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... der vom Vater und dem Sohne ausgehet
Über das Filioque
1. Das ökumenische Problem
Zur großen west-östlichen Kirchenspaltung haben viele Dinge geführt. Ein Differenzpunkt ist das sogenannte “filioque“, eine kleine Einfügung des Westens in das Nizänische Glaubensbekenntnis, die besagt, daß der Heilige Geist nicht nur vom göttlichen Vater ausgeht, sondern auch vom Sohn. Die orthodoxe Seite ist auf eine doppelte Weise empört. Einmal, weil der Westen ein ökumenisches Glaubensbekenntnis eigenmächtig abgeändert hat; und zum andern hält sie diese Änderung für sachlich verfehlt. Der Heilige Geist ginge nur vom Vater aus, nicht auch vom Sohn. Der Sohn habe zwar den väterlichen Geist auf die Kirche herabgesandt, aber ausgehen tue der Geist ausschließlich vom Vater.
Nun hat auch die evangelische Christenheit das “filioque“ von der katholischen Mutterkirche übernommen, so daß auch wir Lutheraner von der orthodoxen Kritik betroffen sind.
Zunächst müssen wir zugeben, daß es formal unkorrekt war, ein von einem ökumenischen Konzil beschlossenes Glaubensbekenntnis ohne erneuten gesamtkirchlichen Konzilsbeschluß einseitig zu erweitern und damit abzuändern. Was allerdings die theologische Aussage betrifft, so ist der Westen im Recht. Hier muß die orthodoxe Kirche nachgeben; sie sollte zumindest von ihrem empörten Tonfall Abstand nehmen und sich um Verständnis bemühen.
2. Die theologische Begründung für das filioque
Worum geht es bei dem filioque? Für die Arianer war Jesus nur ein Geschöpf, eine Art Halbgott, der vom göttlichen Vater als erster vor der Erschaffung der übrigen Welt erschaffen und als Sohn angenommen wurde. Durch diese Abwertung des Sohnes, der demnach kein wirklicher Gott ist, ist auch sein Kreuzesopfer betroffen. Kann der Tod eines “Halbgottes“ die vielen Sünden aller Menschen durch alle Jahrhunderte und Jahrtausende aufwiegen? Oder ist dafür nicht das unendlich große Opfer eines Menschen nötig, der zugleich ewiger Gott und von unendlicher Majestät ist?
In einem erbitterten Kampf gegen die arianische Häresie hat die Kirche auf dem Konzil zu Nizäa dogmatisiert, daß Jesus im Verhältnis zum himmlischen Vater “homousios“ ist. Das heißt: Er ist dem Vater wesensgleich. Nach seiner Menschennatur war er dem Vater selbstverständlich nicht gleich; nach seiner göttlichen Natur war er ihm aber absolut wesensgleich. Obwohl er vom Vater geboren ist, hat er doch wie der Vater schon immer und ewig existiert. Das ist so wie mit dem Licht der Sonne. Zwar ist das Licht sekundär, es geht von der Sonne aus, aber so lange es die Sonne gibt, gibt es auch das Licht. Deshalb heißt es im Nizänum:
(Ich glaube an den einen Herren Jesus Christus,) Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftigen Gott vom wahrhaftigen Gott, geboren, nicht geschaffen, mit dem Vater eines Wesens ...
Wenn nun der Sohn dem Vater in allem gleich ist, muß in ihm auch der gleiche ewige, allmächtige, göttliche Geist wohnen. Es sind nicht zwei verschiedene Geister, sondern es ist der eine, gleiche Geist, der im Vater und im Sohn wohnt.
Wenn also der Sohn den väterlichen Geist auf die Kirche herniedersendet, sendet er damit notwendigerweise auch seinen eigenen Geist herab. Damit aber geht der Geist nicht nur vom Vater aus, sondern notwendigerweise auch vom Sohn. Wer das bestreitet muß sich fragen lassen, ob er das “homousios“ wirklich ernst nimmt, oder schlimmer noch: ob er nicht den Arianern nahesteht.
3. Das Zeugnis der Heiligen Schrift
Die von mir soeben dargelegten theologischen Argumente für das filioque, sind - wie mir scheint - vernünftig und stichhaltig; aber die menschliche Vernunft kann ja irren. Darum ist es gut, in einer so wichtigen Frage auch die Bibel zu befragen.
