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Apostolische Sukzession

 

Das evangelische Pfarramt und die

Apostolische Sukzession

 

Es geht in diesem Aufsatz um die Apostolische Sukzession. Sie ist besonders wichtig für die Feier des heiligen Abendmahls. Daher beginne ich zunächst mit einigen Bemerkungen zu diesem hochheiligen Sakrament.

Wir stellen uns vor: Eine Mutter von mehreren Kindern ist jung verwitwet. Sie findet jedoch einen guten Mann, den sie heiraten kann. Wird sie ihre Kinder mitnehmen zur Trauung, ohne ihnen vorher zu erklären, worum es geht? Das wird sie nicht. Sie wird vielmehr bei einer so wichtigen Angelegenheit ihre Kinder gründlich vorbereiten und ihnen sagen, was geschehen soll. Daß sie neu heiraten möchte, daß auch die Kinder einen neuen Vater bekommen sollen usw.

So hat sich auch Jesus mit dem Abendmahl verhalten. Er hat seine Jünger am Gründonnerstagabend nicht einfach überrascht. Er hat mit ihnen nicht ein Abendmahl gefeiert, auf das sie ganz unvorbereitet waren und das sie kaum hätten verstehen können. Er hat sie vielmehr schon vorher ausgiebig darauf vorbereitet und ihnen die Bedeutung der zukünftigen Mahlfeier eingehend erklärt. Diese Erklärung - oder zumindest ein Teil dieser Erklärung - findet sich im 6. Kapitel des Johannesevangeliums.

Es sind ganz große Worte, die das Johannesevangelium überliefert. Jesus hat gesagt:

Ich bin das Brot des Lebens ... wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.
(Joh 6,35+37)

Mit anderen Worten: Wer vertrauensvoll zum Abendmahl kommt, geht nicht verloren. Mögen sein Glaube auch noch so schwach und seine Sünden auch noch so drückend sein - der im heiligen Brot gegenwärtige Erlöser wird ihn nicht zurückstoßen, sondern ihn liebevoll aufnehmen und ihn zurechtbringen.

Das heißt: Das Abendmahl ist nicht in erster Linie ein Mahl für den glaubensstarken Christen, sondern im Gegenteil: Es ist ein Mahl gerade auch für den Glaubensschwachen!

Zu ihm sagt Jesus: Komm zu mir! Komm zum heiligen Brot! Ich werde dich nicht von mir stoßen. Komm zum Gottesdienst! Komm nach vorne, wo das Abendmahl ausgeteilt wird. Komm zum Brot, das ein besonderes Brot ist - ein Brot des Lebens - ein Brot, das dir geistliches Leben schenkt. Komm zum Abendmahl, da wird dein Glaube wachsen.

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Wer sich einladen läßt, dem macht Jesus ein großes Versprechen. Er hat gesagt:

Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
(Joh 6,35)

Wer zu dem Brot kommt, das Jesus ist, der wird von dem drängenden, irdischen Lebenshunger befreit; und von dem quälenden Lebensdurst. Was tut der Mensch nicht alles, um seinen Lebenshunger und seinen Lebensdurst zu stillen? Das treibt ihn in die Diskotheken oder in die Fußballarenen; das fesselt ihn vor dem Fernsehgerät oder läßt ihn sein Leben für sinnlose Hobbys opfern. Das kann ihn sogar bis zum Verbrechen oder sogar bis zur Teufelsanbetung führen.

Jesus aber verspricht: Von alledem wird uns das heilige Mahl befreien - nicht durch ein einziges Mahl, wohl aber durch treuen Besuch des Gottesdienstes - möglichst des Abendmahlsgottesdienstes. Wir werden ja auch nicht von einer einzigen Brotmahlzeit von allem irdischen Hunger befreit, sondern wir brauchen jeden Tag neues Brot. Genauso  brauchen wir auch möglichst an jedem Sonntag die heilige Kommunion. Jesus verspricht uns also: Im Abendmahl steckt eine verborgene Kraft, die uns vom Lebenshunger befreit und mit der Zeit unser ganzes Leben verändern wird.

