Sie sind hier

Ordination ohne Amtscharisma? Eine Dokumentation.

1. Die Stellungnahme der VELKD-Bischofskonferenz

2. Protestschreiben

3. Antwort des Leitenden Bischofs Dr. Johannes Friedrich

4. Antwort von Karsten Bürgener
 

1. Die Stellungnahme der VELKD-Bischofskonferenz

Im November 2006 hat die Bischofskonferenz der VELKD  unter dem Titel “Ordnungsgemäß berufen“ eine Stellungnahme zum rechten Verständnis der evangelischen Ordination herausgebracht. In diesem Scheiben wird wiederholt die Aussage gemacht, daß in der evangelischen Ordination keinerlei Amtscharisma vermittelt werden soll. Die geistliche Vollmacht des Ordinierten beruhe einzig und allein auf seiner Taufe bzw. auf dem durch die Taufe vermittelten “allgemeinen Priestertum“. Die Ordination diene einzig dazu, aus der großen Schar der Getauften den einen oder anderen auszusondern und in einem öffentlichen Verfahren “ordnungsgemäß“ zu berufen.

In dem Bischofs-Papier heißt es wörtlich:

Im Blick auf die öffentliche Verkündigung - Predigt und Sakramentsverwaltung - ist es erforderlich, dass das grundsätzlich jedem Christenmenschen zukommende Priesterrecht hier nur von Personen wahrgenommen wird, die ordnungsgemäß berufen sind, dieses Recht im Namen aller und für alle auszuüben. Jedoch haben als Getaufte grundsätzlich alle Christenmenschen die Fähigkeit zum priesterlichen Dienst.
(Seite 10f)

Und an anderer Stelle heißt es:

Die ordnungsgemäße Berufung ist also der Akt, in dem einem Christenmenschen - unter Gebet und Handauflegung - die Rechte und Pflichten zur öffentlichen Verkündigung übertragen werden. Sie ist jedoch nicht die Verleihung einer besonderen geistlichen Fähigkeit, die über die aller Christen hinausginge.
(Seite11f)

Oder es heißt:

Zu widersprechen ist einem Verständnis der Übertragung des Amtes der öffentlichen Verkündigung, wonach ein Christ durch sie erst zur Wortverkündigung und zur gültigen Darreichung der Sakramente befähigt würde. Weil die Fähigkeit dazu grundsätzlich allen Christenmenschen eignet, ist jede Deutung der Übertragung des Amtes im Sinne einer Weihe abzulehnen. Sie verleiht keine besondere, zu spezifischen Amtsvollzügen überhaupt erst instandsetzende Seinsqualität ...
(Seite 17)

(Hinweis: Die Hervorhebung durch Fettdruck kommt vom Herausgeber dieser Webseite. Die Seitenzahlen differieren im späteren Nachdruck um eine Zahl.)

Mit dem Schreiben der VELKD-Bischöfe wird also jedem Amtscharisma eine schroffe Absage erteilt. Damit wird natürlich auch die apostolische Sukzession in dem Sinn einer besonderen pfarramtlichen Segenssukzession - sei es durch die bischöfliche Handauflegungskette oder durch die presbyterale Sukzession - verneint.

Wenn früher ein junger Theologe sich vor der Ordination erkundigte, ob der ordinierende Bischof wohl in der apostolischen Sukzession stehe, dann wurde ihm in aller Regel gesagt, bei der Einführung des deutschen evangelischen Bischofs habe auch ein schwedischer Bischof assistiert, und die schwedischen Bischöfe stünden ja wohl in gültiger apostolischer Sukzession. So hat man die jungen Theologen in aller Regel mit Erfolg beruhigt, obwohl eine “Einführung“ ja eigentlich keine Ordination oder Weihe ist. In Zukunft wird man wohl mit aller Härte den Standpunkt vertreten: Die Ordination gibt nichts, was der Getaufte nicht schon hat, und das reicht völlig zur gültigen Sakramentsverwaltung. (Vom Strandpunkt der Ökumene betrachtet wird dadurch die Kluft, die uns in der Amtsfrage von den Katholiken trennt, wesentlich vertieft.)
 

