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Geschichten erzählen

Die interessante Predigt

 

1. Über das Predigtcharisma

Theoretisch ist die Predigt neben dem Altarsakrament das wichtigste Stück des Gottesdienstes. Praktisch sind die Predigten allerdings vielfach quälend langweilig. Das liegt zum Teil daran, daß die Universitätstheologie den Glauben vieler junger Theologen zerstört oder geschwächt hat, so daß sie als Pastoren nicht mehr die volle biblische Wahrheit predigen können. Es gibt aber auch andere Gründe. In diesem Vortrag geht es um die anderen Gründe.

Wer von Gott ein besonderes Predigtcharisma bekommen hat, braucht keinerlei Belehrung. Der Pfarrer von Ars war schlecht ausgebildet, stand stotternd und weinend auf der Kanzel, und doch haben sich durch seine einfältige Predigt Hunderte und Tausende bekehrt. Andere haben gut studiert und stehen wortgewaltig auf ihrer Kanzel, und auch bei ihnen bekehren sich die Menschen in Scharen - wenn Gott ihnen ein entsprechendes Charisma geschenkt hat.

Wer ein besonderes Charisma hat, braucht keine methodische Vorüberlegung, er legt los und predigt mit Kraft und Vollmacht. Die meisten Pastoren haben aber bei ihrer Ordination bzw. Weihe das Predigtcharisma nur mit Maßen bekommen - wie im Epheserbrief geschrieben steht:

Einem jeglichen unter uns ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi.
(Eph 4,7)

Hier, im Epheserbrief, ist zwar ganz allgemein von den verschiedenen Charismen die Rede, es trifft aber auch auf das Predigtcharisma zu: Nicht jeder Pastor hat ein gleich großes Predigtcharisma bekommen, sondern nur eine so große Gnadengabe, wie Jesus Christus sie ihm zugeteilt hat.

Wer nun aber nur ein begrenztes Charisma erhalten hat, der muß tun, was ein begrenzt musikalischer Mensch tun sollte: um so mehr üben! Hilfreich ist aber auch ein wenig Musiktheorie, auf die der Hochmusikalische gegebenenfalls verzichten kann.

Der Apostel Paulus drückt das im 2. Timotheusbrief so aus:

(Ich erinnere dich,) daß du erweckst die Gabe Gottes, die in dir ist durch die Auflegung meiner Hände.
(2.Tim 1,6)

Durch die Ordination besitzt Timotheus eine Gabe Gottes, gemeint ist: ein ausreichendes Predigtcharisma. Diese Gabe schlummert jedoch in ihm, solange er sie nicht “erweckt“. Das heißt: Er muß das Predigtcharisma trainieren, ausüben, einüben und auch theoretisch durchdenken. “Denn“, so fährt der Apostel fort:

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht.
(2.Tim 1,7)

Nach diesem Schriftwort besteht die große Gefahr, daß der Prediger sich fürchtet. Wann besteht diese Gefahr? Wenn er über die Freuden des Himmels predigt? - oder über die Schrecken der Hölle? Wenn er der Gemeinde die Liebe Gottes vor Augen malt? - oder wenn er ihnen die Gebote einschärft? Es ist klar: Widerstand aus der Gemeinde steht dann zu befürchten, wenn der Pastor mit der Hölle droht und auf den Geboten der Bibel beharrt. Etwa so: Hurerei ist verboten, aber auch Unzucht und wilde Ehe. Sogar das freundliche Gewährenlassen von Unzucht und wilder Ehe ist nicht erlaubt. Denn so schreibt Paulus im 1. Korintherbrief:

Ich habe euch geschrieben in dem Briefe, daß ihr nichts sollt zu schaffen haben mit den Unzüchtigen. ... mit dem sollt ihr auch nicht essen.
(1.Kor 5,9+11)

Es gibt ja heute kaum noch Familien, die nicht mit dem Problem der wilden Ehe zu tun haben, und meistens wird das Problem durch freundliche Toleranz gelöst. Wenn dagegen der Pastor predigt, wie es in der Bibel steht:

... mit dem sollt ihr auch nicht essen.