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Ein ganz und gar unbegreifliches Versprechen macht Jesus dann mit dem folgenden Wort:

Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.
(Joh 6,54)

Im heiligen Abendmahl empfangen wir durch ein göttliches Wunder den wahren Leib und das wirkliche Blut Jesu Christi. Wer dieses sakramentale Fleisch ißt und dieses sakramentale Blut trinkt, der wird nicht sterben - jedenfalls nicht so wie ein normaler ungläubiger, sündiger Mensch. Zwar äußerlich gesehen sterben beide den gleichen Tod. Aber äußerlich kann man ja nur den Leib sehen. Ganz anders und sehr verschieden geht es mit der menschlichen Seele. Was wir nicht sehen können, ist, daß die Seele im Tod nicht stirbt - Mt 10,28! -  sondern voll Freude oder Furcht übertritt in die Ewigkeit - je nachdem, ob der Mensch gläubig war oder nicht - ob er zum Abendmahl gegangen ist oder nicht.

Wenn es nicht in der Bibel stände, dürfte man es nicht glauben, daß das Abendmahl so viel bewirkt. Nun hat es aber Jesus Christus selber gesagt: Wer zum Abendmahl gegangen ist, wird im Tode nicht sterben.

Das Versprechen Jesu, daß derjenige, der sein Fleisch essen und sein Blut trinken wird, das ewige Leben bekommen wird, gilt aber nicht erst für die Situation des Todes. Der Christ kann das ewige Leben schon während seines irdischen Lebens empfangen. Er wird das vielleicht nicht gleich merken, aber es wird ihn langsam verändern und verwandeln.

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Ein ebenfalls unbegreiflich großes Versprechen macht Jesus mit den folgenden Worten:

Mein Fleisch ist die rechte Speise, und mein Blut ist der rechte Trank. Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.
(Joh 6,55+56)

Wer vertrauensvoll zum heiligen Abendmahl geht, mit dem verbindet sich Jesus in einer unüberbietbar engen Gemeinschaft, die über alle Vorstellungskraft hinausgeht.

Manchmal macht Gott allerdings besonders große Verheißungen, zieht dann aber die Erfüllung in die Länge. So hat er es beispielsweise mit Abraham gemacht. Er hat ihm versprochen, daß er so viele Nachkommen haben werde, daß von ihm ein ganzes Volk abstammen werde. Tatsächlich aber litten Abraham und seine Frau Sarah jahrzehntelang unter Kinderlosigkei. Erst nach langer Zeit hat Gott ihnen dann doch auf wunderbare Weise zu einem Sohn geholfen - aber nur zu einem einzigen Sohn! Der Kindersegen setzt ja erst in der Urenkelgeneration ein. Abraham hat Gott geglaubt, und so sollten auch wir Jesus glauben, wenn er sagt:

Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.
(Joh 6,56)

Wer das Abendmahl empfängt, kommt in eine ganz enge, unaussprechlich selige Gemeinschaft mit Jesus - aber davon ist in diesem Leben nur wenig zu merken. Die große Erfüllung dieses Versprechens werden wir wohl erst im Himmel erleben. Immerhin, ein kleines Bischen dieser engen Gemeinschaft mit Jesus spüren wir, wenn Gott es will, in jedem richtigen Abendmahlsgottesdienst.

 

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Ich habe aus der langen Rede, mit der Jesus seine Jünger über das zukünftige Abendmahl belehrt, vier Stellen herausgesucht, die besonders tröstlich sind. Es gibt in diesem Kapitel aber auch einen Vers, der alle tröstlichen Gedanken in Frage stellt. Es sind die folgenden Worte:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.
(Joh 6,53)

Mit diesen Worten werden wir gewarnt: Nicht irgendeine beliebige Feier mit Brot und Wein schenkt uns das ewige Leben, sondern nur ein solcher Gottesdienst, bei dem eine Wandlung stattgefunden hat. Es muß ja aus normalem Brot der wirkliche Leib Christi und aus dem Wein das wirkliche Blut Christi geworden sein. Wie kommt aber eine wirkliche Wandlung zustande? Und was ist, wenn gar keine Wandlung beabsichtigt und auch keine vollzogen wurde?