 

2. Protestschreiben

Gegen die Stellungnahme der VELKD-Bischofskonferenz haben im Frühjahr 2007 eine Reihe lutherischer Theologen einen scharfen Protest eingelegt. Dieses Schreiben hat den folgenden Wortlaut:

Mit tiefer Enttäuschung stellen wir fest, daß die evangelisch-lutherischen Bischöfe und Bischöfinnen in Deutschland ein Papier erarbeitet und beschlossen haben, das in der Frage von geistlichem Amt, allgemeinem Priestertum und gültigem Abendmahl unbiblisch argumentiert. In ihrer Verlautbarung “Ordnungsgemäß berufen“ haben sie in einer wichtigen Frage in wesentlichen Teilen die Heilige Schrift verworfen und sind statt dessen unbiblischen Schlagworten gefolgt.

Jesus hat gesagt:

Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.
(Joh 6,53).

Das heißt: Ohne ein gültiges Abendmahl gibt es im Normalfall kein geistliches Leben. Mit Brot und Wein hantieren und sich dabei fromme Gedanken über den Kreuzestod Christi machen, kann jeder. Das gültige Abendmahl hingegen setzt voraus, daß die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi durch Vollzug eines gültigen Segens verwirklicht wurde. Die Vollmacht dazu ist aber nicht jedermann verliehen, auch nicht jedem Getauften.

Die wichtigste Bibelstelle, daß zu einem Abendmahl ein solcher Segen gehört, ist 1.Kor 10,16:

Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi?

Zu Recht wird in der Solida Declaratio immer wieder auf diese Bibelstelle hingewiesen, und es wird erklärt, daß der Segen beim Abendmahl in den segnend gesprochenen Einsetzungsworten besteht. Zum Abendmahl gehört also nach der Heiligen Schrift ein Segen, der die Konsekration bewirkt, und das lutherische Bekenntnis weist ausdrücklich auf diesen biblischen Tatbestand hin.

In diesen Zusammenhang gehören auch die beiden in den Abendmahlsberichten erscheinenden Partizipien »eulogesas« und »eucharistesas«. Sie werden synonym gebraucht und sind auch beide doppeldeutig. Man kann beide mit “indem er dankte“ oder “indem er segnete“ übersetzen (ThW IX,401-405). In den Einsetzungsberichten ist offenbar beides gemeint. Jedes jüdische Segensgebet begann mit einem Dank, dem dann die Segensbitte folgte. So hat es offenbar auch Jesus gemacht. So muß es also die Kirche machen: danken und segnen.

Auch das Wort “Segen“ ist im Alten wie im Neuen Testament mehrdeutig. Es kann einen freundlichen Segenswunsch ausdrücken und - was nicht das gleiche ist - einen vollmächtigen Segen. Es versteht sich von selbst, daß bei dem hohen Wunder des Abendmahls ein vollmächtiger Segen gemeint sein muß; einige gute, freundliche Worte genügen da nicht.

Zu einem vollmächtigen Segen aber hat nach der Heiligen Schrift nicht jeder die Vollmacht. Das zeigt schon die Geschichte, in der Jakob sich den Segen von seinem Vater Isaak erschleicht. Wäre jedermann zu Isaaks Segnen in der Lage, hätte Esau sich einfach von seinem ersten besten Knecht segnen lassen können. Er wäre gleich gesegnet gewesen wie sein Bruder, und es hätte keinen tieferen Grund für Zorn und Familienstreit gegeben.

Auch im Zusammenhang mit der Bileamgeschichte bekräftigt die Heilige Schrift:

... ich weiß, wen du segnest, der ist gesegnet, und wen du verfluchst, der ist verflucht.
(4.Mose 22,6)

Hier bezeugt die Bibel: Gute Worte kann jeder machen, aber wirkliches Segnen setzt eine Vollmacht voraus. Der Jahwe-Prophet Bileam hatte eine solche Vollmacht (wenn er sie auch mißbrauchen wollte); der König der Moabiter hatte keine Segensvollmacht.