Und wenn der Pastor dann noch klar macht, was das für die großen Familienfeste bedeutet, dann macht er sich schnell unbeliebt. Andererseits: So eine Predigt mag auf Widerstand stoßen, Langeweile verbreitet sie nicht! Wir kommen damit zum Problem der landeskirchlichen Perikopenordnung.
 

2. Über die landeskirchliche Perikopenordnung

Wenn der Pastor predigt, daß man mit groben Sündern keine Tischgemeinschaft haben darf - es sei denn, man geht aus missionarischen Gründen auf diese Gemeinschaft ein, wie Jesus das getan hat, und sagt dann auch wirklich, was richtig und was falsch ist - wenn also der Pastor predigt, daß man mit groben Sündern keine unbeschwert herzlich-fröhliche Tischgemeinschaft haben darf, dann kommt er leicht in den Geruch, seine eigenen, unbarmherzig-strengen Maßstäbe auf die Kanzel zu bringen, wo die Bibel doch angeblich nur Liebe, Friede und ein gegenseitiges Akzeptieren lehrt. Mit anderen Worten: Den allermeisten Christen sind die strenggebietenden Bibelstellen fremd. Daher ist es nötig, daß der Prediger die entsprechenden Bibelstellen vorliest und so darüber predigt, daß deutlich wird: Hier verkündigt er nicht seine eigene Meinung, sondern er legt die Bibel aus. Er verkündigt Gottes Wort - wenn es auch weh tut.

Noch einmal: Eine Predigt, die weh tut, ist jedenfalls nicht langweilig. Und sie ist in der Regel auch für die interessant, die zunächst gar nicht unmittelbar selber betroffen sind.

Der Pastor muß sich also auf die Bibel berufen. Er muß Gottes Wort vorlesen. Er darf die betreffenden Stellen nicht bloß beiläufig erwähnen. Sondern er muß sie mit der ganzen Wucht einer liturgischen Lesung mitten in den Raum stellen.

Wenn man nun allerdings in die Perikopenordnung hineinschaut, wann das oben zitierte Stück aus 1.Kor 5 vorkommt, muß man feststellen: Ein Predigt über 1.Kor 5,9-13 ist gar nicht vorgesehen. Es gibt ein ähnliches Stück im  2. Thessalonicherbrief. Auch dort wird verboten, mit einem grobsündigen Menschen in brüderlicher Gemeinschaft zu leben:

Wenn aber jemand nicht gehorsam ist unserm Wort in diesem Brief, den merket euch und habt nichts mit ihm zu schaffen, auf daß er schamrot werde.
(2.Thess 3,14)

Hier, im 2. Thessalonicherbrief, geht es nicht um Unzucht, sondern um die Arbeitsscheu einiger damaliger Christen. Ihnen gegenüber erklärt Paulus:

Wenn jemand nicht will (!) arbeiten, der soll auch nicht essen.
(2.Thess 3,10)

Es geht - wohlgemerkt! - nicht um die, die nicht arbeiten können, sondern um diejenigen, die nicht arbeiten wollen. Solche Menschen sollte man getrost dem Hunger überlassen.  Der Hunger wird schon dafür sorgen, daß sich doch noch ein Wille zur Arbeit entwickelt.

Ich garantiere: Auch eine Predigt über arbeitsscheue Christen bzw. Mitmenschen und über die Forderung des Apostels, sich von solchen Menschen zurückzuziehen und sie ruhig hungern zu lassen, wird angesichts unserer Sozialgesetze auf Erstaunen stoßen, vielleicht auch auf Widerstand, aber es wird keine langweilige Predigt werden.

Aber hat schon einmal jemand von uns eine Predigt über diesen Vers gehört? Vermutlich nicht, denn auch dieser Vers kommt im sechsjährigen Predigttextturnus nicht vor. Er erscheint zwar in den Predigtexten für den “Bittgottesdienst für gesegnete Arbeit“, aber wann wird ein solcher Gottesdienst schon gehalten?

Wenn man erst einmal darauf aufmerksam geworden ist, kann man an vielen Stellen feststellen: Die landeskirchliche Predigttextordnung klammert vielfach die zwar harten aber auch interessanten Bibelstellen aus.