Dann bin ich als Gemeindeglied um den Segen des Sakramentes betrogen worden - wissentlich oder unwissentlich, absichtlich oder unabsichtlich.

Es gibt also Gottesdienste, in denen ein falsches Abendmahl gefeiert wird, wo die Gemeinde bloß Brot und Wein empfängt und wo die Pastoren schon das Wort „Wandlung“ ablehnen. Es muß aber doch irgend eine Art von Wandlung geben, wenn aus Brot und Wein der Leib und das Blut Jesu Christi werden soll.

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Was ist nötig, damit eine gültige Wandlung zustande kommt? Nun, es muß zunächst richtiges Brot und richtiger Wein vorhanden sein. Ich kannte einen Pastor, der mit seinen Konfirmanden ein Abendmahl mit Hühnerbeinen und Coca Cola gefeiert hat. Das war selbstverständlich ungültig.

Aber auch wenn in vielen Gemeinden statt Wein Saft genommen wird, so ist das nicht korrekt und vermutlich ungültig. Jesus, nach dessen Vorbild wir uns ja richten müssen, hat in seinem Kelch ganz bestimmt Wein gehabt, denn der im Herbst gekelterte Saft hält sich nicht unvergoren bis zum Frühjahr. Im Frühjahr aber hat Jesus das erste Abendmahl eingesetzt.

Das Brot aber und der Wein müssen gesegnet werden. Für den Wein ergibt sich das durch einen Hinweis im 1. Korintherbrief. Paulus schreibt dort:

Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?
(1.Kor 10,16)

Hier ist offensichtlich vom Abendmahl die Rede, und daß der Kelch mit seinem Inhalt gesegnet werden muß. Das Gleiche wird dann auch auf das Brot zutreffen, da Brot und Wein offensichtlich in Parallele zueinander stehen.

Wenn es übrigens in den Einsetzungsworten heißt:

„nahm er das Brot, dankte und brachs ...

so ist ja auch eine andere Übersetzung möglich:

„nahm er das Brot, segnete es und brachs ...

Alles in allem ergibt sich, daß die Wandlung sich dann vollzieht, wenn das Brot und der Wein gesegnet werden. Hier nun schließt sich die Frage an, was eigentlich ein Segen ist und wer einen solchen Wandlungssegen erteilen kann.

 

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In der Bibel gibt es drei verschiedene Arten von Segen, die man auseinanderhalten sollte. Da ist einmal der Segen, der - von Gott geschickt - unsichtbar aus dem Himmel herabkommt, und mit göttlicher Kraft tut und vollbringt, was Gott will. Einen solchen Segen hat Gott - wie die Bibel berichtet - bei der Erschaffung der Menschen auf sie herabgesandt; so heißt es im 1. Mosebuch:

Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan ...

(1.Mose 1,27+28)

Durch die Segenskraft des Heiligen Geistes, die von Gott aus dem Himmel herabkommt, kann alles gesegnet werden, sogar ein Korb oder ein Backtrog, denn Gott stellt dem Volk Israel, wenn es ihm gehorchen wird, in Aussicht:

Gesegnet wirst du sein in der Stadt, gesegnet wirst du sein auf dem Acker. Gesegnet wird sein die Frucht deines Leibes, der Ertrag deines Ackers und die Jungtiere deines Viehs, deiner Rinder und deiner Schafe. Gesegnet wird sein dein Korb und dein Backtrog.
(5.Mose 28,3+4)

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Die zweite Art des Segens geschieht durch einen dazu bevollmächtigten Mann unter Gebet und Handauflegung. Ein gutes Beispiel ist die Ordination des Josua. Gott hatte Mose befohlen:

