aber nicht in Polygamie leben. Ähnlich äußert sich Paulus auch zu den Diakonen:
Die Diakone laß einen jeglichen sein eines Weibes Mann ...
(1.Tim 3,12)
Im Titusbrief steht die folgende Anordnung des Paulus:
Derhalben ließ ich dich in Kreta, daß du solltest vollends ausrichten, was noch fehlt, und in den Städten hin und her Älteste einsetzen, wie ich dir befohlen habe: wenn einer ist untadelig, eines Weibes Mann ...
(Ti 1,5+6)
Auch mit den Ältesten sind meiner Ansicht nach die Gemeindepastoren gemeint. Auch diese Stelle scheint zunächst wie die beiden vorhergehenden klar zu sein: Als Pfarrer oder Diakon sollte nur ein Mann ausgesucht und ordiniert werden, der nicht in Polygamie lebt.
Nun gibt es allerdings noch eine weitere, sehr ähnliche Stelle im 1. Timotheusbrief, in der es nicht um Polygamie geht. Paulus schreibt über die Diakoniewitwen:
Laß keine Witwe ausgewählt werden unter sechzig Jahren und die da gewesen sei eines Mannes Weib ...
(1.Tim 5,9)
Hier geht es um verwitwete Frauen, die in der Gemeindediakonie helfen, die aber zugleich auch wie die Nonnen leben sollten: unverheiratet und mit viel Gebet. Sie mußten dafür das Gelöbnis der Ehelosigkeit ablegen. Aber es war dann doch vorgekommen, daß solche Diakoniewitwen heiraten wollten und dafür ihr Gelöbnis gebrochen haben. Damit das in Zukunft möglichst nicht wieder passiert, ordnet Paulus zwei Einschränkungen an. Die betreffenden Frauen sollten mindestens 60 Jahre alt sein, und sie sollten schon vorher nicht mehrfach verheiratet gewesen sein.
Da es in der Antike klar war, daß eine Frau nicht legal zwei Männer gleichzeitig haben konnte, bedeuten hier die Worte „eines Mannes Weib“: Sie durfte nicht zweimal hintereinander verheiratet gewesen sein.
Damit erhebt sich allerdings die Frage, ob der sehr ähnliche, fast formelhafte Wortgebrauch auch bei den Pastoren und Diakonen so verstanden werden muß, daß auch sie nur einmal verheiratet sein durften. Ging es also gar nicht um die Polygamie, sondern war ihnen die zweite Ehe verboten, wenn sie unglücklicherweise verwitweten?
Die orthodoxe Kirche hat diesen Schluß tatsächlich gezogen: Wenn ein Pastor verwitwet, darf er nicht ein zweites Mal heiraten. Genauso sieht es auch die katholische Kirche in den Teilkirchen, in denen ihre Priester heiraten dürfen. Die evangelische Kirche sieht das allerdings anders, und in diesem Punkt stimme ich ihr zu.
Es gilt nämlich den zeitlich unterschiedlichen Blickpunkt zu beachten. Bei den Bischöfen und Diakonen geht es um eine Forderung im Hinblick auf die Gegenwart:
Wenn jemand ein Bischofsamt begehrt, der begehrt ein köstlich Werk. Darum soll nun ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann ...
(1.Tim 3,1+2)
Die Diakone laß einen jeglichen sein eines Weibes Mann ...
(1.Tim 3,12)
Derhalben ließ ich dich in Kreta, daß du solltest vollends ausrichten, was noch fehlt, und in den Städten hin und her Älteste einsetzen, wie ich dir befohlen habe: wenn einer ist untadelig, eines Weibes Mann ...
(Ti 1,5+6)
Bei den Diakoniewitwen geht es dagegen um die Vergangenheit:
Laß keine Witwe ausgewählt werden unter sechzig Jahren und (die da gewesen sei) eines Mannes Weib, ... wenn sie Kinder aufgezogen hat, wenn sie gastfrei gewesen ist, wenn sie der Heiligen Füße gewaschen hat ...
(1.Tim 5,9+10)
So formelhaft gleich uns die Worte auch erscheinen mögen, so geht es doch bei den Männern eindeutig um die zur damaligen Zeit gegenwärtige Situation. Das heißt: Sie sollten nicht zur damals gegenwärtigen Situation gleichzeitig mehrere Frauen haben. Dagegen geht es bei den Witwen um die Vergangenheit. Dabei ist theoretisch beides möglich: mehrere Männer gleichzeitig oder hintereinander. Praktisch ist aber nur letzteres möglich.
Das heißt: Die gleiche Formel meint doch zwei verschiedene Dinge. Die Männer sollten nicht gleichzeitig mehr als eine Frau haben, die Frauen sollten dagegen nicht mehr als einmal verheiratet gewesen sein.
Die Bibel verbietet also dem Priester keineswegs eine zweite Ehe, und das ist ja auch klar: Wenn die erste Ehe gut und heilig ist, was soll dann an der zweiten Ehe verwerflich sein? Wenn die Kirche aber die zweite Ehe verbietet, fällt damit ein Schatten auch auf die erste Ehe. Dann steht die Priesterehe so da, als ob sie ein einmaliges Zugeständnis an die menschliche Schwäche sei. Das aber wäre keine sehr ehrenvolle Sicht der Dinge.
*
Ich fasse zusammen: Die Ehe wird im Neuen Testament hoch gepriesen. Sie gehört zur guten Schöpfung Gottes. Sie soll in Ehren gehalten werden von jedermann. Die Liebe zwischen Mann und Frau kann verglichen werden mit der Liebe Jesu zur Gemeinde. Wenn die Ehe eingesegnet ist durch „Wort Gottes und Gebet“, ist sie geheiligt.
Dieses hohe Lob gilt allerdings nur für die wirkliche, christliche Ehe. Im 1. Korintherbrief, wo der Apostel Paulus wohl eher die heidnisch-christliche Mischehe vor Augen hat und wo er außerdem das Heraufziehen einer besonders schweren Zeit befürchtet, rät er - für uns überraschend - von jeder Eheschließung ab. Dabei gibt er weitgehend zu erkennen, daß es bei diesem Rat nicht um das autoritative Wort Gottes geht, sondern nur um seine menschliche Meinung. Er hat seine Meinung später geändert und den hohen Wert der christlichen Ehe wie oben beschrieben anerkannt und gewürdigt.
Wichtig ist auch: Die Bibel verbietet nicht die zweite Ehe eines Pfarrers. Auf andere Fragen des biblischen Eheverständnisses komme ich in meinen Ausführungen über die alte Kirche.
