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Die Krankensalbung
nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift und in der Praxis
der alten Kirche
Jahrhundertelang hat sich die evangelische Theologie für die in der Bibel bezeugte Krankensalbung nicht interessiert. Noch vor gar nicht so langer Zeit hat die Kirchenleitung der Hannoverschen Landeskirche dem evangelischen Krankenhausseelsorger Pastor Dr. Schmitzdorff untersagt, an den Kranken irgendeine Krankensalbung zu vollziehen. Inzwischen hat sich jedoch eine Wende angebahnt. Die neue Lutherische Agende III sieht in ihrem 4. Teil „Dienst an Kranken“ die Möglichkeit einer Krankensalbung vor [1]. Dies geschieht allerdings nur zaghaft, denn die von der Salbung redenden Worte werden immer wieder in Klammern gesetzt. Und es geschieht vor allem ohne theologische Klarheit. Ich selber möchte daher im Folgenden die Heilige Schrift befragen, was sie zur Krankensalbung sagt. Daneben soll aber auch in aller Kürze die Tradition und die Praxis der Kirche dargestellt werden. Die Tradition und die Praxis der Kirche, vor allem der alten Kirche, sind ja immer die besten - wenn auch keineswegs unfehlbaren - Kommentare zur Heiligen Schrift.
Die Krankensalbung nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift
In der großen Aussendungsrede des Matthäusevangeliums befiehlt Jesus den Aposteln:
Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, reinigt Aussätzige, treibt böse Geister aus.
(Mt 10,7+8)
Auch Lukas berichtet, daß Jesus die zwölf Apostel mit dem Befehl ausgesandt hat, daß sie Kranke heilen sollten, er gibt jedoch ergänzend an, daß Jesus die Zwölf zunächst mit der entsprechenden Vollmacht ausgerüstet hat:
Er rief aber die Zwölf zusammen und gab ihnen Gewalt und Vollmacht über alle bösen Geister und daß sie Krankheiten heilen konnten, und sandte sie aus, zu predigen das Reich Gottes und zu heilen.
(Lk 9,1+2)
Einen ähnlichen Befehl erteilt Jesus nach dem Lukasevangelium dann auch den siebzig Jüngern:
Und wo ihr in eine Stadt kommt und sie euch aufnehmen, da esset, was euch wird vorgesetzt, und heilet die Kranken, die daselbst sind, und saget ihnen: Das Reich Gottes ist nahe zu euch gekommen.
(Lk 10,8+9)
Besonders interessant, allerdings nicht ganz leicht zu verstehen, ist der Bericht des Markusevangeliums:
Und er rief die Zwölf zu sich und hob an und sandte sie je zwei und zwei und gab ihnen Vollmacht über die unsauberen Geister ...
Und sie gingen aus und predigten, man sollte Buße tun, und trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.
(Mk 6,7+12+13)
Hier ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich, daß Jesus einen Befehl gegeben hat, Kranke zu heilen. Es heißt nur, daß die Apostel die Vollmacht bekommen haben, die bösen Geister auszutreiben. Daß Jesus diese Vollmacht mit dem Befehl verbunden hat, die Apostel sollten diese Vollmacht auch ausüben, wird man wohl vermuten dürfen. In gleicher Weise wird man aber auch voraussetzen dürfen, daß Jesus den Jüngern ebenfalls einen Befehl zur Krankenheilung erteilt hat. Dafür spricht ja nicht nur der Kontext der beiden anderen Synoptiker, sondern auch die Tatsache, daß die Apostel auch nach dem Markusevangelium viele Kranke geheilt haben. Offensichtlich haben sie das nicht aus Eigenwilligkeit getan, sondern die entsprechende Anordnung ist als selbstverständlich vorauszusetzen.
Der Befehl Jesu, Kranke zu heilen, kann also aus den Handlungen der Jünger erschlossen werden. Mit der merkwürdigen Tatsache, daß man in der Bibel immer wieder einen Befehl voraussetzen muß, der nur aus den Handlungen der Personen erschlossen werden kann, werden wir uns gleich noch ausführlich zu befassen haben.
Nun hat der Bericht des Markus im Vergleich zu den Matthäus- und Lukasparallelen eine bemerkenswerte Besonderheit. Bei Markus ist nämlich - das einzige Mal in den Evangelien! - von Krankensalbungen mit Öl die Rede. Hat Jesus auch die Salbungen mit Öl angeordnet, oder liegt in diesem Punkt eine Eigenmächtigkeit der Apostel vor, die aus eigenem Entschluß - vielleicht als ein volkstümliches Hausmittel - Öl zur Krankenheilung eingesetzt haben?
Wir haben es hier mit einer wichtigen Frage zu tun. Es wird aber leider etwas Mühe kosten, eine sichere Antwort auf diese Frage zu finden. Es ist jedoch notwendig, daß wir diese Mühe auf uns nehmen, wenn wir das Zeugnis der Bibel über die Krankensalbung richtig verstehen und bewerten wollen.
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Zunächst wiederhole ich noch einmal: Nichts deutet darauf hin, daß Markus hier in irgendeiner Weise von einer Eigenmächtigkeit der Apostel berichten will. Und es wird ja auch niemand annehmen wollen, sie hätten eigenmächtigerweise gepredigt, obwohl auch ein solcher Befehl bei Markus nicht überliefert wird.
In diesem Zusammenhang gilt es aber vor allem zu erkennen, daß wir es hier mit einer allgemeinen Eigenart der biblischen Berichterstattung zu tun haben. Wir können nämlich häufig die Beobachtung machen, daß in der Bibel ein direkter Befehl nicht überliefert wird, der aber immer wieder vorausgesetzt werden muß und aus den Handlungen der Personen sicher zu erschließen ist. Wir wollen uns das an einigen Beispielen vor Augen führen. So heißt es beispielsweise im Gleichnis von den anvertrauten Zentnern, wie es im Matthäusevangelium überliefert ist:
Gleichwie ein Mensch, der über Land zog, rief seine Knechte und vertraute ihnen seine Habe an; und einem gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, einem jeden nach seiner Tüchtigkeit, und zog hinweg. Alsbald ging der hin, der die fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit denselben und gewann andere fünf. Desgleichen, der die zwei Zentner empfangen hatte, gewann zwei andere. Der aber den einen empfangen hatte, ging hin und machte eine Grube in die Erde und verbarg seines Herrn Geld. Über eine lange Zeit kam der Herr dieser Knechte und hielt Rechenschaft mit ihnen.
(Mt 25,14-19)
Von einem Befehl, mit dem Geld zu arbeiten, ist in diesem Gleichnis mit keinem Wort die Rede. Dieser Befehl muß aber vorausgesetzt werden, sonst wäre zumindest der scharfe Tadel für den vorsichtigen und untätigen Knecht gar nicht zu verstehen. Dabei ist es interessant, daß in dem sehr ähnlichen Gleichnis des Lukasevangeliums eine solche Anweisung ausdrücklich erteilt wird:
Ein Edler ... ließ zehn seiner Knechte rufen und gab ihnen zehn Pfund und sprach zu ihnen: Handelt damit, bis daß ich wiederkomme!
(Lk 19,12+13)
Ein anderes Beispiel: Im Matthäus- und Markusevangelium wird berichtet, wie Johannes der Täufer auftritt, predigt und tauft, ohne daß in diesen beiden Evangelien ein Befehl Gottes erwähnt wird. Beruhen Predigt und Taufe des Johannes also auf eigenmächtigen Entschlüssen des Täufers? Das ist offenbar nicht der Fall, denn im Lukasevangelium heißt es ausdrücklich:
In dem fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius ... geschah der Befehl Gottes an Johannes, des Zacharias Sohn, in der Wüste. Und er kam in das ganze Land um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden ...
(Lk 3,1-3)
Übrigens ist selbst hier nur sehr allgemein von einem Befehl die Rede. Welches der Inhalt dieses Befehls war, kann auch hier erst aus dem Auftreten des Täufers erschlossen werden. Bei Matthäus und Markus muß dagegen allein aus dem Handeln des Täufers gefolgert werden, daß offenbar ein Befehl Gottes vorgelegen hat und welches der genaue Inhalt dieses Befehls war.