Nehmen wir zum Beispiel die Texte, die praktisch das Frauenpfarramt verbieten: 1.Kor 14,34-38 und 1.Tim 2,11-15. Sie kommen selbstverständlich in der Perikopenordnung nicht vor. Es ist auch nicht ganz leicht, über diese Stellen zu predigen. Man muß das sicher sehr einfühlsam tun - mit ausreichendem Verständnis für das Anliegen der Gleichberechtigung von Mann und Frau und mit Verständnis für diejenigen frommen und hochmotivierten Frauen, die gerne Dienerinnen Gottes sein wollen. Dennoch gilt: Eine solche Predigt wird in aller Regel auf Interesse stoßen. Die Gefahr, hier langweilig zu predigen, ist jedenfalls nicht groß.

In Klammern gesagt: Ich empfehle niemandem, in seiner Examenspredigt auf das Problem des Frauenpfarramtes einzugehen, und selbst den Vikaren empfehle ich, dies Thema strikt zu meiden. Aber ein in sein Amt eingeführter Pastor darf das Thema nicht meiden, es sei denn, er ist unfähig, über ein heikles Thema verständnisvoll zu predigen.

Heikel ist natürlich auch das Thema Homosexualität. Keine der betreffenden Bibelstellen ist als Predigttext vorgesehen. Hier geht es nicht in erster Linie um eine verständnisvolle Predigt, sondern um die Vermittlung von Informationen. Homosexualität macht in aller Regel nicht glücklich, sondern unglücklich. Die Homosexualität ist wie ein Getränk, das den Durst nicht löscht, sondern nur noch steigert. Sie verbindet die Partner nicht in Liebe, sondern in Haßliebe. Untreue und häufiger Partnerwechsel sind allgemein üblich. Man sollte sorgfältig das entsprechende Material sammeln und mit auf die Kanzel nehmen. Man sollte der Gemeinde klar machen, daß das biblische Verbot der Homosexualität seine klar erkennbaren Gründe hat. Ich garantiere: Eine gut vorbereitete Predigt zu diesem Thema wird auf allgemeines Interesse stoßen - selbst bei den alten Frauen, die sich mit diesem Problem bisher noch nicht befaßt haben.

Wichtig ist allerdings, daß man nicht in jeder zweiten Predigt einen Seitenhieb auf Unzüchtige, Arbeitsscheue, Pastorinnen und Homosexuelle landet, sondern daß man lieber etwas seltener, dafür aber um so ausführlicher und wohlinformiert das eine wie das andere Problem angeht. Solche Predigten werden immer auf Interesse stoßen, und wir werden erleben, daß bei solchen Predigten ganz unerwartet auch jüngere Gemeindeglieder in der Kirche sitzen, die wir sonst noch nie im Gottesdienst gesehen haben.

Es sind aber nicht nur die harten und reißerischen Themen, die bei der Gemeinde auf Interesse stoßen. Nehmen wir beispielsweise das Abendmahl. In Joh 6,26-58, in der großen Brotrede, finden wir das folgende Wort Jesu:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch.
(Joh 6,53)

Das heißt: Wer nicht zum Abendmahl geht, ist geistlich tot und kommt nicht in den Himmel.

Auch nicht, wenn er ein guter, ordentlicher, anständiger, hilfsbereiter Mensch ist? Auch nicht wenn er sonst ein frommer Mensch ist und jeden Sonntag Fernsehgottesdienst sieht? Und wenn er nur alle zehn Jahre einmal geht?

Predigen Sie einmal ausführlich über diesen Vers, es wird sich vermutlich niemand unter Ihrer Kanzel langweilen. Allerdings, dieser Vers kommt in der landeskirchlichen Perikopenordnung gar nicht vor. Ebenso der anschließende, überaus tröstliche Vers:

Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tag auferwecken.
(Joh 6,54)

Dieser Vers bedeutet: Wer in die Kirche kommt - wenn er nicht gerade ungläubig ist - und nach vorne kommt, seine Hände ausstreckt und die hochgeweihten Abendmahlselemente empfängt, wird mit geistlichen Leben erfüllt und er kommt in den Himmel - wenn er nicht durch groben Glaubensabfall sein Heil wieder verspielt. Natürlich kommen wir nur durch den Glauben in den Himmel, aber der Glaube besteht auch darin, praktisch seine Hände auszustrecken und das Sakrament zu empfangen. Predigen Sie darüber! Je konkreter, desto besser - desto weniger Langeweile! Allerdings und wie schon gesagt: Auch dieser Vers kommt in der Perikopenordnung gar nicht vor.