2. Die Aussagen der alten Kirche zur Priesterehe
In seiner Schrift „Über die Pflichten“ empört sich Ambrosius von Mailand, daß es viele Kleriker gibt, die verheiratet sind und Kinder bekommen, die also nicht in „ehelicher Enthaltsamkeit“ leben. So schreibt er an die Priester seiner Diözese:
Ihr, die ihr in leiblicher Unversehrtheit, in unverletzter Reinheit, selbst in ehelicher Enthaltsamkeit das Gnadenamt eures heiligen Dienstes empfangen habt, begreift wohl, daß dieser Dienst sonder Tadel und Makel geleistet werden muß. Das ließ ich deshalb nicht unerwähnt, weil vielfach an entlegenen Orten Kleriker, da sie den Klerikerdienst oder selbst das Priesteramt bekleideten, Kinder bekamen. Sie wollen das gleichsam mit einem alten Herkommen beschönigen aus der Zeit, da man nach tagelangen Unterbrechungen das Opfer darbrachte.
(Über die Pflichten I,249)
Ambrosius widerspricht übrigens nicht, daß die Kleriker bzw Priester nach altem Herkommen heiraten und Kinder zeugen durften. Er wendet aber ein, daß in früheren Zeiten nicht unbedingt an jedem Tag die Messe gefeiert wurde, wobei er davon ausgeht, daß der Priester wenigstens 24 Stunden vor dem Gottesdienst ehelich enthaltsam sein muß, was ja bei täglicher Messe auf eine absolute eheliche Enthaltsamkeit herauskommt.
Warum aber überhaupt eine eheliche Enthaltsamkeit erforderlich ist, begründet Ambrosius mit dem Vorbild des Alten Testamentes, wo Gott vor seiner Offenbarung am Sinai verlangt, das Volk möge mit gewaschenen Kleidern und nach dreitägigem sexuellen Fasten am Fuß des Berges Aufstellung nehmen. Ambrosius schreibt:
Und doch beobachtete ... das gewöhnliche Volk, um rein zum Opfer zu treten, durch zwei oder drei Tage hindurch keusche Enthaltsamkeit und wusch sich die Kleider ... Verstehe, Priester und Levite, was es bedeutet: »deine Kleider waschen«. Du sollst einen reinen Leib zur Feier der Geheimnisse mitbringen! Wenn es dem Volke verboten war, ohne Reinwaschung seiner Kleider zum Opfer hinzuzutreten: du wolltest es wagen, unreines Geistes und Leibes zugleich für andere zu beten, für andere des Dienstes zu walten?
(Über die Pflichten I,249)
Wir wollen uns nicht damit aufhalten, daß an diesem Tag gar kein Opfer am Sinai stattgefunden hat, es geht ja hier um die scharf formulierte Aussage, die Sexualität - auch die legitime eheliche Liebe - mache den Menschen an Leib und Seele unrein. Zur Begründung verweist Ambrosius auf die Parallelität des Kleiderwaschens und der geforderten Enthaltsamkeit. Die Parallelität ist zweifellos gegeben, sie kann aber auch anders gedeutet werden.
Offensichtlich geht es doch nur um zwei verschiedene Arten der Vorbereitung auf den Tag der Offenbarung, wobei Gott einmal festlich saubere Kleidung fordert und zum anderen eine innere Aufgeschlossenheit. Es soll sich nicht die starke Erinnerung an die in den letzten drei Tagen erlebte eheliche Liebe bei der Gottesbegegnung in den Vordergrund schieben.
Es gibt in der ganzen Bibel nicht eine einzige Bibelstelle, die erklärt, daß die eheliche Liebe unrein macht. Im Gegenteil! Ich erwähnte schon, daß die eheliche Liebe ein Relikt aus dem Paradies ist. Dort hat Gott sie gesegnet mit den Worten: „Seid fruchtbar und mehret euch ...“, und diesen Segen hat Gott nach der Sintflut noch einmal wiederholt. Segnet Gott ein Verhalten, das den Menschen unrein macht? Das ist gewiß nicht der Fall.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß Paulus im 1. Korintherbrief erklärt, daß in einer Mischehe der christliche Partner den heidnischen Partner heiligt:
Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat, und sie ist willig, bei ihm zu wohnen, der scheide sich nicht von ihr. Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat, und er ist willig, bei ihr zu wohnen, die scheide sich nicht von ihm. Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den gläubigen Mann. Sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig.
(1.Kor 7,13+14)
Wenn schon der heidnische Partner durch den christlichen Teil geheiligt wird, wieviel mehr heiligen sich die Ehepartner gegenseitig, wenn sie beide gläubige Christen sind!
*
Im 1. Korintherbrief empfiehlt der Apostel Paulus den christlichen Ehepartnern gelegentliche Enthaltsamkeit. Warum spricht der Apostel eine solche Empfehlung aus? Weil die eheliche Sexualität unrein macht? Das ist nicht der Grund; es geht vielmehr darum, das Gebetsleben der Ehepartner zu intensivieren. Er schreibt:
Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn mit beider Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum Beten Ruhe habt; und dann kommt wiederum zusammen, auf daß euch der Satan nicht versuche, weil ihr euch nicht enthalten könnt.
(1.Kor 7,5)
Die Ehe bindet ja die beiden Partner mit Leib und Seele zusammen, und das Gefühl der Liebe kann so stark sein, daß es vieles andere an den Rand drängt, auch das Gebet. Wenn beispielsweise der verheiratete Pastor nach einer erfüllten Liebesnacht am Morgen vor dem Altar steht, ist die Gefahr groß, daß er an seine liebe Frau denkt und nicht an die hohe göttliche Majestät. Aber auch ein Gemeindeglied wird besser auf die Predigt hören und tiefer den Frieden des Sakramentes empfinden, wenn es in der Nacht zuvor enthaltsam war. Ein gewisses Maß an ehelichem Fasten ist also durchaus geboten - aber nicht, weil jede Art der Sexualität unrein macht, wie Ambrosius von Mailand es offenbar glaubte.
*
Wie Ambrosius forderten auch andere Theologen und Bischöfe der damaligen Zeit die absolute eheliche Enthaltsamkeit der verheirateten Priester. So schreibt etwa zur gleichen Zeit der Papst Siricius an einen spanischen Bischof:
Wir haben nämlich erfahren, daß sehr viele Priester Christi und Leviten lange Zeit nach ihrer Weihe sowohl aus eigenen Ehen als auch aus schändlichem Beischlaf Nachkommenschaft gezeugt haben und ihr Vergehen mit dem Vorwand verteidigen, daß man im Alten Testament lese, den Priestern und Dienern (sei) die Erlaubnis zum Zeugen gegeben.