Ein drittes Beispiel: Bei allen drei Synoptikern wird berichtet, daß die zwölf Apostel im Anschluß an die Speisung der Fünftausend die übrigen Brocken aufgehoben haben, ohne daß von einer entsprechenden Anweisung Jesu die Rede ist (Mt 14,20 / Mk 6,43 / Lk 9,17). Haben die Apostel also in Eigeninitiative gehandelt? Das ist nicht der Fall, denn im Bericht des Johannesevangeliums über die Speisung der Fünftausend wird der Befehl Jesu überliefert:
Sammelt die übrigen Brocken, daß nichts umkomme.
(Joh 6,12).
In der Geschichte von der Speisung der Viertausend, die ja nur im Matthäus- und im Markusevangelium steht, heben die Jünger ebenfalls alle restlichen Brocken auf, ohne daß auch diesmal in diesen beiden Evangelien ein Befehl Jesu dafür überliefert wird. Aber auch hier wird man einen solchen Befehl mit Sicherheit voraussetzen können.
Hat Jesus, als er das erste Abendmahl eingesetzt hat, den Jüngern Anweisung gegeben, diese kultische Handlung in Zukunft immer wieder auf die gleiche Weise nachzuvollziehen? In den drei Einsetzungsberichten der Synoptiker findet sich ein solcher Wiederholungsbefehl nicht. Nur im Abendmahlsbericht des Paulus heißt es gleich zweimal:
... solches tut zu meinem Gedächtnis. ... solches tut, sooft ihr´s trinket, zu meinem Gedächtnis.
(1.Kor 11,24+25)
Es ist also auch in den Einsetzungsberichten der Synoptiker der fehlende Wiederholungsbefehl gedanklich einzufügen.
Am Ende des Matthäusevangeliums heißt es:
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte.
(Mt 28,16)
Hier wird nun ganz besonders deutlich gesagt, daß die Elf einen Befehl Jesu ausführten, der sich erstaunlicherweise nirgendwo in den Evangelien findet.
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Übrigens findet sich schon im Alten Testament die gleiche Eigenart der Berichterstattung. So wird in den Mosebüchern berichtet, wie Gott die Weihe der Priester und den Vollzug der Opfer in vielen Einzelheiten anordnet und genau vorschreibt; daraufhin wird erzählt, wie sich Mose genau an diese Vorschrift hält und wie Aaron und seine Söhne bei ihren ersten Opfern alles nach dem Willen Gottes vollziehen. Aber dann heißt es zum Schluß:
Und Aaron hob seine Hände auf zum Volk und segnete sie und stieg herab, nachdem er das Sündopfer, Brandopfer und Dankopfer dargebracht hatte.
(3.Mose 9,22)
Von einem Segen, den der Hohepriester zum Abschluß der verschiedenen Opfer erteilen soll, war jedoch vorher keine Rede. Hat Aaron also eigenmächtig gehandelt? Das ist offensichtlich nicht der Fall, denn alle Weihe- und Opferhandlungen einschließlich des Schlußsegens werden am Schluß dieses Berichtes durch eine herrliche Erscheinung Gottes bestätigt:
Da erschien die Herrlichkeit des HERRN allem Volk. Und ein Feuer ging aus von dem HERRN und verzehrte das Brandopfer und das Fett auf dem Altar. Da alles Volk das sah, frohlockten sie und fielen auf ihr Antlitz.
(3.Mose 9,23+24)
Dagegen wird im direkten Anschluß an diese Verse eine wirklich eigenmächtige Kulthandlung berichtet und gezeigt, wie zornig Gott in diesem Fall darauf reagiert:
Und Aarons Söhne Nadab und Abihu nahmen ein jeder seine Pfanne und taten Feuer hinein und legten Räucherwerk darauf und brachten so ein fremdes Feuer vor den HERRN, das er ihnen nicht geboten hatte. Da fuhr ein Feuer aus von dem HERRN und verzehrte sie, daß sie starben vor dem HERRN.
(3.Mose 10,1+2)
Aus dem Vergleich mit diesem Bericht ergibt sich sehr deutlich, daß Aaron vorher einen Befehl Gottes erhalten haben muß, als er am Ende der Opfer das Volk segnete, auch wenn dieser Befehl nicht ausdrücklich erwähnt worden ist.
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Es lassen sich noch eine ganze Reihe weiterer Belege finden. Die angeführten Stellen reichen jedoch aus. Sie zeigen deutlich: Die Bibel berichtet immer wieder von der Ausführung eines Befehls, ohne den Befehl selber zu überliefern. Wir haben es hier offensichtlich mit einer besonderen Eigenart der biblischen Berichterstattung zu tun. Das bedeutet aber: Ein Befehl Jesu muß vorausgesetzt werden, wenn die Handlungen der Apostel einen solchen Befehl nahelegen.
Wenn also Jesus nach Mk 6,7 den Jüngern Vollmacht über die bösen Geister verleiht und sie aussendet, ohne daß dabei der Zweck der Aussendung genauer genannt wird, und wenn es dann heißt:
Und sie gingen aus und predigten, man solle Buße tun, und trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund
(Mk 6,12+13)
so muß Jesus ganz unbezweifelbar den Jüngern befohlen haben, zu predigen, Dämonen auszutreiben und Kranke zu heilen. Aber auch die Verwendung von Öl kann dann nur auf einen Befehl Jesu zurückgehen.
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Falls es noch eines weiteren Argumentes bedarf, so ist auch folgendes zu bedenken: Jesus konnte die Jünger nicht zum Predigen aussenden, ohne sie genau angeleitet zu haben. Was sollten sie predigen, welche Gleichnisse und Beispiele waren hilfreich? Wie sollten sie sich bei Ablehnung ihrer Predigt verhalten? Ebenso dringend war die Ausbildung der Apostel zu erfolgreichen Exorzisten: Mit welchen Worten sollten sie die Dämonen bedrohen? Wie sollten sie sich verhalten, wenn die Dämonen sich weigerten auszufahren oder wenn sie beginnen sollten, mit den Aposteln zu diskutieren? Sollten sie mit ihnen Mitleid haben, wenn die Dämonen jammernd ihre Verworfenheit beklagten und um Erbarmen baten?[2]
Aber auch zur Krankenheilung mußte Jesus seinen Jüngern Anweisung geben; der reine Befehl allein genügte hier sicherlich nicht. Sollten die Apostel einfach sagen: „Im Namen unseres Herrn Jesu, sei gesund!“, oder sollten sie vorher ein Gebet sprechen? Sollten sie die Krankenheilung vielleicht mit einer Beichte verbinden, oder war das unnötig? Sollten sie den Kranken segnend die Hände auflegen, wie Jesus das vielfach getan hatte, oder war dieser Gestus unnötig - oder allein dem Meister vorbehalten?
Wenn man versucht, sich die Aussendungssituation konkret vorzustellen, wird klar: Jesus kann seinen Aposteln nicht nur einen allgemeinen Befehl erteilt haben, er muß ihnen auch detaillierte Anweisungen gegeben haben, wie sie sich den Kranken gegenüber verhalten sollten. Und wenn es in diesem Zusammenhang heißt, die Apostel hätten die Kranken mit Öl gesalbt, so ist hier unter Berücksichtigung der üblichen Erzählweise der Bibel nur ein Schluß möglich: Die Salbung der Kranken mit Öl ist von Jesus befohlen worden.
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In diesem Zusammenhang ist schließlich auch noch darauf hinzuweisen, daß im Jakobusbrief erklärt wird, Krankensalbungen sollten „im Namen des Herrn“ vollzogen werden, also im Namen Jesu Christi (Jak 5,14). Das bedeutet: Wie die christliche Taufe soll auch die christliche Krankensalbung auf Befehl und im Auftrag Jesu Christi vollzogen werden.
Warum befassen wir uns hier so ausführlich mit der Frage, ob die in Mk 6,13 bezeugten Krankensalbungen der Apostel auf einen Befehl Jesu Christi zurückgehen? Nun, es gibt an dieser Stelle vielerlei Einsprüche. Schon die Reformatoren hatten bestritten, daß die Krankensalbung - damals als „Letzte Ölung“ bezeichnet - eine von Jesus befohlene kirchliche Handlung sei. Aber auch katholische Theologen unserer Tage tun sich oftmals schwer bei dem Nachweis, daß die Krankensalbung wirklich von Jesus eingesetzt ist. Daran habe ich selber keinen Zweifel. An dieser Stelle gebe ich dem Tridentinum recht, wenn es lehrt[3]:
Diese heilige Salbung der Kranken aber wurde von Christus, unserm Herrn, als wahrhaftes und eigentliches Sakrament eingesetzt; und zwar bei Markus angedeutet, durch Jakobus aber, den Apostel und Bruder des Herrn, den Gläubigen empfohlen und verkündet.