Nun kann man einwenden: Die gültige Perikopenordnung übergeht in der Tat zwei wichtige Verse, aber sonst übernimmt sie fünf ganze Stücke, etwa drei Viertel der ganzen Brotrede. Ist das nicht anerkennenswert? Ja und nein. Von den fünf Stücken, die die Perikopenordnung übernimmt, sind zwei “Marginaltexte“, die also im eigentlichen Sechsjahresschema nicht vorkommen. Die drei übrigen kommen in der dritten und fünften Reihe vor, im Durchschnitt der sechs Jahre also alle zwei Jahre ein Stück. Wenn aber in einer Gemeinde nur alle vier Wochen das Abendmahl gefeiert wird, wird nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung alle acht Jahre ein Stück aus der großen Brotrede dann gepredigt, wenn es auch tatsächlich Abendmahl gibt. Ansonsten soll über diese Texte gepredigt werden, ohne daß das Gepredigte gleich im Gottesdienst zur Anwendung kommen kann. Welch ein pädagogischer Widersinn!

Wenn aber gar kein Abendmahl gefeiert wird, steht zu befürchten, daß der Prediger auch an diesen Texten das andere, das Übliche betont: die Notwendigkeit des Glaubens, die große Liebe Gottes usw. Das heißt: Nach der gültigen Perikopenordnung kommen die Texte, die die Feier des Abendmahls vorbereiten sollten, wahrscheinlich in einem Predigtgottesdienst zur Geltung, wohingegen im Abendmahlsgottesdienst wahrscheinlich Texte gepredigt werden sollen, die keinen besonderen Bezug zum Altarsakrament haben.

Ich stelle hiermit die Forderung auf: Zumindest wenn der Pastor neu ist in seiner Gemeinde und wenn es nur relativ selten Abendmahl gibt, sollte er die erste Zeit in jedem Abendmahlsgottesdienst eine massive Sakramentspredigt halten und so eine gesegnete Kommunion vorbereiten. Er sollte wie Jesus im Johannesevangelium vom “Fleisch“ Jesu reden und wie es kommt, daß aus einfachem Brot der Leib des Gottessohnes werden kann. Er sollte seine Gemeinde möglichst konkret darüber belehren, was er mit den übriggebliebenen Hostien macht und wann und wo er den Rest des Blutes Jesu austrinkt. Bei den einfältigen Gemeindegliedern wird leider erst an diesen konkreten Dingen klar, daß der Pastor es ernst meint und daß es nicht nur frommes Gerede ist, wenn er vom Leib und Blut Jesu Christi spricht. Und diese praktischen Nebensachen sind für alle Gemeindeglieder interessant, weil ja alles Praktische anschaulicher und interessanter ist, als die reine Theorie.

Der Pastor sollte es also nicht den Zufällen einer fragwürdigen Perikopenordnung überlassen, ob der Predigttext gut zu einem Abendmahlsgottesdienst paßt oder erst umständlich daraufhin interpretiert werden muß.

Dabei geht es natürlich nicht nur um die Realpräsenz, es geht auch um den Segen, um die Vergebung, um die Ordination und um vieles mehr. Daß die wichtigsten Stellen zur Ordination (AG 14,21-25 / 1.Tim 4,14-16 / 2.Tim 1,6) in der Perikopenordnung nicht vorkommen, sei nur am Rande vermerkt.

Zu den erfreulichen Themen der Kirche gehört auch die Taufe. Aber wer hat schon einmal eine richtige, eingehende Predigt zur Taufe gehört? In vielen Gemeinden ist es üblich, die Taufen im Hauptgottesdienst vorzunehmen. Man verweist gern darauf, daß die ganze Gemeinde eine Mitverantwortung für die Taufen hätte. Aber was ist das für eine Verantwortung, wenn man zu der betreffenden Taufe weder Ja noch Nein sagen kann?