Später waren es die Priester und Leviten aus dem Stamm Levi, denen Gott eine exklusive Segensvollmacht gegeben hatte:

Zur selben Zeit sonderte der HERR den Stamm Levi aus, die Lade des Bundes des HERRN zu tragen und zu stehen vor dem HERRN, ihm zu dienen und in seinem Namen zu segnen bis auf diesen Tag.
(5.Mose 10,8)

Die Worte “in seinem Namen“ unterstreichen, daß es sich um einen wirklichen, wirkungsmächtigen Segen handelte.

Daß es in der Segenstheologie keinen Unterschied zwischen Altem und Neuem Testament gibt, zeigt der Hebräerbrief:

Nun ist’s ohn alles Widersprechen so, daß das Geringere vom Höheren gesegnet wird.
(Hebr 7,7)

Es gibt also ohne jeden Widerspruch Unterschiede in der Segensvollmacht. Es gibt eine höhere Vollmacht und eine geringere - und selbstverständlich auch das Fehlen jeder Vollmacht.

In krassem Widerspruch zu solchen Aussagen der Heiligen Schrift erklären die lutherischen Bischöfe, daß grundsätzlich alle getauften Christenmenschen “die Fähigkeit zum priesterlichen Dienst“ hätten (S.10f) - also auch die Fähigkeit einen Wandlungssegen zu vollziehen. (Vorsichtshalber weisen wir daraufhin, daß auch unser lutherisches Bekenntnis den Ausdruck “Wandlung“ zum Abendmahlsgeschehen verwendet: Apol CA X,55.)

In 2. Tim 1,6ff bezeugt die Bibel die Vermittlung eines Charisma durch die Handauflegung des Apostels Paulus:

Um solcher Ursache willen erinnere ich dich, daß du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände. Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. Darum so schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn ...

Die erwähnte “Gabe Gottes“ steht deutlich erkennbar im Zusammenhang mit der mutigen Verkündigung des Evangeliums. Hier ist ganz offenkundig von der Amtsgnade die Rede, die hier im Zusammenhang mit der mutigen Predigt erwähnt wird, die aber selbstverständlich auch in anderer Hinsicht von Bedeutung ist. Die Bischöfe schreiben allerdings zu dieser Stelle:

Dass mit dem Akt die Verleihung einer besonderen Amtsgnade gemeint sei, ist nicht zu erkennen.
(S. 7)

Warum können sie nicht erkennen, was ganz offenkundig ist? In 1.Tim 4,14 finden wir eine ähnliche Äußerung des Apostels Paulus:

Laß nicht außer acht die Gabe in dir, die dir gegeben ist durch Weissagung mit Handauflegung des Presbyteriums.

An dieser Stelle ist doch mit dem “Presbyterium“ die Kirchenleitung gemeint, vielleicht auch das kirchliche Amt an sich, als dessen Vertreter der Apostel wohl selber die Ordination vollzogen hat - oder es haben von ihm selbst ordinierte “Älteste“ dies getan.

Mit dem Wort “Weissagung“ ist doch unbezweifelbar ein vollmächtiges Gotteswort gemeint bzw ein vollmächtiges Ordinationsgebet. Das biblische Wort für “weissagen“ hat ja ein sehr weites aber immer direkt gottbezogenes Bedeutungsfeld! (Hes 37,4-10!)

Jedenfalls ist in 1.Tim 4,14 wie in 2. Tim 1,6 klar und eindeutig: Timotheus hat bei seiner Ordination ein Charisma bekommen, das er nicht schon längst seit seiner Taufe besaß. Das heißt: Die Taufe allein gibt nicht alles, was für den Amtsträger hilfreich und nötig ist.

Die lutherischen Bischöfe schreiben allerdings über die Ordination, sie sei

nicht die Verleihung einer besonderen geistlichen Fähigkeit, die über die aller Christen hinausginge.(S.12)

Wenn das stimmen würde, wäre das Charisma, das Timotheus bei seiner Ordination erhalten hat, unnötig, also überflüssig - und die Ordination überhaupt wäre leeres Theater. Oder sollen wir annehmen, daß die Ordination zu biblischen Zeiten noch eine besondere Gabe des Heiligen Geistes vermittelt habe, daß aber die heute zu Ordinierenden diese nicht mehr brauchen?