Der Charakterisierung der Krankensalbung als ein Sakrament möchte ich allerdings zunächst nur in einem sehr allgemeinen Sinn zustimmen: Die Krankensalbung ist eine von Jesus eingesetzte Handlung, die durch die Vollmacht Jesu auf übernatürliche Weise wirkt.
Das Tridentinum verweist neben der Markusstelle vor allem auf den Jakobusbrief. Bevor wir uns aber Jak 5,13-18 zuwenden, müssen wir zunächst noch eine besondere Aussage von Mk 6,13 beachten. Nach der Lutherbibel heißt es dort nämlich:
... salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.
(Mk 6,13)
Im Griechischen fehlt aber das zweite Objekt, so daß man eher so übersetzen müßte:
... sie salbten viele Kranke mit Öl und vollzogen Heilungen.
Will Markus dadurch, daß das zweite Objekt fehlt, andeuten, daß zwar erstaunlich viele, aber doch nicht alle Kranken gesund geworden sind? Zumindest die Frage möchte ich an dieser Stelle stellen und zugleich auf einen parallelen Vorgang hinweisen: Jesus hat den Aposteln ja auch die Vollmacht zum Exorzismus gegeben. Trotz dieser Vollmacht konnten sie aber mindestens einmal einen hartnäckigen Dämon nicht austreiben (Mk 9,18). Insofern ist es auch denkbar, daß die Apostel durch die Krankensalbung zwar erstaunlich viele, aber doch nicht alle Kranken geheilt haben. Für eine solche Deutung spricht auch die vorsichtige Ausdrucksweise des Jakobusbriefes, wenn dort der Erfolg der Krankensalbung nur sehr allgemein beschrieben wird.
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Wir kommen nun zur Jakobusbriefstelle. Zunächst ist zu beachten, daß Jakobus die Krankensalbung besonders betont in den Zusammenhang des Gebetes stellt:
Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, daß sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er hat Sünden getan, wird ihm vergeben werden. Bekennet einer dem andern seine Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. Elia war ein schwacher Mensch wie wir; und er betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. Und er betete abermals, und der Himmel gab Regen, und die Erde brachte ihre Frucht.
(Jak 5,13-18)
In allen Lebenslagen soll ein Christ beten. Hat er Kummer, soll er Gott im Gebet um Hilfe anrufen; ist er fröhlich, soll er freudige Psalmgebete singen. In schwerer Krankheit sollen die „Ältesten“ kommen und für ihn beten. Wie mächtig das Gebet ist, wird am Beispiel des Propheten Elia gezeigt.
In diesem Zusammenhang ist nun auch von der durch Jesus angeordneten Krankensalbung die Rede: Wenn ein Christ so schwer erkrankt ist, daß er sein Krankenlager nicht mehr verlassen kann, soll er die „Ältesten der Gemeinde“ rufen lassen, daß sie gemeinsam über ihm beten und ihn gemeinsam salben.
Offensichtlich handelt es sich bei den „Ältesten der Gemeinde“ nicht um alte Männer, sondern um die offiziellen Amtsträger der Gemeinde. Die Frage ist jedoch, wie der Plural zu verstehen ist. Sollen immer mehrere Priester zur Krankensalbung erscheinen? So ist diese Stelle in der Tat vielfach verstanden worden.
Möglicherweise hat Jakobus also die Situation einer Stadtgemeinde vor Augen, wo zu mehreren kleinen Hausgemeinden jeweils einzelne Hirten gehörten, alle Hausgemeinden einer Stadt sich jedoch als eine einzige große Gemeinde empfanden. Je nachdem, ob es in dem betreffenden Ort nun viele oder nur wenige Hausgemeinden gab, sollte also eine größere oder kleinere Anzahl, jedenfalls eine Mehrzahl von Pastoren, bei dem Kranken zusammenkommen, um über ihm zu beten und ihn zu salben.
Zu dieser Deutung paßt, daß Jesus auch nach dem Markusevangelium seine Apostel jeweils zu zweit ausgesandt hat, so daß auch die Zwölf ihre Krankensalbungen wohl nicht als einzelne, sondern immer zu zweit vollzogen haben dürften (Mk 6,7+13).
Das würde also bedeuten, daß es nach Jakobus immer mehrere Pfarrer sein müssen, die eine gemeinsame Krankensalbung vollziehen sollen. So ist dieser Plural in der kirchlichen Praxis auch immer wieder verstanden worden. Allerdings: In einem abgelegenen Dorf wäre die Krankensalbung bei den damaligen Wegeverhältnissen dann kaum noch vollziehbar. Kann das im Sinne Jesu sein?
Das glaube ich kaum. Ich vermute vielmehr, daß Jakobus nicht an die „Ältesten der Gemeinde“, sondern an die „Priester der Kirche“ denkt, nämlich an die verschiedenen Arten von Priestern: an die Bischöfe oder Pastoren. Demnach ist hier gemeint: Wenn jemand krank ist, soll er doch den Bischof rufen lassen oder auch einen einfachen Pfarrer, der kann das auch. Die sollen beten usw. Wenn man bedenkt, daß die Liebe und Fürsorge Jesu nicht bloß den erkrankten Christen in den Stadtgemeinden gelten kann, wird man sich wohl für diese Deutungsmöglichkeit entscheiden müssen.
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Daß die Salbung „im Namen des Herrn“, also auf Anordnung und in der Vollmacht Jesu Christi vollzogen werden soll, habe ich schon erwähnt. Die Hilfe, die dem Kranken dabei zuteil wird, wird von Jakobus allerdings nicht mit der Salbung, sondern mit dem Gebet begründet:
Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen und der Herr wird ihn aufrichten ...
(Jak 5,15)
Man darf sicher nicht das Gebet gegen die Salbung ausspielen. Beides gehört bei der von Jesus angeordneten Krankensalbung offenbar untrennbar zusammen. Es fällt aber doch die starke Betonung des Gebets auf. Während das Sakrament der Taufe ohne jedes begleitende Gebet gültig ist, wenn nur die Taufformel richtig gesprochen wird und der Täufling mit Wasser in Berührung kommt; und während - zumindest nach westlicher Tradition - das Abendmahl gültig eingesetzt wird, wenn nur die Einsetzungsworte korrekt über Brot und Wein rezitiert werden - so betrüblich das Fehlen aller Gebete, die diese beiden Sakramente möglichst umrahmen sollten, auch sein mag - die Krankensalbung ist offenbar wirkungslos, wenn die Salbung nicht mit intensiven Gebeten begleitet wird.
Daß es intensive Gebete sein müssen - nicht einfach runtergebetete Formeln - zeigt die Formulierung „das Gebet des Glaubens“. Die Krankensalbung enthält mit der Salbung zwar auch ein rituelles Element; die Gebete dürfen aber nicht formelhaft-rituell runtergebetet werden. Sie müssen aus einem gläubig-bittenden Herzen des oder der Amtsträger kommen. Als Vorbild für diese Gebete dient bezeichnenderweise nicht der alttestamentliche Tempelkult, sondern das prophetische Gebet:
Elia ... betete ein Gebet, daß es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre ...
(Jak 5,17)
Übrigens spricht der Vergleich mit dem einzelnen Propheten Elia ebenfalls dafür, daß ein einzelner Pfarrer die Krankensalbung vornehmen kann - er muß nur gläubig und möglichst ohne jeden Zweifel beten. Zum Zweifelsgebet gibt es ja eine andere, sehr nachdrückliche Stelle im Jakobusbrief:
Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und bewegt wird. Solcher Mensch denke nicht, daß er etwas von dem Herrn empfangen werde.
(Jak 1,6+7)
Unter der Voraussetzung, daß nämlich wirklich gläubige, möglichst zweifelsfreie Gebete gesprochen werden, macht Jakobus nun eine feste Zusage:
Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten ...
(Jak 5,15)
Es wird eine sichere Hilfe versprochen, allerdings nicht genau gesagt, wie die Hilfe aussehen wird. Die Parallelstelle Mk 6,13 spricht eindeutig von der Heilung der Kranken - wenn wahrscheinlich auch nicht alle Kranken gesund geworden sind. Jak 5,15 verspricht demgegenüber einen - wenn auch unbestimmten - Erfolg bei allen Krankensalbungen, bei denen ein gläubiges Gebet gesprochen wurde: Den Kranken wird in jedem Fall geholfen, Jesus Christus wird sie aufrichten. Die spätere katholische Tradition erklärt diese Worte so: Die Hilfe ist in erster Linie eine seelische Hilfe, die körperliche Gesundung tritt nur ein, wenn es für die Seele gut ist[4]. Das ist eine sehr vorsichtige Interpretation, die aber wohl der Erfahrung der Kirche entspricht.