Da ist zunächst das Wort, mit dem Jesus seine absolute Gleichheit mit dem göttlichen Vater zum Ausdruck gebracht hat, als er im Tempel zu den Juden gesagt hat:
Ich und der Vater sind eins.
(Joh 10,30)
Es ist zu beachten, daß Jesus hier an erster Stelle sich selber nennt! Die Juden haben dieses Wort zu Recht so verstanden, daß Jesus sich Gott gleich machen wollte; sie haben deshalb versucht, ihn auf der Stelle zu steinigen.
An erster Stelle steht Jesus übrigens auch in der trinitarischen Formel von 2.Kor 13,13:
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen!
In den Abschiedsreden hat Jesus dann noch einmal erklärt:
Wer mich sieht, der sieht den Vater!
(Joh 14,9 / vgl. 12,45)
Jesus ist also sozusagen identisch mit dem Vater. Ist er aber identisch mit dem Vater, dann ist auch der Geist der beiden identisch. Dann geht dergleiche Geist wie vom Vater auch vom Sohn aus.
Ebenfalls in den Abschiedsreden hat Jesus erklärt:
Wenn ... der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Derselbe wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
(Joh 16,13-15)
Wenn Jesus hier im ausdrücklichen Zusammenhang mit dem Heiligen Geist erklärt: “Alles, was der Vater hat, das ist mein“, dann heißt das, daß Jesus über den väterlichen, göttlichen Geist als festen Besitz verfügt. Wenn er den Geist zur Erde sendet (Joh 15,26+16,7), geht folglich der Geist in gleicher Weise sowohl von ihm selber wie auch vom Vater aus.
Auch die folgende Stelle aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer bezeugt, daß der Geist Gottes und der Geist Jesu Christi sozusagen Synonyme, also vollkommen identisch sind:
Ihr ... seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.
(Rm 8,9 / vgl 8,11)
Im Galaterbrief schreibt Paulus:
Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in unsre Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater!
(Gal 4,6)
Was kann der “Geist seines Sohnes“ anderes sein, als der Heilige Geist, über den der Vater und der Sohn in gleicher Weise verfügen?
Im 1. Petrusbrief heißt es:
Nach (der) Seligkeit haben gesucht und geforscht die Propheten, die von der Gnade geweissagt haben, die auf euch kommen sollte, und haben geforscht, worauf oder auf was für eine Zeit der Geist Christi deutete, der in ihnen war und zuvor bezeugt hat die Leiden, die über Christus kommen sollten, und die Herrlichkeit danach.
(1.Pt 1,10+11)
Was im Alten Testament an vielen Stellen als der “Geist Jahwes“ bezeichnet wird, der über die Propheten gekommen ist, erklärt Petrus hier zum Geist Christi.
Auf AG 16,7 und Phil 1,19 weise ich nur kurz hin.
Es sind viele Stellen in der Bibel, die den Geist Gottes und den Geist Christi in eins setzen. Das heißt, daß es notwendigerweise sein eigener Geist wie auch der Geist Gottes ist, wenn Jesus den Heiligen Geist aussendet, und daß der Heilige Geist folglich in gleicher Weise vom Vater wie vom Sohn ausgeht.
4. Die Überlieferung der alten Kirche
Der älteste Kommentar zur Bibel ist ja die Überlieferung der alten Kirche. Und diese Überlieferung zeigt, daß schon die alte Kirche die Bibel so verstanden hat, wie ich es eben dargelegt habe.
Erstmals erscheint das filioque schon in den sogenannten “Canones Hippolyti“. In dieser nur auf Arabisch erhaltenen orientalischen Kirchenordnung, die weitgehend auf die Traditio Apostolica des Hippolyt zurückgeht, wird der Täufling dreimal wie folgt nach seinem Glauben befragt:
(Der Täufling) steige ins Wasser, der Priester aber lege die Hand auf seinen Kopf und frage ihn mit folgenden Worten: “Glaubst Du an Gott, den allmächtigen Vater?“ Und indem der Täufling erwidert: “Ich glaube,“ wird er zum ersten Mal ins Wasser getaucht ...