(DzH 185)
Nach diesem Brief gab es also in dieser Zeit viele Pastoren und Diakone, die verheiratet waren und ein normales Eheleben führten. Dieses normale Eheleben der Kleriker verurteilt der Papst nicht nur, er stellt es auch auf die gleiche Stufe wie Unzucht und Ehebruch. Es war offenbar ein starker moralischer Druck nötig, um die Priester und Diakone auf die absolute eheliche Enthaltsamkeit einzuschwören.
Zu dem Argument, das Alte Testament erlaube doch den Priestern, ehelich zu leben und Kinder zu zeugen, äußert sich Papst Siricius mit folgenden Worten:
Warum wurden die Priester geheißen, im Jahre ihres Amtes sogar fern von ihren Häusern im Tempel zu wohnen? Aus diesem Grund nämlich, damit sie nicht einmal mit ihren Frauen fleischlichen Verkehr ausüben konnten, um in der Reinheit des Gewissens leuchtend ein Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen.
(DzH 185)
Es stimmt, daß die jüdischen Priester in der Zeit, in der sie im Jerusalemer Tempel amtierten, von ihren Frauen getrennt im Tempelbereich wohnten. Es handelte sich allerdings um zweimal eine Woche und um die Zeit der großen Feste, nicht um ein ganzes Jahr[ii]. Die Frage ist jedoch, wie diese auch im Judentum praktizierte Enthaltsamkeit begründet wurde. Wie Ambrosius hält auch Papst Siricius die eheliche Sexualität für unrein, denn nur, wenn sie auf den „fleischlichen Verkehr“ verzichteten, konnten nach seiner Auffassung auch die alttestamentlichen Priester „in der Reinheit des Gewissens“ ein wohlgefälliges Opfer darbringen.
Der Papst hält also die Ehe für „fleischlich“ und unrein. Auf die Bibel kann er sich dabei nicht berufen. Er versucht es allerdings doch, indem er fortfährt:
Daher bezeugt auch der Herr Jesus ... daß er gekommen sei, das Gesetz zu erfüllen, nicht aufzulösen. Und deshalb wollte er, daß die Gestalt der Kirche, deren Bräutigam er ist, im Glanze der Keuschheit erstrahle ... Durch das unauslöschliche Gesetz dieser Bestimmungen werden wir alle, Priester und Leviten, gebunden, auf daß wir vom Tage unserer Weihe an sowohl unsere Herzen als auch Leiber der Enthaltsamkeit und Keuschheit überantworten, damit wir dem Herrn, unserem Gott, in den Opfern gefallen, die wir täglich darbringen.
(DzH 185)
Da auch Papst Siricius von der täglichen Messe der christlichen Priester ausgeht, muß er folgerichtig die absolute Enthaltsamkeit fordern. Wenn ein Priester um der täglichen Messe willen auf Ehe und Familie verzichtet und den Verzicht auch sauber und konsequent durchhält, so ist dies gewiß aller Ehren wert und ein großes Gut für die ganze Kirche. Allerdings sollte man nicht behaupten, Jesus habe die tägliche Messe und die entsprechende Enthaltsamkeit als Normalfall angesehen und als „unauslöschliches Gesetz“ festgesetzt. Dafür gibt es keine Anhaltspunkte in der Bibel und keine einhellige Tradition der alten Kirche. Es ist kein gutes Zeichen, wenn das kirchliche Gesetz der absoluten Enthaltsamkeit der verheirateten Priester mit einer scheinbaren Anordnung Jesu begründet wird, für die es in Wirklichkeit keinerlei Beleg gibt.
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Es lassen sich noch weitere Beispiele anführen von altkirchlichen Theologen, die die eheliche Sexualität für unrein erklärt haben. Woher kommt eine solche unbiblische Sicht der ehelichen Liebe? Ich weiß es nicht. Aber vielleicht handelt es sich hierbei um ein altes, noch nicht überwundenes Erbe des antiken Heidentums. Der Heide hat ja für seine Ehe keinen kirchlichen Segen empfangen. Er erlebte selbst die legitime Ehe als ehelicher Despot und sexueller Egoist - abgesehen davon, daß ihm Hurerei und Mißbrauch seiner Sklavinnen als Selbstverständlichkeit zugestanden waren. Im antiken, heidnischen Krieg war es das selbstverständliche Recht des siegreichen Soldaten, die Frauen und Mädchen der unterworfenen Völker zu vergewaltigen. So berichtet Odysseus ganz ungeniert und öffentlich am Königshof des Alkinoos, wie er und seine Genossen ganz grundlos eine am Wege liegende Stadt erobert haben[iii]:
Da verheert’ ich die Stadt und würgte die Männer. Aber die jungen Weiber und Schätze teilten wir alle ...
Es ist klar, was mit den jungen Frauen geschah, zumal da die Männer schon lange von zu Hause fort waren und jetzt ihren kleinen Sieg mit viel Wein feierten. Der heidnisch-antike Mensch erlebte die Sexualität auf vielfältige Weise als etwas Brutales und Unreines.
Eine besondere Form des Heidentums war damals der Manichäismus, dem beispielsweise der hl. Augustin 9 Jahre anhing, bevor er sich zum christlichen Glauben bekehrte. Wer zur Gruppe der „vollkommenen“ Manichäer gehören wollte, mußte auf Fleisch und Wein und auf jede Sexualität verzichten. Die Frage ist, ob auch der Manichäismus durch Augustin oder andere einen Einfluß auf die Kirche ausgeübt und der damaligen Christenheit den Blick auf die große Gottesgabe einer christlichen Ehe verstellt hat.
Nun will ich gerne zugeben, daß auch die christliche Ehe keineswegs immer makellos und perfekt ist. Aber ich gebe zu bedenken: Beide Ehepartner sind geheiligt durch die Taufe; ihre Ehe ist kirchlich gesegnet. Wenn sie wirklich gläubig sind, empfangen sie durch ihr Gebet täglich die Vergebung der Sünden; am Sonntag reinigen sie sich durch die heilige Kommunion; und wenn es nötig ist, haben sie die Möglichkeit der Beichte. Sie führen trotz aller menschlichen Schwäche eine heilige Ehe. - Übrigens steht ja auch der zölibatäre Priester nur als geheiligter Sünder vor dem Altar.