Jakobus macht aber auch noch eine zweite, diesmal sehr konkrete Zusage:
... wenn er hat Sünden getan, wird ihm vergeben werden.
(Jak 5,15)
Das ist ja eine sehr wichtige, sehr konkrete Verheißung: Die Vergebung der Sünden! Allerdings, warum spricht Jakobus nur konditional von den Sünden? Ist nicht jeder Mensch, also auch jeder Kranke, ein Sünder? Die konditionale Formulierung „wenn er hat Sünden getan“, setzt an dieser Stelle offenbar einen groben Sündenbegriff voraus, wie das in der Bibel auch an anderen Stellen der Fall ist (z.B. Lk 1,6 / 6,33+34 / 19,7 / Gal 2,15! / 1.Pt 4,18 / Jak 5,20). An anderen Stellen verwendet die Bibel einen vertieften, grundsätzlicheren Sündenbegriff (beispielsweise in 1.Mose 8,21 / Ps 19,13 / 51,7 / 90,8 / Rm 3,23). Der Konditionalsatz macht jedoch klar, daß in Jak 5,15 grobe Sünden gemeint sind.
Demnach gibt Jakobus hier das Versprechen ab: Durch die Krankensalbung werden auch die gröbsten Sünden vergeben. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß Jakobus, wenn auch etwas nachklappend, auch von der Beichte spricht:
... wenn er hat Sünden getan, wird ihm vergeben werden. Bekennet einer dem andern seine Sünden und betet füreinander, daß ihr gesund werdet.
(Jak 5,15+16)
Wenn Jakobus ein moderner europäischer Schriftsteller wäre, müßte man ihm vorwerfen, daß er sich nicht klar ausdrückt. Redet er von einer Beichte vor der Krankensalbung? Dann müßte er sie doch auch vorher erwähnen. Meint er eine Beichte vor den Amtsträgern? Dann sollte er sich nicht so allgemein ausdrücken, als ob hier eine Beichte vor jedem beliebigen Mitchristen gemeint ist.
Wenn man aber bedenkt, daß Jakobus ein orientalisch-antiker Schriftsteller ist, wird man seine Ausführungen verständnisvoll lesen: Wenn die Sündenvergebung das Ergebnis des pfarramtlichen Gebetes ist, wird nach der Absicht des Jakobus auch die Beichte dem Pfarrer gegenüber abzulegen sein, und dann wird die Beichte trotz ihrer späten Erwähnung in der zeitlichen Reihenfolge noch vor dem Gebet um die Lossprechung einzuordnen sein.
Vor der Laienbeichte ist übrigens sehr zu warnen! Jeder, der eine Beichte anhört, ist in großer Gefahr. Es ist ja nicht das Problem, daß er den Beichtenden verachtet. Im Gegenteil: Er ist in der Versuchung, sich mit ihm zu solidarisieren und daher die gebeichtete Sünde als nicht so schlimm anzusehen. Das kann ihn dann in die Versuchung führen, die gebeichtete Sünde selber zu tun und dadurch vielleicht sogar vom Glauben abzufallen. Jede Beichte ist eine Anfechtung für denjenigen, dem schwere Sünde anvertraut wird. Der ordinierte Pfarrer ist durch sein Amt vor der größten Gefahr geschützt, der Laie ist es nicht.
Aber spricht die Formulierung: „Bekennet einer dem andern seine Sünden und betet füreinander ...“ nicht doch dafür, daß Jakobus an eine Laienbeichte denkt - oder sie zumindest für möglich hält? Stellen die Worte „einer dem andern“ nicht doch den, der die Beichte hört, auf die gleiche Stufe mit dem, der die Beichte ablegt?
Nun auch hier ist wohl der besondere biblische Sprachgebrauch zu beachten. Im Matthäusevangelium schließt die Geschichte mit dem Gichtbrüchigen, dem Jesus zunächst die Sünden vergeben und ihm danach auch noch die volle Gesundheit geschenkt hat, mit den Worten:
Da das Volk das sah, fürchtete es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.
(Mt 9,8)
Selbstverständlich wußte die Menge, daß Gott nicht allen Menschen die erstaunliche Vollmacht Jesu gegeben hat. Die verallgemeinernde Formulierung ist offenbar ein Ausdruck für das Grundsätzliche an dieser Geschichte, daß Gott nämlich unbegreiflicherweise einem Menschen solche Macht gegeben hat.
Genauso werden wir wohl auch die allgemeine Formulierung in Jak 5,16 als Ausdruck grundsätzlicher Überlegungen verstehen können. Es ist ja immer die Versuchung des Laien, im Amtsträger nur einen normalen Menschen zu sehen. Das führt auf der einen Seite dazu, daß der Laie sich nicht unter den Hirten beugen will; auf der anderen Seite hat es zur Folge, daß er sich vor dem pfarramtlichen Mitmenschen so schämt, daß er die Beichte scheut. Diese falsche Scheu vor dem nur „mitmenschlich“ verstandenen Amtsträger muß überwunden werden. Daher ermahnt Jakobus die kranken Christen mit den allgemein gehaltenen, in Wirklichkeit aber grundsätzlich gemeinten Worten: Bekenne als kranker Mensch dem priesterlichen Menschen deine Sünden. Vertraue Dich dem Menschen an, der von Gott ein Amt bekommen hat.
Wenn es außerdem heißt: „betet füreinander, daß ihr gesund werdet“, so legt ja auch das „füreinander“ zunächst eine Gegenseitigkeit auf der Grundlage der Gleichrangigkeit der Beteiligten nahe. Gemeint ist aber ganz offenkundig, daß die Gesunden für die Kranken beten sollen. Es ist also an dieser Stelle nicht von Gegenseitigkeit und auch kaum von Gleichrangigkeit die Rede.
Aus alledem ergibt sich, daß Jak 5,16 keineswegs als unumstößlicher Beleg für die Laienbeichte angesehen werden kann. Dagegen ergibt sich aus dem Gesamtkontext der Bibel, nach dem nur derjenige Sünden vergeben kann, dem Gott dafür eine amtliche oder sonstwie besondere Vollmacht gegeben hat, daß auch in Jak 5,16 nichts anderes gemeint sein kann, als daß der kranke Christ keine Scheu haben soll, dem menschlichen Amtsträger seine Sünden zu beichten.
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Es gehört nach Jak 5,15+16 also eine Beichte zur Krankensalbung, die selbstverständlich zu Beginn der sakramentalen Handlung abzulegen ist. Und das sicherste Ergebnis dieses Sakramentes ist die Vergebung auch der schwersten Sünden. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns, daß ja auch im Markusevangelium von Buße gesprochen wird:
Und sie gingen aus und predigten, man sollte Buße tun, und trieben viele böse Geister aus und salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund.
(Mk 6,12+13)
Auch das Markusevangelium deutet also an, daß es eine Verbindung von Buße bzw Beichte und Krankensalbung gibt.
Wenn wir nun die Bedingungen betrachten, die Jakobus zur Krankensalbung aufstellt, so sind die Hürden für dieses Sakrament relativ hoch gesetzt: Der Kranke soll beichten und die am Krankenbett gesprochenen Gebete müssen aus gläubigem Herzen kommen.
Nur wenn diese Bedingungen erfüllt sind, darf man also hoffnungsvoll mit einem Heilungs- oder Besserungserfolg rechnen; wobei allerdings die Sündenvergebung als Ergebnis der Beichte immer als sicher angesehen werden darf. Die körperliche Heilung wird jedoch um so unwahrscheinlicher, je mehr die Gebete nur als liturgische Formeln abgelesen und nicht mit innerem Gebet erfüllt sind - abgesehen davon, daß die Heilungsaussichten bei diesem Sakrament auch sonst schon unter dem Vorbehalt des Vaterunsers stehen: „Dein Wille geschehe.“
Wenn diese Erklärung richtig ist, tritt die erhoffte Wirkung der Heilung also nicht automatisch ein, sie ist vielmehr an den Glauben der fürbittenden Pfarrer gebunden. Aber auch die Wirksamkeit der Beichte hängt vom Glauben ab - von der gläubigen Bußfertigkeit des Beichtenden. Wir haben es also mit einem Sakrament zu tun, bei dem der äußerlich korrekte Vollzug wenig hilft, wenn er nicht bei allen Beteiligten mit entsprechendem Glaubenseifer einhergeht.