(19. Canon Hippolyti)
Er wird dann zum zweiten Mal nach seinem Glauben an Jesus Christus befragt mit Worten, die unserem apostolischen Glaubensbekenntnis sehr ähnlich sind. Darauf wird er zum zweiten Mal ins Wasser getaucht. Dann wird er zum dritten Mal gefragt:
Glaubst du an den Heiligen Geist, den Tröster, der von dem Vater und dem Sohn ausgeht?“
(19. Canon Hippolyti / vgl DzH 64)
Die Canones Hippolyti sind wahrscheinlich Mitte des 4. Jahrhunderts aufgeschrieben worden, also wenige Jahrzehnte nach dem Konzil zu Nizäa. Es scheint allerdings Zweifel zu geben, ob gerade auch das hier bezeugte filioque zum ursprünglichen Bestand gehörte. Selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, zeigen die Kanones doch, daß das filioque nicht eine rein westliche Spezialität ist, sondern daß es schon sehr lange auch in der orientalischen Christenheit bekannt und akzeptiert war.
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Das 2. ökumenische Konzil von Konstantinopel hat im Jahr 381 das Nizänum noch einmal überarbeitet und im dritten Artikel erweitert. Nach Hünermann ist die lateinische Fassung dieses Nizäno-Konstantinopolitanums gleich nach Abschluß der Synode um das filioque erweitert worden. Wie Hünermann schreibt, erscheint hier das filioque “erstmals in einem lehramtlichen Dokument“ (DzH Seite 83).
Ungefähr zur gleichen Zeit hat der 397 verstorbene Ambrosius von Mailand gelehrt, daß
der Heilige Geist, wenn er vom Vater und vom Sohne ausgeht, nicht vom Vater und nicht vom Sohne getrennt wird.
(De Spiritu Sancto I,120)
Augustin, sein jüngerer Zeitgenosse, gestorben 430, erklärt in seiner 99. Predigt über das Johannesevangelium lang und breit in den Kapiteln 6-9, daß “der Heilige Geist sowohl vom Vater wie auch vom Sohne ausgeht“.
In der Zeit zwischen 430 und 500 verfaßt ein uns unbekannter Theologe ein lateinisches Glaubensbekenntnis, das vielfach als “Athanasianum“ bezeichnet wird. Dort heißt es:
Der Heilige Geist ist vom Vater und Sohn nicht gemacht, nicht geschaffen, nicht geboren, sondern ausgehend.
Dieses “Athanasianum“ gehört zu den lutherischen Bekenntnisschriften, auf die ich mich bei meiner Ordination habe verpflichten müssen.
Nachdem schon Papst Hormisdas (514-523), in einem Schreiben an Kaiser Justin I. das filioque verwendet hat (PL 63,514BC), wird diese Formel auch bei Papst Gregor dem Großen, der ja immer noch zu den altkirchlichen Theologen gerechnet wird, mehrfach bezeugt. In seiner Vita Benedicti heißt es:
Nun steht es fest, daß der Helfer, der Geist immer aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht ...
(Vita Benedicti XXXVIII / vgl auch PL 75,598, 600, 1198; 76,204)
Das filioque wird also altkirchlich immer wieder bezeugt und das nicht nur im lateinischen Westen, sondern zumindest einmal auch im Arabisch sprechenden Osten. Es ist dann leider in den späteren kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zum Zeichen des Widerspruchs geworden. Bevor wir uns diesem kirchenpolitischen Problem zuwenden, möchte ich mich zunächst noch anderen Punkten zuwenden.
5. Das berechtigte Anliegen der Orthodoxie
Ich habe das Problem des filioque bisher aus der westlichen Sicht dargestellt, die auch meiner persönlichen Überzeugung entspricht. Das schließt aber nicht aus, daß ich mir auch Mühe gebe, den ostkirchlichen Standpunkt zu verstehen.
Neben der Häresie des Arius, der Jesus zu einer Art Halbgott herabstufen wollte, gab es in der alten Kirche auch noch andere christologische Irrtümer, gegen die sich die rechtgläubige Kirche zu Recht gewehrt hat. Einer dieser Irrtümer war der Sabellianismus, benannt nach dem Nordafrikaner Sabellius. Man bezeichnet die Anhänger dieser Irrlehre auch als “modalistische Monarchianer“ oder als “Patripassianer“. Die Sabellianer glaubten, daß die drei Personen der heiligen Trinität nur drei Erscheinungsweisen des einen göttlichen Wesens seien; etwa so: Ein Mensch kann gleichzeitig ein Deutscher, ein Familienvater und ein Pastor sein. So ist auch Gott zugleich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Papst Kallistos hat diese Lehre zurückgewiesen und Sabellius exkommuniziert. Wenn diese Lehre stimmen würde, hätten am Kreuz zugleich mit dem Sohn auch der göttliche Vater und der Heilige Geist gelitten. Das aber ist unmöglich, denn der unsterbliche Gott kann nicht sterben, sonst wäre er nicht unsterblich, und er kann auch nicht leiden.