Die lutherischen Bischöfe berufen sich ausgiebig auf das allgemeine Priestertum (S. 5-8). Über das königliche Priestertum aller Gläubigen kann man in der Tat viel Gutes sagen, es gibt aber keine Schriftstelle, aus der hervorgeht, daß es nach der Taufe keine weiteren Gnadengaben geben könne, oder daß alle Getauften die gleiche Segensvollmacht hätten, oder daß durch das allgemeine Priestertum ein besonderes kirchliches Amt ausgeschlossen sei.

Es ist ja offenkundig, daß das allgemeine Priestertum weder den Unterschied zwischen den klugen Christen und den Einfältigen aufhebt, auch nicht den Unterschied zwischen Glaubensstarken, Kleingläubigen oder sogar ungläubigen Christen - auch nicht den Unterschied zwischen Gottes folgsamen Schafen und den widerspenstigen Böcken. Wo aber läßt sich erkennen, daß das allgemeine Priestertum die unterschiedliche Geistbegabung zwischen den Ordinierten und den Nichtordinierten aufhebt bzw gar nicht erst zuläßt?

Wir fragen, wohlgemerkt, nach den biblischen Belegen. Lutherworte allein können hier keine ausreichende Begründung sein. Luther ist uns lieb und wert, aber nicht alles, was er in kirchlich schwerer Zeit gesagt oder geschrieben hat, kann als unfehlbare Lehre betrachtet werden. Die Heilige Schrift aber ist das unfehlbare Wort Gottes.

Wir sind enttäuscht und bedauern zutiefst, daß die lutherischen Bischöfe und Bischöfinnen das ganze biblische Argumentationsgeflecht von Segen, Amt, Charisma und Abendmahl nicht berücksichtigt haben. Oder haben sie es absichtlich beiseite gelassen? Diese Schlußfolgerung legt sich leider nahe, da im Vorwort Seite IV deutlich gesagt wird, daß eine “klare, stringente und theologische Lösung“ sich “in den Kirchen der EKD als nicht konsensfähig erwiesen“ hat.

Wenn die evangelischen Kirchen nicht mehr die Absicht haben, ihren Pfarrern bei der Ordination ein besonderes Amts-Charisma zu übertragen, steht zu befürchten, daß auch keines übertragen wird. Schon bei der Predigt steht zu vermuten, daß das Fehlen der Amtsgnade eine geringere Überzeugungskraft nach sich zieht. Weit schlimmer sind jedoch die Folgen für das Abendmahl. Ohne das besondere Amtscharisma - das heißt: ohne eine besondere Segensvollmacht - kann es keine wirkliche Gegenwart des Leibes und Blutes Jesu Christi geben. Daraus aber ergeben sich schwerwiegende Konsequenzen für das stets angefochtene geistliche Leben eines Christen, wie es unser Herr Jesus Christus selber zum Ausdruck gebracht hat:

Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.

Eine Kirche, die nicht beabsichtigt, ihren Amtsträgern ein besonderes Charisma zu vermitteln, wird schuldig an den Seelen ihrer Mitglieder.

Dieses Schreiben haben unterzeichnet:

 