Das ist bei Taufe, Firmung und Abendmahl in gewisser Hinsicht anders, denn diese Sakramente werden ja auch dann gültig vollzogen, wenn weder der Spender noch der Empfänger dieser Sakramente gläubig sind. Andererseits vermitteln auch diese Sakramente letztlich das Heil nur dann, wenn sie gläubig empfangen werden. Insofern gibt es letztlich also keinen Unterschied zwischen den genannten Sakramenten. Sie alle vermitteln das Heil nur unter der Voraussetzung des Glaubens.
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Ich fasse zusammen: Die Krankensalbung ist ein Sakrament. Sie ist von Christus eingesetzt. Sie hat ein äußerliches Zeichen, das Öl. Und sie vermittelt übernatürliche Gnade, in erster Linie Sündenvergebung, aber auch körperliche Heilung. Dabei betont die Bibel, daß dieses Sakrament nicht „automatisch“ wirkt, sondern nur unter der Voraussetzung des Glaubens. Unter dieser Voraussetzung erfolgt die Vergebung mit Sicherheit, in Hinblick auf die Krankheit verspricht die Bibel dagegen nur Besserung, wobei jedoch die absolute Heilung keinesfalls ausgeschlossen ist.
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Ich möchte nun die Frage stellen, ob die Krankensalbung vielleicht ebenso ein „Doppelritus“ ist, wie ich das in meinem Buch „Die bischöfliche Konfirmation“ für das Abendmahl, die Firmung und die Ordination festgestellt habe. Es spricht in der Tat einiges dafür. Der zweite rituelle Teil dieses Sakraments könnte nämlich die Handauflegung sein.
Schon Jesus heilt vielfach durch Handauflegung: Mk 6,5 / Lk 4,40 / 13,13 / vgl auch Mt 8,3 = Mk 1,41 = Lk 5,13.
Nach seiner Auferstehung kündigt Jesus dann an, daß durch gläubige Christen mancherlei Wunder, unter anderem auch Krankenheilungen durch Handauflegung, geschehen werden:
Die Zeichen aber, die da folgen werden denen, die da glauben, sind die: in meinem Namen werden sie böse Geister austreiben, in neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird´s ihnen nicht schaden; auf Kranke werden sie die Hände legen, so wird´s besser mit ihnen werden.
(Mk 16,17+18)
Nun handelt es sich bei dieser Ankündigung offenbar um Krankenheilungen, die auch von Gläubigen vollzogen werden können, die kein besonderes kirchliches Amt innehaben. Das heißt aber nicht, daß die Amtsträger von dieser Ankündigung ausgeschlossen wären. So haben denn auch die Apostel mehrfach durch Handauflegung geheilt. Ganz klar der Fall ist das bei der Heilung des Vaters des Publius:
Zu dem ging Paulus hinein und betete und legte die Hände auf ihn und machte ihn gesund.
(AG 28,8)
Aber auch bei den summarisch beschriebenen Wundern der anderen Apostel dürfte es sich vornehmlich um Krankenheilungen durch Handauflegung gehandelt haben:
Es geschahen aber viel Zeichen und Wunder im Volk durch der Apostel Hände ...
(AG 5,12)
Schließlich gibt es auch im Jakobusbrief einen Hinweis, den man kaum anders deuten kann, als daß die Krankensalbung mit einer Handauflegung verbunden werden soll. Es heißt dort nämlich, die Priester der Kirche sollen „über“ dem Kranken beten. Was soll man sich unter einem Gebet „über“ dem Kranken konkret vorstellen? Die einzig sinnvolle Erklärung scheint mir zu sein, daß das Gebet unter Auflegung der Hände zu sprechen ist.
Aus allen diesen kurzen Hinweisen ziehe ich den Schluß, daß auch die sakramentale Krankenheilung von Jesus als ein Doppelritus mit Handauflegung und Salbung angeordnet sein dürfte. Daß in der Bibel immer nur ein Teil des Ritus erwähnt wird - zweimal die Salbung, sonst die Handauflegung - braucht nicht zu wundern. Auch bei den anderen Doppelriten erwähnt die Heilige Schrift oft nur einen Teil, und die alte Kirche hat es oftmals ebenso gemacht[5].
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Ich komme noch einmal auf die Ankündigung Jesu nach seiner Auferstehung zurück, in der er mancherlei Wunder verheißt, unter anderem auch Heilungswunder durch Handauflegung. Wenn es dort heißt:
... auf Kranke werden sie die Hände legen, so wird´s besser mit ihnen werden.
(Mk 16,18)
so wird wohl auch dies nicht nur die gläubigen Laien, sondern auch die kirchlichen Amtsträger betreffen: Jesus verspricht nicht Heilungen, sondern nur Besserung. Diese Besserung kann in der vollkommenen Heilung bestehen oder auch nur in einer leichteren Form der Krankheit. Sie kann aber auch in einer Besserung des seelischen Zustands des Kranken bestehen, ohne daß er körperlich gesünder wird. Wie in Jak 5,15 ist also auch hier nur sehr allgemein von einer Besserung die Rede, ohne das feste Versprechen der Heilung.
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Wir kehren zurück zur Frage des Doppelritus. In meiner festen Vermutung, daß zur Krankensalbung auch eine Handauflegung gehört, werde ich bestärkt durch die Tatsache, daß auch das katholische Rituale bis heute eine Handauflegung bei der Krankensalbung vorsieht[6], und daß Origenes die Jakobusstelle einmal auf eine sehr merkwürdige Weise anführt. Im Rahmen einer Aufzählung, auf welch verschiedene Art ein Christ Sündenvergebung erhalten könne, nämlich durch die Taufe, durch das Martyrium, durch Almosen, durch Vergebungsbereitschaft gegenüber anderen Menschen, durch die Bekehrung nach Jak 5,20 und durch eine große Liebe entsprechend Lk 7,47, beschreibt er die letzte Vergebungsmöglichkeit mit folgenden Worten[7]:
Es gibt eine siebte, wenn auch harte und mühevolle Sündenvergebung, nämlich durch die Buße; wenn der Sünder sein Lager mit Tränen reinwäscht und die Tränen ihm Brot werden bei Tag und bei Nacht; wenn er errötet, dem Priester des Herrn seine Sünden zu bekennen und ein Heilmittel zu erbitten, wie der, der spricht: „Ich sagte: Ich will dem Herrn meine Ungerechtigkeit bekennen, und Du vergabst mir die Schuld meines Herzens“. Darin erfüllt sich auch, was der Apostel Jakobus sagt: „Ist jemand krank, so rufe er die Priester der Kirche; sie sollen ihm die Hand auflegen, ihn mit Öl salben im Namen des Herrn, und das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und wenn er in Sünden war, werden sie ihm vergeben.“
Vermutlich hat Origenes die Jakobusstelle aus dem Gedächtnis zitiert. Dabei hat er die Worte „daß sie über ihm beten“ ersetzt durch „sie sollen ihm die Hand auflegen“. Wahrscheinlich ist ihm dies als ein Fehler unterlaufen, indem er die Handauflegung bei der Krankensalbung als so selbstverständlich und notwendig ansah, daß er sie versehentlich in den Jakobustext eingetragen hat[8].
Wenn es also stimmt, daß zur Krankensalbung eine segnende Handauflegung gehört, dann sollte diese Handauflegung auch möglichst bewußt vollzogen werden und keineswegs nur als ausschmückende Zutat angesehen werden.
Die Krankensalbung in der Praxis der Kirche
Mit dem Origeneszitat haben wir uns schon den Aussagen der alten Kirche zugewandt. In diesem Text findet sich die älteste kirchliche Erwähnung von Jak 5,14 überhaupt. Leider können wir uns im Rahmen dieser Ausführungen nicht mit allen Aussagen der alten Kirche befassen[9]. Wir beschränken uns also auf eine Auswahl.
Um das Jahr 345 erklärt der persische Theologe Afrahat:
(Der Ölbaum) erleuchtet die Finsternisse, salbt die Schwachen und führt die Büßenden durch sein verborgenes Symbol heran.