Nun liegen allerdings das kirchliche Dogma - ein Gott im drei Personen - und der Sabellianismus - ein göttliches Wesen in drei Erscheinungsformen - dicht nebeneinander. Denken wir nur an die Gesangbuchlieder, in denen es heißt:
Du fragst, wer er ist, er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott ...
Wenn man nicht wüßte, daß Luther sonst eine korrekte, kirchliche Christologie vertrat, müßte man sagen: So geht es nicht! Man darf nicht Jesus Christus so mit dem Herrn Zebaoth in eins setzen, wie der Reformator es hier tut.
Oder es heißt in dem Kirchenlied “Wenn meine Sünd mich kränken“:
O Wunder ohne Maßen,
wenn mans betrachtet recht:
es hat sich selbst der wahre Gott
für mich verlornen Menschen
gegeben in den Tod.
Oder in dem Lied “O Traurigkeit, o Herzeleid“ heißt es:
O große Not! Gott selbst liegt tot.
Am Kreuz ist er gestorben;
hat dadurch das Himmelreich
uns aus Lieb erworben.
Solche Lieder sind sehr ergreifend, sie können aber auch leicht im patripassianischen Sinn verstandenen werden.
Man kann also sagen: Die Westkirche betont die Wesenseinheit des Sohnes mit dem Vater so stark, daß sie manchmal dem monarchianischen Modalismus sehr nahe kommt. Ihr Gegner ist vor allem der Arianismus; und ihre Hauptsorge ist vor allem, daß die Würde Jesu nicht ausreichend betont wird.
Dagegen ist die Ostkirche dem Modalismus gegenüber empfindlicher. Ihre Hauptsorge ist, daß die Würde des göttlichen Vaters nicht ausreichend unterstrichen wird. Daher vertritt sie eine subordinatianische Christologie. Das heißt: Jesus ist zwar seit Ewigkeit ein allmächtiger, ewiger Gott - dem Vater in allem gleich - aber dennoch dem Vater untergeordnet. Auch dafür gibt es ja Bibelstellen - wenn zum Beispiel im Philipperbrief steht, daß der Sohn dem Vater gehorsam ward
bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.
(Phil 2,8)
Das Wort “Gehorsam“ bezeichnet ja einen deutlichen Rangunterschied. Gleichrangige Personen gehorchen einander nicht. Sie treffen vielleicht Vereinbarungen - aber “auf gleicher Augenhöhe“.
Hieraus kann man den Schluß ziehen, daß trotz des homousios der Sohn dem Vater untergeordnet ist und daß dem Vater letztlich die größere Ehre gebührt. Wenn das so ist, kann der Geist auch nur vom Vater ausgehen - sozusagen von allerhöchster Stelle - denn auch er ist ja von allerhöchster, göttlicher Majestät.
6. Ein dogmengeschichtliches Problem
Ich habe mich bemüht, auch die ostkirchliche Position zu verstehen. Wir sind dabei auf ein Problem gestoßen. Es scheint so, als ob das filioque zwar biblisch gut belegbar ist, daß es aber mit Hilfe der Bibel auch zugleich widerlegt werden kann.
Zu diesem Problem möchte ich hiermit meine eigene persönliche Meinung darlegen. Es ist nicht die Lehre der Kirche - die gibt es in diesem Punkt nicht - sondern meine eigene Meinung. Ich glaube, daß man in Fragen der Christologie und der Trinitätslehre Widersprüche stehen lassen und ertragen muß.
Daß Jesus zugleich ein wahrer Mensch und ein wahrer Gott ist, ist zwar biblisch gut bezeugt, aber es ist für den Verstand ein Widerspruch - auch wenn wir uns an diesen Widerspruch gewöhnt haben und ihn vielfach nicht mehr als Widerspruch empfinden.