  • Pastor Wolfgang Bartram, Golmbach
  • Pfarrer Friedrich Wilhelm Beckmann, Börninghausen
  • Professor Dr. Peter Beyerhaus, Gomaringen
  • Pastor i. R. Karsten Bürgener, Bremen
  • Pfarrer i. R. Wolfgang Büscher, Helmstedt
  • Pfarrer i. R. Jürgen Diestelmann, Braunschweig
  • Pfarrer Eberhard Eichhorn, Pferdsdorf
  • Pfarrer Frank-Georg Gozdek, Braunschweig
  • Pfarrer Hans-Otto Graser, Gündelbach
  • Pfarrer Gilbrecht Greifenberg, Wassermungenau
  • Pfarrer i. R. Johann-Georg Haeffner, Leipzig
  • Pfarrer i. R. Peter Heitmann, Dossenheim
  • Pastor i. R. Rolf Kien, Hamburg
  • Ministerialdirigent a.D. Dr. Hansjürgen Knoche, Hannover
  • Diakon Woldi Krüger, Negenborn
  • Pfarrer Albrecht Kunz, Friedrichsroda
  • Pfarrer Harald W. Losch, Balzheim
  • Tilman Ludwig, Kantor, Jena
  • Pastor Herbert Naglatzky, Hannover
  • Pfarrer Ernst Nestele, Winterlingen
  • Matthias Niche (Kommunität St. Michael), Cottbus
  • Pfarrer Gaston Nogrady, Markersbach
  • Pfarrer Oliver Peters, Paderborn-Schloß Neuhaus
  • Pastor Andreas Rüß, Altenkirchen
  • Professor Dr. Günter R. Schmidt, Erlangen
  • Pastor Jens Schmidt-Clausen, Hannover
  • Pastor Dr. Wilhelm Schmitzdorff, Hannover
  • Dr. Thomas Schöneburg, Möckers
  • Pfarrer Christof Schulze, Wünschendorf/Elster
  • Pastor John W. Siegmund, Henstedt-Ulzburg
  • Pfarrer Helmut Steinlein, Julbach-Buch
  • Pastor Sven Olof Svensson, Hannover
  • Pfarrer Andreas Theurer, Göttelfingen
  • Pfarrer Helmut Tonndof, Schwallungen
  • Pfarrer Henning Voigt, Sünna
  • Pfarrer Lic. Volkmar Walther
  • Pfarrer Andreas Wißmann, Leonberg
  • Pastor Karl-Heinz Zierenberg, Holenberg

     

     

    3. Antwort des Leitenden Bischofs Dr. Johannes Friedrich

    Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands

    Amt der VELKD
    Der Leitende Bischof
    Postfach 2102 20
    30402 Hannover

    Pastor i. R.
    Karsten Bürgener
    Ortkampsweg 30
    28259 Bremen

    Datum 02. Juli 2007

    Ihre Stellungnahme zu "Ordnungsgemäß berufen"

    Sehr geehrter Herr Pfarrer Bürgener,

    entschuldigen Sie bitte, dass ich erst heute antworte. Urlaub und Auslandsaufenthalte haben es nicht vorher ermöglicht. Zunächst danke ich Ihnen sehr für die Mühe, die Sie sich mit der Lektüre und der Auswertung unseres Textes "Ordnungsgemäß berufen" gegeben haben, und für die lange, ausführliche Stellungnahme dazu.

    Gleich zu Beginn möchte ich jedoch deutlich machen: Wir als Mitglieder der Bischofskonferenz, für die ich spreche, verwahren uns mit aller Schärfe gegen den gleich im ersten Abschnitt erhobenen Vorwurf, die Heilige Schrift zu verwerfen. Und ich füge hinzu: Solche Vorwürfe sind nicht geeignet, ein Gespräch zu eröffnen, sondern verhindern meiner Erfahrung nach ein Gespräche bzw. machen es unmöglich. Dieser Vorwurf macht jedoch sogleich einen wesentlichen Unterschied in der Argumentationsbasis deutlich, über den wir - so meine Erfahrung - vermutlich auch nicht hinwegkommen, und der liegt im Schriftverständnis begründet. Ich verstehe Sie so, dass für Sie alle Schriftworte gleich gewichtig und gleich gültig sind; die Bischofskonferenz argumentiert, wie wir meinen - mit den lutherischen Bekenntnissen, gerade auch der FC - von der Mitte der Schrift her, der Rechtfertigungsbotschaft und dem Auftrag, diese so sachgemäß und so wirkungsvoll wie möglich zu verkündigen. Dies hat schon Luther die Freiheit gegeben, von einem zentralen biblischen Kriterium aus innerhalb der Heiligen Schrift Zentrales von weniger Zentralem zu unterscheiden, und in dieser - klar fundierten - Freiheit legen auch wir die Schrift aus.