Nimm Josua zu dir, den Sohn Nuns, einen Mann, in dem der Geist ist, und lege deine Hände auf ihn; und laß ihn treten vor den Priester Eleasar und vor die ganze Gemeinde und bestelle ihn vor ihren Augen und lege von deiner Hoheit auf ihn, damit ihm gehorche die ganze Gemeinde der Israeliten.
(4.Mose 28,18-20)

Wie Gott es befohlen hat, vollzieht Mose die Ordination des Josua durch eine Handauflegung:

Mose tat, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm Josua und ließ ihn treten vor den Priester Eleasar und vor die ganze Gemeinde und legte seine Hand auf ihn und bestellte ihn, wie der HERR durch Mose geredet hatte.
(4.Mose 28,22+23)

Die Handauflegung war offenbar besonders wichtig, denn sie wird später noch einmal mit Nachdruck erwähnt:

Josua aber, der Sohn Nuns, wurde erfüllt mit dem Geist der Weisheit; denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und die Israeliten gehorchten ihm und taten, wie der HERR es Mose geboten hatte.
(5.Mose 34,9)

Hier wird übrigens, wie auch an anderen Stellen der Bibel, gesagt, daß durch die segnende Handauflegung der Heilige Geist vermittelt wird. Daß bei der segnenden Handauflegung auch ein Gebet gesprochen werden muß, ist für die Bibel so selbstverständlich, daß das Gebet häufig nicht erwähnt wird. Bei der Ordination der ersten Diakone wird beides, Handauflegung und Gebet, nebeneinander erwähnt:

... sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen von Antiochien. Diese stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
(AG 6,5+6)

Alle drei Stichworte, Gebet, Handauflegung und Heiliger Geist, finden sich in der Beschreibung des Lukas von der großen Konfirmation in Samarien:

Da aber die Apostel hörten zu Jerusalem, daß Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten sie zu ihnen Petrus und Johannes. Die kamen hinab und beteten für sie, daß sie den heiligen Geist empfingen. Denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren allein getauft auf den Namen des Herrn Jesus. Da legten sie die Hände auf sie, und sie empfingen den heiligen Geist.
(AG  8,14-17)

Auf ein besonderes Stichwort zum Thema segnende Handauflegung stoßen wir im 2. Brief des Paulus an Timotheus:

(Ich erinnere dich), daß du erweckest die Gabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände. Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht.
(2.Tim 1,6+7)

Es geht in 2.Tim 1,6+7 um die Ordination. Auch sie ist eine Segenshandlung mit Handauflegung und Gebet - das hier allerdings wieder nicht erwähnt wird - und es wird dabei eine „Gabe“ vermittelt. Im Urtext steht das Wort „charisma“. Das sollte man besser mit „Heilsgabe“ oder „Gnadengabe“ übersetzen - oder im Hinblick auf die Ordination mit „Amtscharisma“.

Das „Amtscharisma“ ist eine besondere Gabe des Heiligen Geistes, die dem Bischof oder Pastor oder Diakon bei der Ausübung ihrer Ämter  hilft - daß sie beispielsweise besser predigen können.

Was Paulus hier und an anderer Stelle als Charisma bezeichnet, heißt bei der Ordination des Josua „Hoheit“. Sie bewirkte, daß das Volk Israel sich von Josua leiten ließ.

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Die zweite Art von Segen geschieht also unter Gebet und Handauflegung. Es wird dabei die Kraft und Hilfe des Heiligen Geistes vermittelt. Die Konfirmanden oder ein Brautpaar oder ein kranker Christ bekommen selbstverständlich einen unterschiedlichen Segen; und wird ein Pastor ordiniert, bekommt auch er einen ganz speziellen Segen - nicht für sich selbst, sondern für den Dienst an der Gemeinde.

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Nun gibt es nach dem Sprachgebrauch der Bibel noch eine dritte Art von Segen, die eigentlich kein Segen ist. Es geht viel mehr um gute Worte, um Glück- und Segenswünsche und um heilsame Tröstungen.