Ebenso verhält es sich mit der Trinität. Daß es nur einen Gott gibt, der aber in drei Personen existiert, von denen jede für sich betrachtet ewig, allmächtig und göttlich ist, ist für den Verstand widersprüchlich und inakzeptabel - auch wenn wir uns an diesen Widerspruch gewöhnt haben und die Trinitätslehre vielleicht nicht mehr als Widerspruch empfinden. Der ständige Vorwurf des Islam, wir seien Polytheisten, ist eigentlich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar.
Mich beschäftigt immer wieder das Schicksal des Papstes Honorius. Er ist im Jahr 638 gestorben und im Jahr 681 vom 6. ökumenischen Konzil verdammt worden. Papst Leo II. hat diese Verdammung bestätigt. Es ging damals, nachdem die Christologie in allen wesentlichen Punkten durchgekämpft und dogmatisiert worden war, um die Frage, ob Jesus nur einen Willen gehabt habe oder zwei. Honorius hat sich in einem Lehrschreiben für einen Willen entschieden. Das ist falsch, haben die Gegner des Monotheletismus erklärt. Wenn Jesus wahrer Mensch war, muß er auch einen menschlichen Willen gehabt haben. War und ist er aber zugleich ein wahrer Gott, muß er auch einen göttlichen Willen gehabt haben. Er hatte demnach zwei Willen.
Diese Lehre von den zwei Willen Jesu ist vom 6. ökumenischen Konzil dogmatisiert worden und mehr oder weniger verpflichtend auch für die heutigen Lutheraner. Mir widerstrebt allerdings die Vorstellung von zwei getrennten Willen bei Jesus. Könnte es nicht sein, das die beiden grundsätzlich verschiedenen Willen in dem einen Messias Jesus zu einer Einheit verschmolzen sind? In der Bibel steht ja nichts, weder über den einen oder über die zwei Willen Jesu. Kann man aber dem Verstand in den Fragen trauen, in denen es um das Geheimnis der Gottheit geht, um die Christologie und die Trinitätslehre? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wir müssen vielmehr immer mit gewissen Widersprüchen rechnen.
Ich plädiere also dafür, die Überzeugung von dem einen Willen Jesu genauso zu akzeptieren wie die Überzeugung von den zwei Willen. Man hätte den Papst Honorius nicht gleich verketzern sollen.
Ich glaube auch, daß die kirchliche Trinitätslehre sogar einen ganz kleinen Schuß von modalistischem Monarchianismus vertragen würde. Man hätte auch Sabellius nicht gleich exkommunizieren sollen.
Ich bin auch der Meinung - ohne daß ich hier auf Einzelheiten eingehen kann - daß der Monophysitismus zwar in Spannung steht zu unserer Lehre von den zwei Naturen Christi, daß man aber die hier zutage tretende Differenz friedlich ertragen könnte, ohne sich gegenseitig Häresie vorzuwerfen.)
Selbstverständlich kann man nicht jeden Widerspruch ertragen. Der Arianismus ist absolut inakzeptabel und in keiner Weise tolerierbar. Aber in anderen Fragen der Christologie und der Trinitätslehre sollte man manchen vernunftgemäßen Widerspruch nicht gleich als große Ketzerei betrachten, sondern prüfen, ob es sich nicht um sich gegenseitig ergänzende Komplimentäraussagen handelt.
Eine solche Sicht empfehle ich auch bei dem strittigen filioque. Ich halte das filioque für gut, richtig und der Ehre Jesu angemessen. Ich kann aber auch den orthodoxen Widerspruch gegen das filioque verstehen und ihn als Komplimentäraussage akzeptieren, die die Ehre des Vaters verteidigen will.
Ich halte es allerdings für falsch, vor der ostkirchlichen Empörung zurückzuweichen und die komplimentäre Spannung einseitig zu ihren Gunsten aufzulösen. Die Ostkirchen mögen ihre Fassung des Nizänums behalten; ich will sie gerne mitsprechen, wenn ich in ihrem Gottesdienst bin; aber für unseren Gottesdienst will ich mir die nicht ohne Grund erweiterte Fassung nicht nehmen lassen. Hier erwarte ich Toleranz auch von der anderen Seite.