(Demonstrationes 23,3)
Wenn Afrahat vom „Ölbaum“ spricht, meint er selbstverständlich das von diesem Baum stammende Olivenöl. Mit der Erleuchtung der Finsternisse ist sicherlich die Firmsalbung gemeint. Bei der Salbung der Schwachen denkt Afrahat offenbar an die Krankensalbung. Aber auch bei der Rückführung der Büßenden spricht er wohl ebenfalls noch von der Krankensalbung. Wenn das stimmt, unterstreicht auch Afrahat bei der Krankensalbung sehr stark das Element der Buße.
In seinem Buch „Über das Priestertum“ erwähnt Johannes Chrysostomos (+ 407) auch die Krankensalbung. Im Zusammenhang dieses Buches ist ihm jedoch nur das Element der Sündenvergebung wichtig. Er schreibt über die Priester:
Denn nicht nur, wenn sie unsere Wiedergeburt (= Taufe) bewirken, sondern auch noch nach derselben haben sie die Vollmacht, unsere Sünden zu vergeben. „Ist jemand krank unter euch“, heißt es, „so rufe er die Priester der Kirche, und sie sollen über ihm beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn ...
(De sacerd. III,6)
Auf einen anderen Fragenkreis stoßen wir in der „Traditio Apostolica“ des Hippolyt (+ 235). Dort gibt es ein kurzes Ölweihgebet, aus dem hervorgeht, daß das geweihte Krankenöl in der alten Kirche den Gemeindegliedern ausgehändigt wurde, so daß die Betreffenden sich damit selber salben und es auch essen oder trinken konnten:
Heilige dieses Öl, Gott, und gib denen Heiligkeit, die damit gesalbt werden und es empfangen. Wie du damit Könige, Priester und Propheten gesalbt hast, so schenke Stärkung denen, die davon kosten, und Gesundheit denen, die es gebrauchen.
(TA 5)
Diese erstaunliche Verwendung des geweihten Krankenöls hat später Papst Innozenz I. (+ 417) noch einmal bestätigt. In seinem Schreiben antwortet der Papst auf verschiedene Anfragen des Bischofs Decentius. Innozenz schreibt, daß die Krankensalbung selbstverständlich auch dem Bischof erlaubt sei, wenn diese Aufgabe auch meistens wegen Arbeitsüberlastung des Bischofs den Priestern überlassen bleibe. Das Öl müsse aber vom Bischof geweiht sein. Es dürfte ferner niemand die Krankensalbung empfangen, der nicht auch zum Abendmahl zugelassen sei; und - das ist nun besonders interessant - daß das vom Bischof geweihte Krankenöl auch den Laien überlassen werden könne, damit diese sich selber oder auch ihre Angehörigen im Fall der Not salben könnten. Innozenz schreibt im Anschluß an das Zitat von Jak 5,14+15:
Dies muß zweifellos von den kranken Gläubigen aufgefaßt und verstanden werden, die mit dem heiligen Öl des Chrisams gesalbt werden können, das, vom Bischof geweiht, nicht nur die Priester, sondern auch alle Christen in eigener Not oder in der Not der Ihrigen zum Salben benützen dürfen[10].
Wenn hier auch von „Chrisam“ die Rede ist - mit diesem Wort wird ja sonst immer nur das für die Firmung geweihte aromatisierte Öl bezeichnet - sind sich doch alle Kommentatoren einig, daß Innozenz an dieser Stelle nur normales, geweihtes Krankenöl meint. Mit dem bischöflich geweihten Krankenöl können also auch nach Innozenz die kranken Christen sich selber salben oder sogar eine Laiensalbung an anderen Christen vollziehen.
Etwa hundert Jahre später fordert der gallische Bischof Caesarius von Arles (+ 542) die Christen auf, sich im Krankheitsfall nicht an die Zauberer und Besprecher, sondern an die Priester zu wenden und sie um gesegnetes Krankenöl zu bitten, mit dem sie sich auch selber salben dürfen[11]:
Wenn eine Krankheit eintritt, soll der Kranke den Leib und das Blut Christi empfangen; demütig und gläubig soll er von den Priestern das geweihte Öl erbitten und dann seinen Körper salben, damit sich an ihm das erfüllt, was geschrieben steht: Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Priester zu sich: Sie sollen über ihm beten und ihn mit Öl salben. Das Gebet des Glaubens wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.
Seht, Brüder, weil der Kranke sich eilends an die Kirche wendet, verdient er Gesundheit des Leibes und Nachlaß der Sünden. Wenn wir also in der Kirche dieses doppelte Gut finden können, warum versuchen kranke Menschen sich durch Besprecher, Quellen, Bäume und teuflische Amulette, durch Zauberer oder Zeichendeuter, durch Seher oder Weissager vielfältige Übel zuzuziehen?
Besonders erstaunlich ist, daß die Gläubigen nach Caesarius von Arles durch diese Selbstsalbung sogar die Vergebung der Sünden empfangen sollen.
Zweihundert Jahre später wiederholt Beda Venerabilis die Erlaubnis von Papst Innozenz, wonach nicht nur der Priester, sondern jeder Gläubige einen Kranken mit Krankenöl salben kann[12]:
Aber nicht nur den Priestern, sondern, wie Papst Innozenz schreibt, auch allen Christen ist es gestattet, dieses Öl in eigener oder ihrer Angehörigen Notlage zu gebrauchen, indem sie sich damit salben.
Es setzt dann aber eine rückläufige Bewegung ein. Da die Gläubigen das ihnen ausgehändigte Krankenöl vielfach zu abergläubischen Zwecken verwenden - unter anderem zum Liebeszauber - verbieten die Statuten des Bonifatius den Priestern bei Strafe der Absetzung, Laien geweihtes Öl zu übergeben[13].
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Bis ins katholische Mittelalter wurde die Krankensalbung vielfach noch von mehreren Priestern vollzogen. Diese Praxis kam aber allmählich zum Erliegen, weil die einfachen Christen die teuren Stolgebühren für mehrere Priester nicht mehr zahlen konnten. Hinzu kam eine rigorose Beichtpraxis. So wurde den Kraken beispielsweise auferlegt, daß sie im Fall der Gesundung eheliche Enthaltsamkeit üben oder sich allen Fleischgenusses enthalten sollten. So kam es, daß die bisherige, von mehreren Priestern vollzogene Krankensalbung langsam aufhörte[14].
Eine Fortsetzung fand die bisherige Krankensalbung jedoch als Letzte Ölung - als ein Sterbesakrament, das nur noch von einem einzelnen Priester gespendet wurde. Eine solche Entwicklung ist an sich gut verständlich. Die Gläubigen neigen ja ganz allgemein dazu, den Empfang der verschiedenen Sakramente und Amtshandlungen aufzuschieben. Besonders deutlich kann man das auch in unseren Zeiten immer wieder beim Krankenabendmahl erleben: „So schlecht geht es mir noch nicht!“ Wenn das Abendmahl dann schließlich doch erbeten wird, ist es manchmal schon zu spät. Der Todkranke kann nicht mehr schlucken. In dieser Situation bietet sich von ihrem technischen Vollzug her die Krankensalbung an. Ein Sterbender kann immer noch sehr gut mit geweihtem Öl gesalbt werden. Dabei stellt sich allerdings die Frage nach der Notwendigkeit einer Beichte, denn dazu ist der Sterbende ja nicht mehr in der Lage. Ist es möglich, eine Krankensalbung ohne Beichte zu vollziehen?
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Bevor wir auf diese Fragen eingehen, noch kurz einige Fakten, die das Bild der unterschiedlichen Ausprägungen der Krankensalbung im Verlauf der langen Kirchengeschichte etwas abrunden. Dabei zeigt sich an verschiedenen Stellen besonders deutlich, wie auch menschliche Eigenmächtigkeit oder sogar der Unglaube ihren Einfluß auf die Entwicklung dieses Sakraments geltend gemacht haben.
In den orthodoxen Kirchen sind für eine Krankensalbung normalerweise sieben Priester erforderlich. Nur ausnahmsweise und im Notfall können es auch weniger sein. Die sieben Priester haben zunächst das Öl im Beisein des Kranken zu weihen und dann in einer langen Feier mit sieben Epistel- und Evangeliumslesungen und sieben langen Gebeten siebenmal eine Salbung durchzuführen[15]. Anschließend wird - zumindest nach dem russisch-orthodoxen Ritus, der in deutscher Sprache gedruckt vorliegt[16] - dem Kranken eine aufgeschlagene Bibel auf den Kopf gelegt, was im begleitenden Absolutionsgebet als „Handauflegung“ bezeichnet wird. Die Beichte ist offenbar keine notwendige Voraussetzung zum Empfang der Krankensalbung.