Was wird nun bei diesem an sich erfreulichen Anlaß gepredigt? Nach meiner Erfahrung halten sich die Pfarrer stur an die Perikopenordnung. Sie legen den vorgeschriebenen Text aus und predigen so, als ob es keine Taufe gäbe - außer daß sie zwischendurch einmal kurz die Brücke schlagen und in ein oder zwei Nebensätzen auch die Taufe erwähnen. Eine richtige Taufpredigt halten sie jedenfalls nicht. Über die interessanten und spannenden Fragen, ob denn ein Kind schon glauben könne - ob man nicht warten solle, bis das Kind selber entscheiden könne - ob ein Mensch bei der Taufe untergetaucht werden müsse - warum die Katholiken geweihtes Taufwasser verwenden, wir aber nicht - wer die Vollmacht zur Taufe habe - über alle diese praktischen und darum anschaulichen und interessanten Fragen wird in der Regel nicht gepredigt. Das liegt in diesem Fall nicht daran, daß die wichtigsten Texte zur Taufe in der Perikopenordnung fehlten, sondern daran, daß die Perikopenordnung in Hinblick auf Taufe und Abendmahl eineZufallsordnung mit geringer Wahrscheinlichkeit ist.

Auch sonst gilt: Wer sich an die Perikopenordnung hält, klammert von vorneherein viele spannende Themen aus:

  • Die erstaunliche Regelung der vorehelichen Sexualität im Gesetz des Mose (2. Mose 22,15-20),
  • den Spiritismus (3.Mose 19,31),
  • die Astrologie (5.Mose 4,14-19),
  • die Dinosaurier im Hiobbuch (Hi 40+41),
  • die Erbsünde (Ps 51,7)
  • das Lob der tüchtigen Hausfrau in Salomos Sprüchen (31,10-31),
  • die Danielweissagung von den vier Weltreichen (Dn 2,31-45),
  • den Gottesbeweis nach Rm 1,18-27,
  • die Sonderverheißung für die gläubige Mutter in 1.Tim 2,15,
  • den Antichristen im 2. Thessalonicherbrief (2,3-12)
  • das sogenannte tausendjährige Reich nach Offb 20,1-6,
  • und vieles andere mehr.

Alle diese Themen sind in der landeskirchlichen Predigttextordnung nicht vorgesehen. Meine These ist: Die interessante Predigt beginnt mit der Auswahl eines interessanten Textes. Voraussetzung dafür ist ein freier und gelassener Umgang mit der Perikopenordnung.

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Ich habe übrigens früher am Buß- und Bettag auf jeden biblischen Predigttext verzichtet und statt dessen über die Zehn Gebote in der Textfassung des Kleinen Katechismus gepredigt. Ich habe mir zur Vorbereitung der Predigt einen Beichtspiegel genommen und dann zu jedem einzelnen Gebot eine Reihe von Fragen gestellt, wie sie ein Pastor auch in der Beichte stellen kann.

Ich habe ein gutes Gefühl bei dem Verzicht auf einen formal-biblischen Predigttext gehabt, denn auch Jesus und die Apostel haben gelegentlich gepredigt, ohne sich förmlich auf einen Bibeltext zu beziehen. Das ist beispielsweise in der Bergpredigt Jesu der Fall oder - besonders dramatisch - in der Areopagrede des Apostels Paulus (AG 17,22-31).

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Manche Amtsbrüder fürchten sich allerdings davor, von den vorgeschriebenen Predigttexten abzuweichen. Sie fürchten, das werde ihnen als Verstoß gegen ein landeskirchliches Gesetz ausgelegt.