7. Dogma und Kirchenpolitik
Dogmatisch richtige Entscheidungen werden manchmal kirchenpolitisch instrumentalisiert. Ich habe das selber so ähnlich gemacht. Nachdem ich lange Zeit mit den demokratischen Wahlen zum Kirchenvorstand nicht zurechtgekommen bin - es wurden immer wieder die falschen Kirchenvorsteher gewählt - habe ich einen Trick angewandt. Ich habe Propaganda gemacht für diejenigen Kandidaten, von denen ich sagen konnte: “Die unterstützen unseren schönen, vollen, liturgischen Gottesdienst! Wollt ihr diese Gottesdienste erhalten, so wählt die betreffenden Kandidaten.“
Ich habe also unsere schönen, liturgischen Gottesdienste für unsere Wahlen instrumentalisiert; und ich bin gut damit gefahren. Daß hier aber auch Gefahren lauern, liegt auf der Hand.
In der alten Kirche ging es nicht um den Gottesdienst und die Demokratie, sondern vielfach um die Rivalität zwischen den Bischofssitzen und um die dazugehörenden Einflußgebiete. In diesen kirchenpolitischen Kämpfen hat man auch gern die christologischen und trinitarischen Dogmen instrumentalisiert. Man hat die kirchenpolitischen Gegner gern zu Ketzern erklärt. Man hat auch kleine Differenzen hochstilisiert, um den Widersacher amtsentheben zu können. Man hat Synoden und Gegensynoden einberufen, um den ungeliebten Rivalen von seinem bischöflichen Thron zu stoßen.
Eine besonders heftige Rivalität bestand leider für lange Zeit zwischen den Bischöfen von Rom und Konstantinopel. Der römische Bischof machte geltend, daß er der Nachfolger des heiligen Petrus sei und daß ihm daher die Oberaufsicht über die ganze Kirche gebühre. Die gleiche oberste Leitung wollte aber auch der Bischof von Konstantinopel ausüben mit der Begründung, daß wo der Kaiser residiere, auch der wichtigste Bischofssitz sei. In diesem Sinn hat sich um das Jahr 600 der Bischof von Konstantinopel den Titel “ökumenischer Patriarch“ zugelegt.
Im Licht dieser Rivalität ist offensichtlich auch jene Synode zu Konstantinopel zu sehen, die im Jahr 867 unter dem Vorsitz des byzantinischen Patriarchen Photius das filioque der Lateiner als häretisch verworfen und den römischen Papst für abgesetzt erklärt hat.
Die römische Kirche hat sich 500 Jahre später (1439) gerächt und auf dem Konzil von Ferrara-Florenz den Delegierten der von den Türken bedrohten, hilfesuchenden Griechen die Unterschrift auch unter das filioque abgenötigt. Das hat dem Frieden allerdings nicht geholfen, denn die erbitterten orthodoxen Kirchen haben die Unterschrift der heimgekehrten Delegierten sogleich widerrufen und annulliert.
Nach meiner Überzeugung ist das schöne filioque von beiden Seiten kirchenpolitisch instrumentalisiert worden und vor allem deshalb in der Ostkirche bis heute zum Stein des Anstoßes geworden.
Meine Meinung ist: Die orthodoxe Kirche kann der römischen Schwesterkirche vieles vorhalten, beispielsweise die Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens, ohne daß es dafür einen Schrift- oder Traditionsbeweis gibt. Es fällt aber auf, daß das viel harmlosere filioque mit viel größerer Empörung kritisiert wird. Meines Erachtens spielt hier ein untergründiges Spaltungstrauma eine Rolle, das man mit Liebe überwinden sollte, nicht mit Nachgiebigkeit.
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Nachgiebig haben sich die altkatholische und die anglikanische Kirche gezeigt; sie haben das filioque aus ihrem Credo gestrichen. Wenn es nur darum ginge, eine formale Unkorrektheit zu korrigieren, wäre das akzeptabel, denn die vom 2. ökumenischen Konzil beschlossene Fassung kennt diesen Zusatz ja tatsächlich nicht. Es geht aber nicht nur um ein formales Problem, es geht auch um die viel schwerwiegendere Frage, ob man eine Aussage zur Ehre Jesu Christi widerrufen darf. Jesus selber hat gesagt:
Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.
(Mt 10,32+33)
Wenn die Ostkirche das filioque niemals in das Glaubensbekenntnis aufgenommen hat, ist das in Ordnung. Ein Glaubensbekenntnis braucht nicht vollständig zu sein. Wenn aber die Westkirche das filioque streicht, ist das zumindest teilweise eine Verleugnung Jesu. Dazu sollte niemand bereit sein.
Karsten Bürgener