Merkwürdig ist, daß in den orthodoxen Kirchen auch Gesunde die Krankensalbung empfangen können, wenn dies auch nur in der Karwoche erlaubt ist. So berichtet beispielsweise der orthodoxe Theologe Athanasios Basdekis über die Bräuche der Karwoche in seiner griechischen Heimat[17]:
Der Abendgottesdienst am Mittwoch steht im Zeichen des Sakramentes der Ölung (Krankensalbung). Die Gläubigen werden mit gesegnetem Öl an Stirn, Wangen und Handflächen gesalbt.
Wir haben einen solchen Gottesdienst in Griechenland in der Karwoche 1994 miterlebt und gesehen, wie unehrfürchtig viele Gläubige dieses Sakrament empfangen haben - falls es überhaupt ein Sakrament war. Man wird aber auch bei ehrfürchtigem Empfang eine an Gesunden vollzogene Krankensalbung als einen Mißbrauch des biblischen Sakraments ansehen müssen.
Ähnlich wie in der evangelischen Kirche ist die Krankensalbung auch in der (nichtunierten) armenischen und der nestorianischen Kirche im Laufe der Zeit ganz untergegangen[18].
Andererseits ist die katholische Kirche seit dem letzten Konzil vom Begriff der Letzten Ölung abgerückt. Sie will die Krankensalbung nicht mehr als Sterbesakrament verstanden wissen, sondern als einen Dienst am gefährlich erkrankten Christen. Damit hat die katholische Kirche unbezweifelbar einen anerkennenswerten Schritt zurück zur biblischen Krankensalbung getan.
Allgemeine Überlegungen
Wenn die katholische Theologie darüber nachdenkt, wie sie es beurteilen soll, daß es lange Zeit erlaubt war, daß die Laien mit dem geweihten Öl sich selber oder auch andere salben durften, dann erklären zumindest konservative Theologen: Die priesterliche Krankensalbung ist ein „Sakrament“, die Laiensalbung dagegen nur ein „Sakramentale“[19]. Mit dieser geschickten Unterscheidung kann man der sogar päpstlich zugestandenen Laiensalbung ein relatives Recht und eine eigene Würde zugestehen und zugleich das priesterliche Vorrecht auf die Spendung des Krankensalbungssakramentes aufrechterhalten.
Wenn man allerdings die Vorschrift des Jakobusbriefes, nach der die Salbung mit einer Beichte verbunden sein muß, mit der jahrhundertelangen katholischen Praxis der Letzten Ölung vergleicht, bei der notgedrungen oft auf die Beichte verzichtet werden mußte, erhebt sich die Frage, ob nicht schon die Letzte Ölung vielfach nur ein „Sakramentale“ war. Diese Frage stellt sich natürlich bei jeder Krankensalbung ohne Beichte. Ist nicht eigentlich die Beichte das wichtigste Element der Krankensalbung? Es ist ja zweifellos richtig und könnte sogar von Luther gesagt worden sein, wenn das vor hundert Jahren erschienene katholische „Kirchenlexikon“ erklärt[20]:
Spendung des heiligen Sacraments der Buße ist jedenfalls die wichtigste Obliegenheit der Krankenseelsorge.
Nun zeigt sich allerdings: In der Regel sind auch evangelische Christen bereit, es einmal mit der Krankensalbung zu probieren - sozusagen als kirchlich-alternative Medizin, wenn die übliche Schulmedizin nicht mehr helfen kann. Wenn sie aber hören, daß damit eine Beichte verbunden ist, nehmen sie doch lieber Abstand. Der ungewisse Erfolg einer Krankensalbung erscheint ihnen mit einer Beichte zu teuer erkauft zu sein. In dieser Situation liegt für einen Pastor, der seinen Gemeindegliedern gern entgegenkommen möchte, die Versuchung nahe, eine Krankensalbung ohne Beichte anzubieten. Nach meiner Überzeugung wäre das jedoch kein biblisches Sakrament, sondern nur ein Sakramentale mit einem in der Tat sehr ungewissen Erfolg.
Wir sollten uns andererseits keinem Pessimismus hingeben. Vielleicht kann die biblische Krankensalbung mit dazugehörender Beichte auch in unserer Kirche wieder erneuert werden. Wenn dann die Gebete im Glauben gesprochen und Handauflegung und Salbung im Glauben vollzogen werden, werden wir auch wohl wieder wirkliche Wunder erleben.
Nun bin ich jedoch der Meinung, daß neben der Krankensalbung auch eine Letzte Ölung sinnvoll und erlaubt ist. Ich würde sie allerdings nur als ein Sakramentale betrachten - wenn auch als ein besonders wertvolles Sakramentale, das dem Kranken, der kein Abendmahl mehr empfangen kann, einen nicht genau definierbaren Segen zuwendet und ihn stärkt auf dem Weg aus dieser Welt. Bei einer so verstandenen Letzten Ölung kann die Beichte notfalls entfallen, ohne daß wir dabei ein schlechtes Gewissen haben müssen. Wer aber glaubt, daß auch eine solche Letzte Ölung ohne Beichte als Sakrament bezeichnet werden sollte, mag dies gerne tun. Es liegt mir fern, mich um Worte zu streiten.
Wer hat die Vollmacht zur Weihe des Krankenöls?
So weit man das verfolgen kann, hat die Kirche immer geweihtes Öl zur Krankensalbung genommen. Im Neuen Testament ist jedoch nirgendwo von einer Ölweihe die Rede. Muß man daraus den Schluß ziehen, daß das Neue Testament noch kein geweihtes Krankenöl kennt und daß eine Ölweihe dementsprechend überflüssig ist? So spricht ja auch die neueste Lutherische Agende III,4 einfach nur von „reinem Olivenöl“, das „in einem fest verschließbaren Gefäß aufbewahrt (wird), etwa einem kleinen Silber-, Zinn- oder Glasgefäß“ [21]. Eine Ölweihe wird bei diesen präzisen Vorschlägen nicht erwähnt. Ist eine Ölweihe also unnötig?
Dieser Schluß wäre unbiblisch. Schon zu den Riten des Alten Testaments gehörte „heiliges“, also geweihtes Öl (2.Mose 30,25+31 / 4.Mose 35,25 / Ps 89,21 / vgl auch Sir 45,18). Wenn man nun die beiden Regeln in Anwendung bringt, daß einmal die gottesdienstlichen Handlungen des Neuen Bundes heiliger sind, als die des Alten (Hebr 10,27-29 / 12,18-24 / vgl auch 3,3 und 9,10-14) und daß die Bibel viele gottesdienstliche Einzelheiten auf Grund biblischer Arkandisziplin bewußt verschweigt, so ist es äußerst wahrscheinlich, daß auch das neutestamentliche Krankenöl geweiht worden ist.
Wahrscheinlich hat Jesus das erste Krankenöl zunächst selbst geweiht; später wird er wohl den Aposteln Anweisung gegeben haben, wie auch sie dieses Öl in seinem Namen weihen sollten.
Für diese Annahme spricht auch, daß in der gesamten alten Kirche, so weit wir das verfolgen können, die verschiedenen Öle mit ehrfürchtigen Gebeten geweiht wurden. Eine solche Übereinstimmung muß auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen: auf Jesus selber. Andererseits: Wenn sich die alte Kirche solche Weihen eigenmächtig ausgedacht hätte, müßte man annehmen, daß sie auch sonst den Glauben verfälscht hätte. Das kann ich jedoch nirgendwo sehen. Daher ist es meine feste Überzeugung, daß auch die Ölweihen auf Jesus selber zurückgehen.
Nun erhebt sich jedoch die Frage, wer die Vollmacht zu solchen Weihen hat. Leider kann diese Frage nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Im Laufe der Kirchengeschichte hat es nämlich nicht nur in der Praxis der Krankensalbung, sondern auch in der Frage, wer das Öl weihen kann, unterschiedliche Auffassungen gegeben.
In dem schon erwähnten und oben nur auszugsweise zitierten Schreiben des Papstes Innozenz I. heißt es zweimal betont, daß zur Krankensalbung nur vom Bischof geweihtes Öl verwandt werden darf. Es wird aber nicht gesagt, ob nur der Bischof allein die Vollmacht zur Ölweihe hat, oder ob es sich lediglich um eine Frage der kirchlichen Ordnung handelt, bei der die Ölweihe dem Bischof nur reserviert ist.