Es gibt dabei keine Handauflegung, und es wird auch kein Heiliger Geist vermittelt. Nehmen wir beispielsweise das folgende Wort aus der Bergredigt:

Ihr habt gehört, daß gesagt ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen ...
(Mt 5,43+44)

Wenn jemand uns auf das Gräßlichste beschimpft, sollen wir ihn dann bitten niederzuknien, damit wir ihm einen Segen erteilen können? So ist das sicher nicht gemeint. Es geht um gute Worte! Wenn der eine den anderen so heftig beschimpft, wie es ihm irgend möglich ist, soll der andere nicht versuchen, ihn zu übertrumpfen; sondern er soll gute Worte machen, loben und preisen und anerkennen. Auch mit guten Worten kann ein Mensch viel Gutes tun.

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Nun richtet sich die Bergpredigt ja an alle Christen; kann man also aus der Aufforderung: „segnet, die euch fluchen“ den Schluß ziehen, daß alle Menschen segnen können? Gute Worte machen kann und soll in der Tat jeder, aber unter Handauflegung den Heiligen Geist vermitteln, kann nicht jeder; sondern nur der, dem diese Vollmacht gegeben ist.

Nehmen wir als Beispiel die Geschichte, wo Jakob seinen Bruder Esau um den Erstgeburtssegen betrügt. Esau ist so wütend, daß er erklärt, er werde seinen Bruder Jakob töten. Aber, so könnte man sagen: warum regt Esau sich auf? Wenn jedermann segnen kann, braucht Esau doch nur einen beliebigen Knecht zu bitten, ihn ebenfalls zu segnen!

Es stimmt eben nicht, daß jeder Mensch über jeden Segen verfügt. Vollmächtig segnen kann nur der, dem von Gott oder im Auftrag Gottes von der Kirche die Vollmacht dazu gegeben wurde. Zu der Zeit der Patriarchen waren es Abraham, Isaak und Jakob, die den Segen spenden konnten. Vermutlich hat Abraham diese Vollmacht von Melchisedek bekommen (1.Mose 14,18-20) und sie dann an Isaak weitergegeben. Der hat wiederum, wie es die Bibel ausführlich beschreibt, seinen Sohn Jakob gesegnet.

Seit Mose hatten die Priester aus dem Stamm Levi die Vollmacht zum Segen. In der christlichen Kirche waren es dann die sogenannten „Ältesten“, wie damals die Pastoren und Bischöfe hießen, denen die Vollmacht zu verschiedenen Segenshandlungen gegeben war. Daß aber ein nur-getaufter Laie die Abendmahlselemente segnen und damit eine Wandlung vollziehen könnte, war für die ganze alte Kirche undenkbar.

Im Neuen Testament ist es vor allem ein Vers aus dem Hebräerbrief, der zu der Frage Stellung nimmt, ob auch ein Laie das heilige Abendmahl gültig einsetzen kann:

Nun ist’s ohn alles Widersprechen so, daß das Geringere von dem Höheren gesegnet wird.
(Hebr 7,7)

Es gibt also in Segensfragen Geringere und Höhere, es gibt durch den unterschiedlichen Segen höhere und niedere Ämter. Es gibt also eine Segens- und Ämterhierarchie. Darin stimmt, wie der Hebräerbrief schreibt, die ganze Christenheit ohne den geringsten Widerspruch vollkommen überein. Hier gibt es auch keinen Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Bund.

Wenn sich die kirchlichen Ämter von der Taufe herleiten würden, wären alle Ämter gleich. Wenn die Ämter aber durch den Ordinationssegen zustande kommen, kann es höhere und geringere Ämter geben, je nachdem, welchen Segen der Betreffende empfangen hat. Der Nur-Getaufte aber hat gar kein Amt - jedenfalls kein Weiheamt. Für die Abendmahlsfrage heißt das: Wer nicht einen solchen Segen bekommen hat, daß auch er einen Wandlungssegen vollziehen kann, der kann auch keine Wandlung bewirken. Das heißt: Wer nicht ordiniert ist, kann kein gültiges Abendmahl einsetzen! Nun gibt es allerdings auch bei den evangelischen Ordinationen leider schwerwiegende Probleme.