    Von daher können wir im Verständnis des Amtes und seiner Übertragung in der Heiligen Schrift eine Geschichte entdecken. In dieser Geschichte markieren die Stellen aus den (m. E. relativ jungen, nicht paulinischen) Pastoralbriefen, die Sie für die biblischen Belege einer besonderen "Amtsgnade" hatten, eine Momentaufnahme, von der man prüfen müsste, inwiefern sie repräsentativ für das Ganze des biblischen Amtsverständnisses sind. Jedenfalls ist ein Spannung zu 1. Kor 12, wo die Ämterübertragung direkt durch Gott, also charismatisch, geschieht, u. E. nicht zu verkennen.

    Das Verständnis der beiden von Ihnen genannten Stellen aus den Pastoralbriefen ist aus meiner Sicht auch nicht so klar, wie Sie dies darstellen. Zum einen ist die Spannung zwischen 1. Tim. 4,14 und 2. Tim 4,16 hinsichtlich des "Ordinators" zu beachten.

    Ist es im 2. Tim. Paulus, so sind es im 1. Tim. die Presbyter. Sodann handelt i. Tim 4,14 von einer Gabe, die durch Prophetenwort und Handauflegung gegeben wurde, was m E. eher für eine Designation (vgl. die alttestamentlichen Parallelen der prophetischen Designation!) als für die Übertragung einer spezifischen Amtsgnade spricht. Und in 2. Tim. 1,6 ist es nicht klar, ob die Gnade in Timotheus ist und durch die Handauflegung "aktiviert" wird oder ob sie diesem durch die Handauflegung erst übertragen wird.

    Wie ist nun diese Gnade zu verstehen? Muss ich sie gleichsam materiell-habituell deuten, als einen "Besitz", von dem im pastoralen Handeln der Gemeinde abgegeben wird? Oder ist sie eher im Sinne einer Vergewisserung der besonderen und unterscheidenden Aufgabe zu verstehen? Wir verstehen sie in letzterem Sinne und orientieren uns damit - wie wir meinen - näher am Gesamtzeugnis des Neuen Testaments.

    Blickt man also auf das Gesamtzeugnis des Neuen Testaments, so möchte ich unser Fazit noch einmal deutlich unterstreichen: Das Neue Testament schreibt wohl die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament vor, legt aber keine bestimmte Amtsstruktur und kein bestimmtes Amtsverständnis fest.

    In der Ordination wird also darum gebeten bzw. gebetet, dass auf dem Ordinanden der Geist Gottes ruhe - der aber kein anderer ist als der in der Taufe verliehene. Dieser Geist soll im Wirken des Pfarrers, der Pfarrerin wirksam werden und durch Wort und Sakrament Glauben wirken. Ontologisch ändern Pfarrer und Pfarrerinnen durch die Ordination nicht ihre Qualität. So verstehen wir den Duktus der CA im Licht des neutestamentlichen Zeugnisses.

    Sie argumentieren, dass es der besonderen Amtsgnade bedarf, um rite den Segen über den Elementen des Abendmahls zu sprechen. Diese Argumentation kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, weit sie u. E. nicht mit dem Segensverständnis der Bibel konvergiert. Zunächst hat grundsätzlich jeder die Fähigkeit zu segnen, das entnehme ich z. B. Röm. 12,14 und 1. Petr. 3,9. Grundsätzlich ist es Gott, der segnet. Darüber, ob ein Mensch einen gültigen Segen spricht oder nicht, entscheidet Gott. Kriterium dafür, ob der Segen gültig ist oder nicht, ist nach meinem Verständnis der Schrift die Beziehung zwischen Gott und dem Segnenden, konkret: die Tatsache, ob Gott seinen Segen auf das Segnen des Menschen gelegt hat. Dass dabei auch gegen die Intention der handelnden Personen entschieden werden kann, zeigt gerade Bileam (der keinesfalls JHWH-Prophet war!), der fluchen wollte und segnen musste. Wenn glaubende Menschen andere Menschen segnen, z. B.- Eltern ihre Kinder, dann rechne ich damit, dass der Segen wirksam wird.