Ich weiß keine andere Erklärung: Wenn Ambrosius wie auch andere altkirchliche Theologen die eheliche Sexualität für unrein erklären, so werden sie wohl noch Reste unüberwundener heidnischer Empfindungen in sich tragen. Sie werden sich in diesem Punkt wohl noch nicht ganz gelöst haben vom primitiven Heidentum eines Odysseus oder vom gebildeten Heidentum der Manichäer. Wir sollten das verständnisvoll zur Kenntnis nehmen.
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In seinen anklagenden Worten, daß viele Kleriker noch Kinder zeugen, berichtet Ambrosius, daß die Betreffenden ihr Verhalten mit „altem Herkommen“ entschuldigen. Ambrosius bestreitet eine solche alte Gewohnheit nicht, nur daß er erklärt, in alter Zeit habe man noch nicht die tägliche Messe gefeiert. Die tägliche Messe ist in der Tat wünschenswert; nur sollte man den gutwilligen Diener Gottes nicht überfordern, so daß er schließlich auf doppelt abgelenkte Weise am Altar steht, indem er seinen Dienst tut mit einem gebrochenen Gelöbnis und einem verletzten Gewissen.
*
Das älteste kirchliche Dokument, das von den verheirateten Klerikern die absolute Enthaltsamkeit fordert, ist der Beschluß der spanischen Synode von Elvira um das Jahr 303:
Es wurde beschlossen, den Bischöfen, Priestern und Diakonen so wie allen Klerikern, die den Dienst versehen, folgendes Gebot aufzuerlegen: Sie sollen sich von ihren Ehefrauen enthalten und keine Kinder zeugen: Jeder aber der (es) tut, soll aus der Ehrenstellung des Klerikers verjagt werden.
(DzH 119)
Nach diesem Konzilsbeschluß durfte also ein verheirateter Mann zum Diakon, Priester oder Bischof geweiht werden. Vermutlich hätte man sich lieber unverheiratete Weihekandidaten gewünscht, die man mit ihrer Weihe auf den Zölibat verpflichtet hätte. Es gab aber damals wohl nicht genug unverheiratete Männer, die ein solches Amt übernehmen konnten. So mußte man sich mit Verheirateten begnügen, aber man erwartete von ihnen, daß sie absolut enthaltsam lebten.
Nun halte ich es durchaus für denkbar, daß ein älteres Ehepaar zu einem völlig enthaltsamen Zusammenleben imstande ist. Das ist allerdings keineswegs sicher. In seinen Dialogen erzählt Papst Gregor der Große von einem alten Priester, der sich seit langem von seiner „Presbytera“ getrennt hatte, so daß sie keinen Schritt über seine Türschwelle habe gehen dürfen. Als er aber auf dem Sterbebett lag, habe sie sein Haus doch betreten und sich über den sterbenden Mann gebeugt. Der habe gesagt: „Nicht so nahe, Frau: das Feuerchen glimmt noch, halte das Stroh fern“[iv]. Selbst ein älteres Ehepaar kann also Schwierigkeiten mit der ehelichen Enthaltsamkeit haben. Bei einem jüngeren Ehepaar erscheint mir die Forderung nach Enthaltsamkeit jedoch ziemlich weltfremd. Das bezeugt uns schon die Bibel. So heiß es im 1. Korintherbrief:
Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn mit beider Bewilligung eine Zeitlang, daß ihr zum Beten Ruhe habt; und dann kommt wiederum zusammen, auf daß euch der Satan nicht versuche, weil ihr euch nicht enthalten könnt.
(1.Kor 7,5+6)
Paulus sieht es als normal an, daß Eheleute nicht auf Dauer enthaltsam leben können. Wie er einen Vers weiter schreibt, ist die Enthaltsamkeit eine besondere Gabe, ein „Charisma von Gott“:
Ich wollte ... alle Menschen wären, wie ich bin; doch ein jeglicher hat seine eigene Gabe von Gott, einer so, der andere so.
(1.Kor 7,7)
Wirkliche Enthaltsamkeit ist also ein Charisma, eine Gabe Gottes; sie wird nicht allein schon dadurch möglich, daß der Betreffende guten Willens ist und eine Weihe empfangen und ein Gelöbnis abgelegt hat.
An dieser Stelle auch eine kurze Überlegung zum Problem des Gelöbnisses. Es wird in unserer Zeit immer wieder darauf hingewiesen, daß der Zölibat eine vollkommen freiwillige Angelegenheit sei. Wenn der zukünftige Priester ein freiwilliges Gelübde ablegt, so müsse man davon ausgehen können, daß er sein Gelübde dann später auch einhält. Es ist jedoch die Frage, ob der Priesteramtskandidat wirklich weiß, worauf er sich einläßt und was auf ihn zukommen kann, wenn ihn die Liebe zu einer liebenswerten Frau wie eine Lawine überfällt. Vielleicht entpuppt sich das Zölibatsgelöbnis eines Tages als eine Falle, in die er zwar freiwillig hineingegangen ist, wobei er aber nicht gewußt hat, was auf ihn zukommen kann.
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Für den Mönch und die Nonne gibt es lange Prüfungszeiten, bevor sie die ewigen Gelübde ablegen können. Eine vergleichbare Probezeit hat es für den altkirchlichen Kleriker offensichtlich nicht gegeben. Was aber hätte die Kirche tun sollen mit einem Mann, der gutwillig das Priestertum übernommen, dabei aber seine Kräfte überschätzt hat? Das Konzil von Elvira neigt zu gnadenloser Härte. Der Betreffende „soll aus der Ehrenstellung des Klerikers verjagt werden“. Wäre es nicht besser gewesen, man hätte einen solchen Mann im Amt gelassen, ihn von seinem Gelübde entbunden und ihn nur jeden zweiten Tag die Messe feiern lassen? Das wäre doch sicher die beste Lösung gewesen! Allerdings hätte eine solche Regelung wohl einen Erdrutsch verursacht. Es hätten wahrscheinlich sehr viele Priester um Entbindung von ihren Gelübden gebeten und die eheliche Enthaltsamkeit und der Zölibat wäre wohl weitgehend zusammengebrochen.
Die allgemeine Enthaltsamkeit der Priester und Diakone bzw der allgemeine Zölibat ist offensichtlich nur mit einer gewissen innerkirchlichen Brutalität durchsetzbar. Aber wo bleibt da die Liebeskirche?
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Wenn konservative katholische Theologen glauben, die eheliche Enthaltsamkeit der Kleriker bzw der Zölibat ginge schon auf die Apostel und Jesus zurück, so spricht dagegen nicht nur, daß die Apostel ihre Ehefrauen sogar mit auf ihre Reisen mitgenommen haben, es gibt auch noch ein oder zwei Jesusworte, die in eine andere Richtung weisen.