Genauso unbestimmt äußern sich auch die beiden Konzilien von Florenz (1439) und Trient (1551)[22]. In dem in Florenz beschlossenen Dekret für die Armenier heißt es:
Das fünfte Sakrament ist die Letzte Ölung, deren Materie durch den Bischof gesegnetes Olivenöl ist.
(DzH 1324)
Im Jahr 1611 erklärt Papst Paul V. die Meinung, auch ein Priester könne das Krankenöl weihen, als „leichtfertig und dem Irrtum sehr nahe“[23]. Auch das ist keine klare Entscheidung, sie tendiert aber deutlich in die Richtung, daß nur ein Bischof die Vollmacht zur Weihe hat.
Diese Äußerung wird bekräftigt durch ein Schreiben des Heiligen Offiziums, das mit Billigung Gregors XVI. eine Anfrage des Bischofs von Le Mans beantwortet:
Frage: Kann ein Pfarrer im Notfall zur Gültigkeit des Sakramentes der Letzten Ölung Öl verwenden, das von ihm selbst gesegnet wurde?
Antwort: Nein, gemäß der Fassung des Dekrets vom 13. Jan. 1611:
Satz: Das Sakrament der Letzten Ölung kann mit Öl, das nicht durch eine bischöfliche Segnung geweiht wurde, gültig gespendet werden:
Erklärung des Hl. Offiziums: der Satz ist leichtfertig und dem Irrtum sehr nahe.
(DzH 2762f)
Auf Grund dieser römischen Erklärungen befürchtet die kurz vor dem 2. Vatikanischen Konzil erschienene Dogmatik des katholischen Theologen Pohle die „Gefahr der Ungültigkeit“, wenn nicht bischöflich geweihtes Öl gebraucht wird[24].
Es gibt allerdings auch ganz andere Auffassungen zu dieser Frage. Da ist zunächst einmal die sehr alte Praxis der orthodoxen Kirche, nach der das Krankenöl normalerweise durch die beim Kranken versammelten Priester geweiht wird[25]. Diese Praxis ist sogar von Papst Klemens VIII. im Jahr 1595 als legitim anerkannt worden[26].
Und da ist vor allem das neue, nachkonziliare Rituale, das unmittelbar vor der Salbung bestimmt[27]:
Wenn das Öl noch nicht geweiht ist, nimmt der Priester die Weihe jetzt vor.
Demnach kann also jeder Priester das Krankenöl weihen, wenn er auch im Normalfall Öl verwenden soll, das vom Bischof geweiht worden ist. Erstaunlich ist jedoch, daß sich weder das 2. Vatikanum noch Papst Paul VI. zu dieser Frage geäußert haben. In der ausführlichen „Apostolischen Konstitution über das Sakrament der Krankensalbung“ vom 30.11.1972[28], in der es unter anderem genaue Anweisungen für die Zahl der Salbungen und die Körperstellen, die gesalbt werden sollen, gibt, findet sich keine autoritative Erklärung über die Vollmacht der Priester zur Krankenölweihe. Ist diese Frage durch das neue Rituale endgültig entschieden? Oder kann man immer noch wie vor 35 Jahren die Ansicht vertreten, eine Krankensalbung mit priesterlich geweihtem Öl sei möglicherweise ungültig?
Ein vorsichtiger Priester wird immer den sichereren Weg gehen. Er wird eine Krankensalbung bzw eine Letzte Ölung immer nur mit bischöflich geweihtem Öl vollziehen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß in der vorkonziliaren Präfation der römischen Bischofsweihe darum gebetet wurde, daß der Bischof die Kraft zum Wunder haben möge:
Gib ihm, o Herr, das Amt der Versöhnung, durchs Wort und auch durch Taten, durch die Macht der Zeichen und Wunder.
Man muß bei diesen erhofften Wundern doch wohl vor allem an die Krankenheilungen durch das bischöflich geweihte Öl denken. Dagegen ist zu bedauern, daß in der nachkonziliaren Weihepräfation die Bitte um Zeichen und Wunder ausgefallen ist.
Schlußbemerkung
Neben der Predigt hat Jesus den Aposteln auch die Heilung von Kranken und das Austreiben böser Geister zur Pflicht gemacht. Ich sehe keine Rechtfertigung dafür, daß sich die evangelische Kirche lediglich den Predigtauftrag der Apostel zu eigen gemacht hat, nicht aber die Aufträge, auch Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben. Die kleine hochkirchliche Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche sollte auch diese Aufträge annehmen. Sie muß über Krankensalbung und Exorzismus theologisch arbeiten und daraus mutig Konsequenzen ziehen.
Anmerkungen
[1] .) „Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden“ Bd. III,4 „Dienst an Kranken“ neu bearbeitete Ausgabe (Hannover 1994), Seite 84-109.
[2] .) Dieses erstaunliche Jammern und Beklagen der eigenen Verworfenheit wird schon in der Vita Antonii geschildert (VI+XXVI), begegnet uns aber auch sonst in der dämonologischen Literatur.
[3] .) Denzinger/Hünermann (= DzH) 1659.
[4].) Vgl DzH 1311+1325; vgl auch DzH 1696.
[5].) Vgl hierzu mein Buch „Die bischöfliche Konfirmation“, Seite 23f+59-61.
[6].) „Kleines Rituale“ (Freiburg 1980), Seite 90.
[7].) In Lev. hom. 2,4
[8].) Nach J. Brinktrine „Die Lehre von den heiligen Sakramenten der katholischen Kirche“ Bd. 2 (Paderborn 1962), Seite 116, bezeichnen Athanasius, Possidius und die ambrosianische Liturgie die Krankensalbung als „Handauflegung“, ohne daß hierfür allerdings Belegstellen angeführt werden.
[9].) Ich übergehe insbesondere die alten Krankenöl-Weihegebete des Hippolyt und des Serapion von Thmuis; die Beschreibung des Todes des Patriarchen Sahak (+ 439), die man als frühes Zeugnis einer „Letzten Ölung“ ansehen kann (BKV257,226); und die Klage des Johannes Mandakumi (+ nach 480), der bedauert, daß die Gläubigen, statt die Krankensalbung zu erbitten, zu den Zauberern und Beschwörern gehen (BKV2 58,249). Auch auf die Nachricht der „Vita Augustini“ (27 / PL 16,56A) des Possidius, daß Augustin Kranke besucht und durch Handauflegung geheilt hat, soll hier nur kurz hingewiesen werden.
[10].) DzH 216.
[11].) Sermo 13 / PL 39,2237-2240.
[12].) PL 93,40A.
[13].) TRE XIX,666. Vgl auch das „Bußbuch nach der Anordnung des heiligen Bonifatius“ in „Sämtliche Schriften des heiligen Bonifatius des Apostels der Deutschen“ übersetzt und erläutert von Ph. Külb Bd. 2 (Regensburg 1859), Seite 208.
[14].) E. J. Lengeling „Die Entwicklung des Sakraments der Kranken in der Kirche“ in „Heilssorge für die Kranken“ herausgegeben von M. Probst und K. Richter (Freiburg 1975), Seite 43.
[15].) Vgl hierzu und zum Folgenden „Mysterium der Anbetung. Bd. III: Die Mysterienhandlungen der Orthodoxen Kirche und das tägliche Gebet der Orthodoxen Gläubigen“ herausgegeben von Sergius Heitz (Köln 1988), Seite 133-177.
[16].) A.a.O.
[17].) Aufsatz „Das Fest der Feste“ in idea-spektrum 15/1995, Seite 26. Vgl dazu auch Heitz a.a.O., Seite 133.
[18].) L. Ott „Grundriß der Dogmatik“ (Freiburg 51961), Seite 532.
[19].) „Die Laiensalbung hat nicht als eigentliches Sakrament, sondern nur als Sakramentale zu gelten, wenn sie auch früher bei der noch nicht scharf durchgeführten Scheidung zwischen Sakrament und Sakramentale irrtümlicherweise manchmal als Sakrament angesehen sein mag.“ J. Brinktrine a.a.O., Seite 138. Ähnlich L. Ott a.a.O., Seite 536.
[20].) „Kirchenlexikon“ Bd. VII (Freiburg 21891), Spalte 1036.
[21].) Seite 85.
[22].) DzH 1695.
[24].) J. Pohle a.a.O., Seite 521.
[25].) Vgl dazu „Mysterium der Anbetung III“, Seite 150ff.
[26].) DzH 1992.
[27].) „Kleines Rituale“, Seite 91.
[28].) Abgedruckt in „Heilssorge für die Kranken“ (vgl Amn. 14), Seite 146-150.