    Ob ein Abendmahl rite gefeiert wird, hängt daran, ob Gott seinen Segen auf die Feier gibt oder nicht. Wir glauben, dass zu einer ordentlichen Feier insbes. die Einsetzungsworte, das Vaterunser, die Austeilung der Elemente und die Eucharistie, also die Danksagung an Gott, gehört. Und die gute Ordnung verlangt, dass nur besonders von der Kirche Beauftragte das Abendmahl einsetzen sollen (CA 14). Dass dieses - und darin stimmen wir ganz und gar überein - zusammen mit der Wortverkündigung zentrale Geschehen der Kirche in guter Ordnung geschieht, ist das Ziel unserer Textes "Ordnungsgemäß berufen". Und wir meinen weiterhin, dass dieser Text eine gute Grundlage dafür ist, dass das Evangelium kräftig und in guter Ordnung in unserem Land laut wird.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Johannes Friedrich

     

     

    4. Antwort von Karsten Bürgener

    Hochwürdiger Herr Bischof Dr. Friedrich!

    Vielen Dank, daß Sie trotz vieler dringender Aufgaben als leitender Bischof, die Zeit gefunden haben, auf unser Protestschreiben ausführlich zu antworten! Allerdings macht Ihr Brief dann doch den Eindruck, als ob er von nicht Ihnen selber, sondern von einem Ihrer theologischen Mitarbeiter verfaßt ist, der den Ernst unseres Protestes nicht verstanden hat, sondern meinte, mit leichter Hand eine schnelle Antwort aufsetzen zu können.

    Wie kann man bestreiten, daß Bileam ein Jahwe-Prophet war? Es steht doch deutlich geschrieben an diesen wie auch an anderen Stellen:

    Und er (= Bileam) sprach zu ihnen: Bleibt hier über Nacht, so will ich euch antworten, wie mir's der HERR sagen wird.
    (4.Mose 22,8)

    Da stand Bileam am Morgen auf und sprach zu den Fürsten Balaks: Geht hin in euer Land; denn der HERR will's nicht gestatten, daß ich mit euch ziehe.
    (4.Mose 22,13)

    Wenn mir (= Bileam) Balak sein Haus voll Silber und Gold gäbe, so könnte ich doch nicht übertreten das Wort des HERRN, meines Gottes, weder im Kleinen noch im Großen.
    (4.Mose 22,18)

    Wie kann man darauf beharren, daß in 1.Tim 4,14 von “Presbytern“ die Rede ist, nachdem wir schon darauf hingewiesen haben, daß hier “Presbyterium“ steht, was keineswegs das Gleiche ist?

    Wie kann man die klare Aussage von 2.Tim 1,6 in Zweifel ziehen, daß die Gnadengabe durch die Handauflegung des Apostels verliehen worden ist, die Erweckung dagegen durch Timotheus zu erfolgen hat? (Mit dem Amtscharisma verhält es sich offenbar so wie mit der Musikalität eines Menschen. Sie ist ihm von den Eltern vererbt, aber die Einübung liegt bei ihm selber. Wenn der Begabte nicht übt, wird er trotz seiner Musikalität das Klavierspielen nicht lernen.)

    Wie kann man aus  Rm 12,14 und 1.Pt 3,9 den eindeutigen Schluß ziehen, jeder Christ könne segnen? Für diejenigen, die es vielleicht noch nicht richtig zur Kenntnis genommen haben, haben wir schon in unserem Protestschreiben vorsichtshalber darauf hingewiesen,  daß die Vokabel “eulogein“ mehrdeutig ist. Sie kann mit “Gutes reden“ oder mit “segnen“ übersetzt werden. Wie kann man also aus zwei mehrdeutgen Bibelstellen eine eindeutige Aussage ableiten?

    Ein theologisches Gepräch wird nicht erst durch ein verschiedenes Schriftverständnis schwierig oder unmöglich, das Problem beginnt schon dort, wo eindeutige Bibelaussagen nicht beachtet oder verdreht werden, und wo zweideutige Stellen als eindeutige Beweise mißbraucht werden.

    - - -

    In Ihrem Brief heißt es:

    Grundsätzlich ist es Gott, der segnet. Darüber, ob ein Mensch einen gültigen Segen spricht oder nicht, entscheidet Gott.