Im Anschluß an die Geschichte vom reichen Jüngling findet ein Gespräch zwischen Jesus und den Aposteln statt, bei dem Jesus nach dem Markusevangelium erklärt:
Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verläßt um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfältig empfange jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mitten unter Verfolgungen, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
(Mk 10,29+30)
Es fällt auf, daß in diesem Jesuswort die Frauen unerwähnt bleiben. Das heißt: Jesus spricht die Erwartung aus, daß die Christen um des Evangeliums willen ihren wertvollsten Besitz und den sozialen Rückhalt ihrer Familien aufgeben. Von den Ehefrauen brauchen sie sich jedoch nicht zu trennen; die werden hier nicht erwähnt.
Nun berichtet aber Lukas das gleiche Gespräch ein klein wenig anders. Nach Lukas hat Jesus gesagt:
Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der ein Haus verläßt oder Weib oder Brüder oder Eltern oder Kinder um des Reiches Gottes willen, der es nicht vielfältig wieder empfange in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
(Lk 18,29)
Ich gehe davon aus, daß beide Evangelisten korrekt zitieren. Das heißt: Offenbar hat sich Jesus in einem längeren Gespräch wiederholt und dabei zweimal fast die gleiche Aussage gemacht: Wer um des Reiches Gottes willen auf seine bürgerliche Existenz und besonders auf den Rückhalt seiner Familie verzichtet, bekommt einen besonderen Lohn. Dabei bleibt die Ehefrau das eine Mal unerwähnt, das andere Mal erwähnt Jesus auch den Verzicht auf die Frau und das Eheleben.
Übrigens überliefert auch Matthäus dieses Wort, aber die Handschriften sind sich nicht einig. Einige sprechen auch von der Frau, andere erwähnen sie nicht. Wir halten uns also an Markus und Lukas.
Was ergibt sich aus der unterschiedlichen Überlieferung? Jesus hat keine einheitliche Regel aufgestellt! Manchmal wird es erforderlich sein, daß die Apostel auch ihre Ehe hintanstellen, in anderen Fällen wird das nicht nötig sein. Das heißt: Jesus hat keine absolut verbindliche Regel aufgestellt, daß die kirchlichen Amtsträger in jedem Fall zölibatär oder auch enthaltsam leben sollen, wenn sie schon verheiratet sind.
Zu dem gleichen Ergebnis kommen wir auch bei einem anderen, sehr ähnlichen Jesuswort:
Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist mein nicht wert.
(Mt 10,37)
Hier bleibt die Ehefrau unerwähnt, die Lukasparallele führt sie wieder auf:
So jemand zu mir kommt und hasset nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein.
(Lk 14,26)
Zunächst einmal sollte klar sein, daß dieser Vers falsch übersetzt sein muß. Selbstverständlich verlangt Jesus nicht, daß jemand seine eigenen Familienangehörigen „haßt“. Es muß gemeint sein: Wer nicht sogar die eigene Familie hintanstellen kann, kann auch nicht Jesu Jünger sein. Und dazu gehört nach Lukas auch die eigene Ehefrau. Nach Matthäus allerdings nicht. Auch hier zeigt sich: Ein Jünger Jesu muß zum äußersten Opfer bereit sein, das kann in manchen Fällen bedeuten, daß er auch auf die Ehefrau und das Eheleben verzichten muß. In anderen Fällen braucht er das nicht. Der Zölibat oder die Enthaltsamkeit ist keine absolute Notwendigkeit für den Diener Gottes.
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Auch aus der Frühzeit der alten Kirche gibt es Nachrichten, die dagegensprechen, daß es eine durchgehende Tradition von Jesus über die Apostel bis hin zur späteren Kirche gegeben hat, wonach die Priester von Anfang an zölibatär oder enthaltsam leben mußten.
IDa ist einmal der 52. Brief des hl. Cyprian. In diesem Brief beklagt sich der nordafrikanische Bischof mit vielen Worten über einen Priester Novatus. Cyprian erhebt eine Reihe schwerer Vorwürfe gegen ihn. Er schreibt unter anderem:
Die Waisen, die er beraubt, die Witwen, die er betrogen, und auch die Gelder der Kirche, die er abgeleugnet hat, ziehen ihm die Strafen zu, die wir in seiner Raserei erblicken. Auch sein Vater ist auf offener Straße Hungers gestorben. Seine Frau stieß er mit dem Fuße auf den Unterleib, wodurch er ihre vorzeitige Niederkunft und den Tod des Kindes verursachte.
(Brief 52,2)
Cyprian wirft dem Novatus vieles vor, nicht aber, daß er verheiratet war und ein Kind gezeugt hatte. An einen Pflichtzölibat oder an ein Abstinenzgebot für verheiratete Priester hat Cyprian offensichtlich nicht gedacht. Cyprian ist 258 den Märtyrertod gestorben. Dieser Brief bestätigt also das „alte Herkommen“, wonach es das Recht der Kleriker war, eine Frau zu besitzen und mit ihr Kinder zu zeugen.
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Daß es sogar dem Bischof erlaubt war, mit seiner Frau ehelich zusammenzuleben, ergibt sich aus einem Brief des Ignatius von Antiochien an den Bischof Polykarp von Smyrna. Im 5. Kapitel dieses Briefes, den Ignatius um das Jahr 110 verfaßt hat, schreibt er einige Ermahnungen auf, die die christliche Ehe betreffen. Dabei erklärt er auch folgendes:
Wenn jemand zur Ehre des Fleisches des Herrn in der Keuschheit zu bleiben vermag, so bleibe er es ohne Selbstruhm. Rühmt er sich, so ist er verloren; und wird er für mehr angesehen als der Bischof, so ist er dem Verderben verfallen.
Bei dem „Fleisch des Herrn“ handelt es sich mit Sicherheit um das heilige Abendmahl. Wenn jemand also zur Ehre des Abendmahls bleibende Keuschheit übt, so wird damit wohl ein Priester gemeint sein, der die tägliche Messe feiert und dementsprechend absolut enthaltsam lebt; oder es handelt sich um einen Laien, der täglich kommuniziert und dafür ebenfalls die vollständige eheliche Enthaltsamkeit auf sich nimmt.
Dazu schreibt Ignatius: Wenn jemand das kann und tut, ist der Fall in Ordnung. Er soll aber in keinem Fall stolz werden; und niemand soll meinen, daß ihm mehr Ehre gebühre als dem Bischof - wobei ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß der Bischof eine normale Ehe führt. Denn wenn auch der Bischof enthaltsam lebte, gäbe es ja überhaupt keinen Grund, einen enthaltsam lebenden Priester oder ein enthaltsames Gemeindeglied über den Bischof zu stellen.