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Das Problem der evangelischen Ordinationen beginnt schon bei Luther. Luther wußte nicht, was ein Segen ist - jedenfalls nicht, was ein unter Handauflegung vollzogener kirchlicher Segen ist. „Segen“ war für ihn nur ein allgemeines Wort für die Wirksamkeit Gottes in Wort und Sakrament. So hat Luther erklärt:

Hieraus sehen wir, daß „segnen“ nichts Anderes ist als, wie ich gesagt habe, das Wort des Evangelii predigen und lehren, Christum bekennen und die Erkenntniß desselben unter alle Völker ausbreiten, und dies ist das priesterliche Amt und das tägliche Opfer der Kirche im Neuen Testamente, welche diesen Segen austheilt durch Predigen, Verwaltung der Sacramente, Absolviren, Trösten und Handeln des Worts der Gnade ...
(Walch9,325)

Die segnende Handauflegung kommt in dieser Aufzählung überhaupt nicht vor. Sie war für Luther keine Notwendigkeit, sondern nur ein alter „Brauch“. Zur Amtseinführung der neuen evangelischen Pastoren meinte Luther, sie könne durch die Regierung, das heißt: ohne jeden Segen erfolgen, denn über einen Segen verfügt die Regierung ja nun wirklich nicht. Luther hat gesagt:

Zum Kirchendiener, Bischof, Pfarrherrn, Kaplan, oder wie mans nennen will, gehört mehr nicht, denn daß er erstlich eines unärgerlichen Wandels sein, und einen guten Verstand christlicher Lehre habe und dieselbe fein klar könne von sich geben. Wo solches ist, da bedarfs mehr nicht, denn daß solche Personen von der Obrigkeit berufen, und ihnen das Predigtamt und anderer Kirchendienst öffentlich befohlen werden. Dazu mag man die Auflegung der Hände brauchen und dabei beten.
(Walch2 13a,1028)

Bei solchen Amtseinführungen durch die Regierung hätten also nach Luthers Meinung auch die Hände aufgelegt werden können, aber unbedingt nötig wäre das offenbar nicht gewesen.

Leider hat die Unwissenheit in Segensfragen Luther dazu verführt, auf die apostolische Sukzession zu verzichten. Mit dem Begriff „Apostolische Sukzession“ bezeichnet man die ununterbrochene, bischöfliche Segenskette von den Aposteln bis auf den heutigen Tag. Es hat also seit den Aposteln immer ein Bischof dem nächsten, neu zu weihenden Bischof segnend die Hände aufgelegt; und so ist der Segen, der zunächst für die Ordination, dann aber auch für die Wandlung beim Abendmahl nötig ist, bis auf unsere Zeit überliefert worden - aber leider nicht in der evangelischen Kirche.

Luthers Verzicht auf die apostolische Sukzession ist ein großes Unglück für die evangelische Christenheit. Leider ist ihm die evangelische Kirche darin bis auf den heutigen Tag gefolgt.

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Im Jahr 2006 hat die deutsche lutherische Bischofskonferenz unter dem Titel „Ordnungsgemäß berufen“ eine Stellungnahme zur evangelischen Ordination herausgegeben, die es an Deutlichkeit nicht fehlen läßt. Die lutherischen Bischöfe glauben nämlich nicht, daß die evangelische Ordination irgend eine Vollmacht oder irgend ein besonderes Charisma verleiht. Sie schreiben dort:

(Es) haben als Getaufte grundsätzlich alle Christenmenschen die Fähigkeit zum priesterlichen Dienst.

Die Bibel lehrt jedoch keineswegs, daß alle Christen die gleichen Fähigkeiten zum priesterlichen Dienst haben. Warum wollte sonst Simon der Zauberer den Aposteln Geld geben, um ihre Fähigkeit zu erlangen, den Heiligen Geist durch Handauflegung weiterzugeben (AG 8,18+19)? Und warum beschreibt die Bibel die Christenheit immer wieder nach dem Bild von Hirte und Herde?