    Wie ist das gemeint? Entscheidet Gott von Mal zu Mal anders - ohne daß wir wissen können, wie er entschieden hat? Oder entscheidet er nach gewissen Regeln, an die er sich selber in seiner großen Güte gebunden hat und die in der Heiligen Schrift wenigstens teilweise offenbart worden sind? Nach 4.Mose 6,22-27 hat Gott sich doch insofern selber gebunden, daß wenn der Hohepriester segnet, daß dann auch Er, Gott, segnet. Sollte das nicht auch für das kirchliche Amt gelten? Haben wir im neuen Bund nicht mehr als im alten?

    Wenn es in Ihrem Brief heißt:

    Wenn glaubende Menschen andere Menschen segnen ... dann rechne ich damit, dass der Segen wirksam wird.

    so will ich nicht ausschließen, daß Sie Recht haben. Aber was soll an dieser Stelle der Hinweis auf den Glauben? Es ist doch gerade das Tröstliche am kirchlichen Amt, daß es segnen und ein gesegnetes Abendmahl einsetzen kann, auch wenn der Glaube des Pfarrers leider fehlt (CA VIII!) - nur daß das bischöfliche Schreiben “Ordnungsgemäß berufen“ jetzt dem kirchliche Amt jede charismatische Vollmacht abspricht und in der Ordination auch kein Charisma vermittelt werden soll.

    Sie schreiben:

    Ontologisch ändern Pfarrer und Pfarrerinnen durch die Ordination nicht ihre Qualität. So verstehen wir den Duktus der CA im Licht des neutestamentlichen Zeugnisses.

    Ich würde das Wort  “ontologisch“, das aus der Philosophie entlehnt ist, in diesem Zusammenhang vermeiden. In der Bibel steht jedoch, daß Saul durch die Salbung des Samuel “umgewandelt“ und ein “anderer Mensch“ geworden ist (1.Sam 10,6+9). Könnte das nicht auch ein Vorbild für die Ordination sein? Noch einmal: Haben wir weniger im neuen Bund - oder mehr als im alten Bund?

    Es gibt gewiß zwischen den Ämtern des alten und des neuen Bundes Diskontinuitäten - aber es gibt auch Kontinuitäten. In Jer 33,15-18 ist vom zukünftigen Messias die Rede und von den zukünftigen “levitischen Priestern“. Eine solche Bibelstelle sollte uns davor warnen, die Amtsfrage nur “im Licht des neutestamentlichen Zeugnisses“ zu sehen.

    - - -

    Was nun das verschiedene Schriftverständnis angeht, so akzeptiere ich selbstverständlich Luthers Erkenntnis von der Mitte der Schrift. Und es ist ja auch ganz selbstverständlich, daß es wichtige und weniger wichtige Bibelstellen gibt. Daß allerdings die weniger Wichtigen - nämlich alle Bibelstellen, die nicht die biblische  Rechtfertigungslehre zum Ausdruck bringen - in das freiheitliche Belieben des Auslegers gestellt sind, kann ich bei Luther ebenso wenig finden, wie in den Bekenntnisschriften.

    Hier hat wohl eher die historisch-kritische Theologie Pate gestanden, die mit ihrer Spätdatierungstheorie die Pastoralbriefe entwertet - und beispielsweise nicht zur Kenntnis nehmen will, daß schon in der 7. Höhle von Qumran ein Papyrusfragment gefunden wurde, das offensichtlich Teilstücke aus 1.Tim 3,16-4,3 enthält.

    Wenn ein innerkirchliches Gespräch nur dann möglich ist, wenn man sich zuvor den Theorien der historisch-kritischen Theologie unterwirft, dann wird eine Verständigung allerdings schwierig.

    Mit freundlichen Grüßen!

    K. Bürgener

    Auf diesen Brief ist keine Antwort mehr gekommen.

    Hinweis:
    Mit den Fragen von “Segen, Amt und Abendmahl” befaßt sich ausführlich das gleichnamige Buch, über das Sie genauere Informationen erhalten, wenn Sie diesen Link anklicken.