Die beiden ältesten Nachrichten, die mir zur Ehe und Enthaltsamkeit in der alten Kirche bekannt sind, der 52. Brief des Cyprian und der Brief des Ignatius an Polykarp, gehen also selbstverständlich von normal verheirateten Priestern bzw Bischöfen aus. Damit wird es sehr unwahrscheinlich, daß es von den Aposteln über die Märtyrerkirche bis hin zur späteren Reichskirche eine kontinuierliche Tradition der ehelichen Enthaltsamkeit gab, die im Lauf der Zeit in angemessener Weise zum Zölibat führte. Und das ist um so unwahrscheinlicher, als schon die Evangelien zu erkennen geben, daß es hier von Anfang an keine feste Regel gab. Dazu kommt dann auch noch die Nachricht, daß der Apostel Petrus und andere Apostel ihre Frauen mitgenommen haben auf ihre Missionsreisen.
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Mit Ausnahme des sehr frühen Ignatiusbriefes an Polykarp kommen alle bisher angeführten kirchengeschichtlichen Nachrichten aus der Westkirche, in der etwa seit der Zeit der Synode von Elvira die absolute eheliche Enthaltsamkeit der Kleriker gefordert wird. Auch in der Ostkirche gibt es eine Reihe von Äußerungen, die die eheliche Enthaltsamkeit der Kleriker verlangen und sie als eine apostolische Forderung ansehen[v].
Eine besonders tragische Nachricht stellt allerdings der 1. Kanon des Konzils zu Nizäa dar, in dem es heißt:
Wenn jemand in Krankheit von Ärzten operiert oder von Barbaren entmannt worden ist, so verbleibt er im Klerus. Wenn aber ein Gesunder sich selbst entmannt hat, ist er auch als Kleriker daraus zu entfernen, und von jetzt an darf niemand mehr, der solches getan hat, in den Klerus aufgenommen werden.
Wenn die erste große Reichssynode im ersten Kanon von insgesamt 20 Kanones die Selbstentmannung von Klerikern oder die Weihe von Selbstentmannten verbietet, muß ein größeres Problem vorgelegen haben. Offensichtlich sind viele verheiratete Priester und Diakone nicht in der Lage gewesen, die absolute eheliche Enthaltsamkeit durchzuhalten und haben zum Radikalmittel gegriffen und sich selbst kastriert. Manche scheinen das vor ihrer Weihe getan zu haben, die anderen erst danach.
Das Konzil hat diesen Ausweg verboten - vielleicht weil es die Lösung des Problems in anderer Richtung sah. Es gibt in diesem Punkt nämlich noch eine andere, wichtige Überlieferung vom Konzil zu Nizäa. Es wird berichtet[vi], daß während der Synode der Antrag gestellt worden ist, man möge den verheirateten Bischöfen, Priestern und Diakonen den Gebrauch ihrer ehelichen Rechte untersagen, doch der ägyptische Bischof Paphnutios, der selber im Kloster erzogen und ehelos war, habe Einspruch erhoben und den Antrag zu Fall gebracht. Der altkirchliche Historiker Sokrates berichtet darüber:
Es gefiel den Bischöfen, ein neues Gesetz in der Kirche einzuführen, daß die Kleriker, nämlich die Bischöfe, Presbyter und Diakone, nicht mehr ihren Frauen, die sie noch als Laien geheiratet hatten, beiwohnen. Und als man darüber beratschlagte, stand Paphnutios inmitten der Bischofsversammlung auf und setzte sich vehement dafür ein, den Klerikern keine zu schweren Lasten aufzubürden. Ehrbar sei das Ehebett und die Ehe makellos.
Möglicherweise hätte das Konzil zu Nizäa also einen ähnlichen Entschluß gefaßt wie das Konzil zu Elvira, wenn nicht das energische Auftreten eines Bischofs das verhindert hat. Immerhin hat es diesen Bischof gegeben und man hat auf ihn gehört. Sein Argument entspricht dem Geist der Bibel: Ehrbar ist das Ehebett und die Ehe makellos.
Nun hat man versucht, diese Überlieferung zur Legende zu erklären. Stefan Heid versucht das mit der folgenden Erklärung[vii]:
Wohl hat es einen Mann solchen Namens gegeben, aber ob er Bischof war, ist ganz fraglich, und am Konzil von Nizäa hat er nicht teilgenommen.
Was hier ziemlich willkürlich als fraglich hingestellt wird, ist in Wirklichkeit ganz gut bezeugt. Auch der Kirchenhistoriker Theodoret schreibt nämlich über Paphnutios, er sei einer der 318 Bischöfe gewesen, die am Konzil zu Nizäa teilgenommen hätten. Theodoret rechnet Paphnutios dabei zu den besonders erwähnenswerten Bischöfen, weil er in den früheren Christenverfolgungen besonders standhaft gelitten hat[viii].
Offenbar paßt aber die Paphnutiosgeschichte manchen katholischen Theologen nicht ins Konzept. Darum erklären sie diesen Bericht recht willkürlich und ohne eine durchschlagende Begründung zur Legende.
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Im Jahr 691 hat das zweite Trullanische Konzil in Konstantinopel jene Regel beschlossen, die heute noch in der orthodoxen Kirche gilt: Wer als Priester oder Diakon verheiratet war, bevor er geweiht wurde, darf eine normale Ehe führen, außer daß er vor der sonntäglichen Meßfeier ehelich fastet. Nach der Weihe darf er in keinem Fall mehr heiraten. Eine andere Regelung gilt für den Bischof. Er muß unverheiratet oder verwitwet sein, wenn er geweiht werden soll, und selbstverständlich darf er auch nach seiner Weihe nicht mehr heiraten. Verglichen mit dem katholischen Zölibat, ist das zumindest für den Priester und Diakon eine relativ milde Regel. Wie allerdings ein jung verwitweter Priester mit der geforderten Ehelosigkeit zurechtkommt, kann ich mir nicht vorstellen. Auch für ihn gilt doch das Bibelwort:
Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei ...
(1.Mose 2,18)
3. Das Problem der vielen geschiedenen evangelischen Pastoren
Die katholischen Verteidiger des Zölibats weisen auf die hohe Scheidungsrate der evangelischen Pastoren und Bischöfinnen hin. Hier liegt in der Tat ein schwerwiegendes Problem. In früheren Zeiten war die evangelische Kirche stolz auf das evangelische Pfarrhaus. Die Pfarrersfamilien hatten viele Kinder und pflegten in aller Regel ein vorbildliches, harmonisches Familienleben.