Zur Ordination sagen die lutherischen Bischöfe:

Sie ist ... nicht die Verleihung einer besonderen geistlichen Fähigkeit, die über die aller Christen hinausginge.

Hier wird das Ideal der Französischen Revolution, die absolute Gleichheit aller, auf die Kirche übertragen. Die dem widersprechende Aussage der Bibel, daß durch die Ordination eine Gnadengabe bzw das Amtscharisma übertragen wird (1.Tim 4,14 / 2.Tim 1,6), schieben die lutherischen Bischöfe einfach zur Seite. Sie schreiben:

jede Deutung der Übertragung des Amtes im Sinne einer Weihe (ist) abzulehnen.

Das heißt: Nach der Meinung der lutherischen Bischöfe erhält der Pastor bei seiner Ordination keinen besonderen Segen, keine besondere Vollmacht, kein Amtscharisma - nichts. Wenn aber keine Absicht besteht, ein Amtscharisma zu vermitteln, wird auch keins vermittelt. Das aber bedeutet: Es fehlt neben anderem auch die Segensvollmacht, Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu zu wandeln. Die Gemeindeglieder bekommen also kein Fleisch und Blut Jesu Christi, sondern nur Brot und Wein. Das ist, wenn man Jesu Worte ernst nimmt, eine  geistliche Katastrophe. Er hat gewiß nicht umsonst gesagt:

Werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.

Man kann vielleicht hoffen, daß die intensive, wohlvorbereitete, christozentrische Predigt eines gläubigen Pfarrers und das treue private Bibellesen einen Teil des Schadens wieder gutmacht. Das hebt aber die Warnung Jesu vor dem ungültigen Abendmahl nicht einfach auf.

Martin Luther ist falsch unterrichtet worden und stand in einer ständigen Kampfessituation. Ihn trifft meines Erachtens die geringste Schuld, aber die evangelische Kirche hat über 400 Jahre Zeit gehabt und den Fehler nicht korrigiert. Statt dessen verfolgt sie vielfach solche Pastoren, die sich in Ergänzung zu ihrer Ordination eine zusätzliche Priesterweihe haben erteilen lassen.

Gott sei Dank, daß das möglich ist! Es gibt einige wenige evangelische Pastoren, die eine katholische bzw hochkirchliche Bischofsweihe empfangen haben. Sie stehen damit in der Apostolischen Sukzession und können das pfarramtliche Charisma unvermindert weitergeben.

Es gibt also seit einiger Zeit die Möglichkeit, daß ein evangelischer Pfarrer in Ergänzung zu seiner Ordination auch noch eine hochkirchliche Priesterweihe empfängt. Er braucht damit seine Ordination nicht zu verleugnen. Ordination und Weihe können sich auf das Beste ergänzen.

Ein Pfarrer, der auf diese Weise den vollen Segen für sein Amt empfangen hat, ist ein glücklicher Mann. Er steht voll Freude vor dem Altar und vollzieht ehrfürchtig die Wandlung. Er kann der Gemeinde geben, womit Jesus die allergrößten Verheißungen verknüpft hat. Voll Freude segnet er auch seine Konfirmanden und die Brautpaare. Voller Zuversicht erteilt er am Ende des Gottesdienstes der ganzen Gemeinde den Schlußsegen.

 Ihm gilt, was Jesus gesagt hat:

Wer ist der treue und kluge Haushalter, welchen der Herr setzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit gebe, was ihnen gebührt? Selig ist der Knecht, welchen sein Herr findet also tun, wenn er kommt.
(Lk 12,42+43)

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Wer sich intensiver mit der Frage der hochkirchlichen Priesterweihen befassen will, den weise ich hin auf mein wesentlich ausführlicheres Buch „Segen, Amt und Abendmahl“, das bei mir bestellt werden kann.

Pastor K. Bürgener

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