Diese Zeiten sind leider vorbei. Mir hat ein Familienrichter gesagt, die evangelischen Pastoren ständen an der Spitze der Scheidungsstatistik. Der Hauptgrund dafür, so hat er mir erklärt, sei, daß der Pfarrer und die ebenfalls berufstätige Frau keine gemeinsame Freizeit hätten. Der Pfarrer muß ja vor allem dann arbeiten, wenn die Gemeindeglieder Zeit haben, also sonntags und an den Abenden in der Woche. Sonnabends muß er seine Predigt vorbereiten. Wenn die berufstätige Frau nach Hause kommt, hat ihr Mann also keine Zeit für sie.
Was sagt die evangelische Kirchenleitung dazu? Mir ist keine Äußerung bekannt. Meines Erachtens ist die Kirchenleitung verpflichtet, hier zu helfen und einzugreifen. Sie sollte es finanziell honorieren, wenn die Pfarrfrau zu Hause bleibt, wenn sie willig ans Telefon geht und den Anrufern eine erste Auskunft gibt; wenn sie die Handwerker in die Kirche läßt, die Altarwäsche wäscht oder andere Küsterdienste willig übernimmt. Vor allem, wenn sie bereit ist, irgend welche Kreise zu leiten oder im Kindergottesdienst zu helfen, sollte die Kirche das großzügig honorieren.
Ich bin überzeugt, daß das so ausgegebene Geld besser für die Kirche arbeiten würde als in den meisten gesamtkirchlichen Ämtern - die Frauenbeauftragte inklusive. Ich bin allerdings skeptisch, was die Klugheit der evangelischen Kirchenleitungen angeht; und so wird das evangelische Pfarrhaus weiterhin zerfallen, und wir werden weiterhin als abschreckendes Beispiel für die katholische Kirche dastehen.
4. Freiwillige Enthaltsamkeit
Bei den Juden war es selbstverständlich, daß ein Mann, wenn irgend möglich, heiratete und Kinder zeugte. Wer das absichtlich nicht tat, galt wie ein Mensch, der Blut vergossen hat. Diesen moralischen Zwang zur Ehe hat Jesus abgelehnt. Im Matthäusevangelium wird ein Wort überliefert, mit dem wir uns schon befaßt haben und das man wie folgt übersetzen kann:
Es sind nämlich einige als Eunuchen von Mutterleib an (geboren) worden, und einige sind von den Menschen zu Eunuchen verschnitten worden, und einige sind Eunuchen, die sich selbst verschnitten haben um des Himmelreiches willen. Wer es fassen kann, der fasse es.
(Mt 19,12)
Mit diesem drastischen Wort ermutigt Jesus diejenigen, die aus freiwilligem Entschluß um des Reiches Gottes willen ledig bleiben oder enthaltsam leben wollen. Mit der kurzen Bemerkung: „Wer es fassen kann, der fasse es“, bringt er jedoch zum Ausdruck, daß dies nur wenige sein werden und daß viele einen solchen Entschluß nicht verstehen werden.
Ein Beispiel eines solchen gesegneten ehelosen Lebens stellt uns Lukas bei der Darstellung Jesu im Tempel vor Augen:
Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuels, vom Geschlecht Asser; die war hochbetagt und hatte gelebt sieben Jahre mit ihrem Manne nach ihrer Jungfrauschaft und war nun eine Witwe bei vierundachtzig Jahren, die kam nimmer vom Tempel, diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
(Lk 2,36-38)
Wenn es solche Leute in der Kirche gibt - vielleicht Mönche und Nonnen - die „Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht dienen“, so ist das ein großer Schatz der Kirche. Aber es werden immer nur wenige sein. Und man kann eine solche Hingabe an Gott nicht erzwingen. Weder ein normales Gemeindeglied wird dazu zeitlich und kräftemäßig in der Lage sein, noch ein Pfarrer. Auch die Prophetin Hanna stellt ja im Neuen Testament eine Ausnahme dar.
In der gleichen Geschichte von der Darstellung Jesu im Tempel wird uns auch von dem frommen alten Simeon berichtet, der vermutlich ein normales jüdisches Leben geführt hat. Er war wahrscheinlich verheiratet, inzwischen vielleicht verwitwet, und von ihm - nicht von der Prophetin Hanna - wird uns ein großes Wort berichtet, das später sogar Eingang gefunden hat in das Nachtgebet der Kirche:
Herr, nun lässest du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen ...
(Lk 2,29-30)
Lukas stellt uns mit der Prophetin Hanna ein leuchtendes Vorbild vor Augen, die „Gott diente mit Fasten und Beten Tag und Nacht“. Aber er stellt die seit vielen Jahren ehelose Hanna nicht über den vermutlich normal verheirateten Simeon.
Das ist in der katholischen Theologie anders. Immer wieder stößt man auf die Behauptung, die „Jungfräulichkeit“ sei höherstehend als die Ehe. So erklärt beispielsweise das 2. Vatikanum zur Priesterausbildung:
Über die Pflichten und Würde der christlichen Ehe, die ein Bild der Liebe zwischen Christus und seiner Kirche ist, sollen die Alumnen gebührend wissen; sie sollen aber klar den Vorrang der Christus geweihten Jungfräulichkeit erkennen ...
(Priesterausbildung 10)
Wie wird der Vorrang der Ehelosigkeit begründet? Von katholischer Seite wird gern auf 1.Kor 7,32+33 hingewiesen, wonach der Verheiratete sich um die Dinge der Welt sorgt und wie er seiner Frau gefällt; der Ledige dagegen sei frei für Gott. Dagegen sage ich: So holzschnittartig einfach liegen die Dinge nicht, und so einfach wird auch Paulus die Dinge nicht gesehen haben.
Gelegentlich erreicht uns irgend ein Spendenaufruf, in dem ein katholischer Priester Geld für ein Waisenhaus in einem der armen Länder dieser Welt sammelt. Kümmert sich dieser Priester nun um weltliche Dinge oder um das Reich Gottes? Wenn es gut geht, ist doch beides der Fall: Er sorgt sich sowohl um das weltliche wie auch um das geistliche Wohlergehen seiner Kinder. In diesem Fall gehören beide Anliegen widerspruchslos zusammen. Wie ist es aber mit einem evangelischen Pfarrer, der für seine eigenen Kinder verantwortlich ist? Ist da nicht die Sorge um seine Kinder ebenfalls zugleich eine weltliche wie geistliche Sorge? Und enthält nicht auch die Sorge um die Frau und Mutter seiner Kinder ein durchaus geistliches Anliegen?
Bei dem Vergleich von Ehe und Ehelosigkeit werden meines Erachtens zwei Dinge miteinander verglichen, die beide kaum zu ermessen sind. Wie will man den Nutzen der christlichen Familie für die christliche Kirche ermessen und wie den Nutzen der Ehelosigkeit? Wer weiß, welchen Wert vor Gott das Gebet einer Mutter am Bett ihres Kindes hat verglichen mit der immerwährenden Anbetung der Nonnen im Kloster? Und wer weiß, wie Gott es bewertet, wenn eine Mutter sich die Mühe macht und sich die Zeit nimmt, mit ihrem pubertierenden Sohn über Freundschaft, Liebe und Sexualität zu diskutieren.
Wird beim Vergleich von Ehe und Ehelosigkeit vielleicht die Erziehungsleistung der Familie von der Kirche ähnlich gering eingeschätzt, wie das in der säkularen Gesellschaft offensichtlich der Fall ist? Schrumpfen nicht die Kirchen aus dem gleichen Grund wie unser deutsches Volk, weil man hier wie dort die Familie gering schätzt? Die evangelische Kirche hat in früheren Zeiten ganz gut ohne Zölibat und Mönche und Nonnen überlebt, weil die Familien noch einigermaßen intakt waren. Dagegen schrumpfen in beiden Kirchen mit den Familien das ganze Kirchenvolk wie auch die geistlichen Berufungen.
Ich habe nichts gegen Mönche und Nonnen und nichts gegen einen freiwilligen Zölibat, wohl aber etwas gegen den unglücklichen Vergleich von Ehe und Ehelosigkeit, wobei das Wort „Familie“ erstaunlicherweise ausgeklammert bleibt. Dagegen findet der Apostel Paulus ganz ungewöhnlich anerkennende Worte über die christliche Frau und Mutter, die mehrere Kinder hat und sie im Glauben erzieht:
Sie wird ... selig werden dadurch, daß sie Kinder zur Welt bringt, wenn sie bleiben im Glauben und in der Liebe und in der Heiligung samt der Zucht.
(1.Tim 2,15)
Wer hat schon jemals eine Predigt über diesen Vers gehört? Eine Predigt über diesen Vers ist weder in der evangelischen Perikopenordnung noch in der katholischen Leseordnung vorgesehen!
Die Kirchen sollten aber möglichst alles tun, damit die Gläubigen um des Reiches Gottes willen heiraten und viele Kinder bekommen und sie möglichst christlich erziehen. Und in diesem Sinn sollte das evangelische Pfarrhaus wieder ein leuchtendes Vorbild sein - vielleicht aber auch das katholische.
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Ich kenne zwei evangelische Pastoren, die in Ehelosigkeit leben und deren Arbeit, wie mir scheint, besonders gesegnet ist. Ihre Gemeindearbeit hat eine große, überegionale Ausstrahlungskraft, und was mir am erstaunlichsten erscheint: Es kommen von weit her evangelische Christen, um bei diesen Pfarrern zu beichten.
Dies scheint mir übrigens der größte Vorteil eines zölibatären Priesters zu sein, daß, wie ich glaube, die Gemeindeglieder lieber bei ihm beichten. Beim evangelischen, verheirateten Pfarrer haben die Gemeindeglieder offenbar die Furcht, er werde seine Frau über die Beichten informieren. Sind sie nicht verheiratet? Da wird doch der Mann keine Geheimnisse vor seiner Frau haben?!
Auf dem freiwilligen Eheverzicht eines Pfarrers kann offenbar ein großer Segen ruhen. Die Kirche kann gerne dazu ermutigen. Man sollte aber niemandem ein Gelöbnis abverlangen, mit dem er später unter Druck gesetzt werden kann. Wenn er dann doch noch heiraten will, sollte er nicht aus dem Amt „gejagt“ werden, wie die Synode von Elvira das vorgesehen hat.
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Ich schließe mit einem kurzen Hinweis auf die Ehe des Apostels Petrus: In der Kirchengeschichte des Euseb steht eine alte Überlieferung, die auf Clemens Alexandrinus zurückgeht. Nach diesem Bericht hat die Frau des Petrus das Martyrium erlitten, und Petrus hat sie dabei getröstet. Der Ort dieses Geschehens wird nicht mitgeteilt, es liegt aber nahe, an die Christenverfolgung des Nero in Rom zu denken. Jedenfalls scheint Petrus bei seiner Missionsreise von seiner Frau begleitet worden zu sein. Euseb schreibt:
Als der selige Petrus ... sah, wie seine Frau zum Tode geführt wurde, freute er sich über ihre Berufung und ihren Heimgang, rief ihr unter Namensnennung zu: „Gedenke, Weib, des Herrn!“ und richtete an sie sehr ermunternde und trostreiche Worte. So sah die Ehe der Seligen aus, so die erhabene Gesinnung derer, die sich innig liebten.
(hist eccl III,30)
Hier fällt ein Stichwort, das man sonst in der ganzen Debatte um Enthaltsamkeit und Zölibat vermißt. Euseb spricht von der „Liebe“ - von der Gattenliebe! Das Geheimnis ist groß!
Karsten Bürgener
Anmerkungen
[i].) „Forum Katholische Theologie“ 2011, Heft 1, Seite 1.
[ii].) Roger Liebi „Der Messias im Tempel“ (Bielefeld 2003) Seite 474+481f.
[iii].) Homer „Odyssee“ 9.Gesang 40-42 / vgl Ri 5,30 (und 5.Mose 21,10-14).
[iv].) Dial IV,12.
[v].) Eusebius „Demonstratio evangelica“ I,9,20f / Epiphanius „Panarion“ 48,9 / 59,1-8.
[vi].) Siehe hierzu und zum folgenden Zitat Socrates Scholasticus: „Historia eccl.“ I, 11
(PG 67,101-104).
[vii].) Stefan Heid „Zölibat in der frühen Kirche“ 32003 (Paderborn) Seite 16. Der erste, der die Paphnutiosgeschichte zur Legende erklärt hat, war zwar der Protestant Friedhelm Winkelmann, aber über dessen Argumente und sein Interesse schweigt Heid sich aus. Seine Argumente scheinen wohl nicht sehr überzeugend zu sein.
[viii].) Theodoret von Cyrus „Kirchengeschichte“ I,7.