Dazu ist zu sagen, daß die betreffenden Gesetze in der Regel flexibel sind. Das Württembergische Perikopengesetz erlaubt ein Abweichen “in begründeten Ausnahmefällen“. Man sollte von einer solchen Ausnahmeregelung reichlich Gebrauch machen, an guten Gründen wird es ja nicht fehlen! Außerdem gestattet das Württembergische Perikopengesetz in den festlosen Zeiten

im Einvernehmen mit dem Kirchengemeinderat ... zusammenhängende Abschnitte eines biblischen Buches oder eine Auswahl von biblischen Texten zu bestimmten Fragen des Glaubens und der Kirche

auszuwählen. Das heißt: Nach Rücksprache mit dem Kirchenvorstand kann den ganzen Sommer über gepredigt werden etwa über die Zehn Gebote oder über ausgewählte Texte aus dem 1. Korintherbrief oder über die Endzeitprophezeiungen der Bibel. Hier eröffnen sich die allergrößten Spielräume, wenn man nur bereit ist, sie zu nutzen.

Mit einem vernünftigen Kirchenvorstand wird man doch auch regeln können, daß bei Taufen im Gottesdienst ein dafür besonders geeigneter Predigttext ausgesucht werden darf, und ebenso ein entsprechender Text bei Abendmahlsgottesdiensten. Ich bin überzeugt: Keine Kirchenleitung wird hier Schwierigkeiten machen, wenn das im Einvernehmen mit dem Kirchenvorstand geschieht.

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Besonders bei den heiklen Themen kann man davon ausgehen, daß die Gemeinde interessiert zuhört. Es kann allerdings einen Hinderungsgrund geben, warum der Prediger selbst einem heiklen Thema ausweicht. Er hat sich vielleicht selber nicht immer richtig verhalten. Er ist mit seiner lieben Frau schon vor der Hochzeit ins Bett gegangen. Dadurch hat er die Vollmacht verloren, etwas gegen den vorehelichen Sex oder überhaupt etwas gegen Unzucht zu sagen. Insofern ist es ihm ganz recht, daß die Perikopenordnung um solche Themen einen Bogen macht. Selbst der gerechte Hiob räumt ja ein, “Sünden der Jugend“ begangen zu haben (Hi 13,26).

Gegen solche Hemmung des Predigers hilft die Beichte. Wer die “Sünden der Jugend“ oder was auch immer gebeichtet hat, bekommt seine Vollmacht zurück, das Wort Gottes in jeder Richtung lebendig und unverkürzt zu verkündigen.

Es versteht sich von selbst, daß man nicht jeden Sonntag über schwere Sünden predigen kann. Auch über die feinen Sünden muß gepredigt werden. Zum Beispiel: Warum betet ein Christ nicht gerne? Warum muß selbst der Pastor wie auch jeder andere fromme Christ erst seine Gebetshemmungen mühselig überwinden? Was bedeutet das für unsere Liebe zu Gott? Was kann man dagegen tun?

Es gibt viele feine Sünden, über die gepredigt werden muß, aber die groben Sünden sind doch vorrangig zu behandeln.

Falls es nötig sein sollte, weise ich hiermit vorsichtshalber darauf hin, daß ein Pastor selbstverständlich nicht nur das Gesetz predigen darf, er muß auch klar und deutlich die Liebe Gottes und die Vergebung verkündigen. Auch hier gilt: Je konkreter, desto interessanter. Warum gibt es drei Wege der Vergebung, persönliches Gebet, Abendmahl und Beichte? Was ist der Vorteil und was der Nachteil der jeweiligen Art der Vergebung?
 

3. Vom Text zur Predigt - vom Problem zum Text

Der evangelische Pastor ist dafür ausgebildet, daß er biblische Texte als Gottes Wort auslegen und darüber predigen kann. Wenn man jedoch in die Bibel schaut, findet man, daß nicht nur Jesus sondern auch die Apostel gelegentlich ganz freie Predigten gehalten haben, die nicht von einem Text ausgingen, sondern von der gegebenen Situation.

Ein schönes Beispiel, wie auch Jesus vom Text ausgegangen ist, beschreibt Lukas in seinem Evangelium:

(Jesus) kam nach Nazareth, wo er erzogen war, und ging in die Synagoge nach seiner Gewohnheit am Sabbattage und stand auf und wollte lesen. Da ward ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Und da er das Buch auftat, fand er die Stelle, da geschrieben steht: »Der Geist des Herrn ist bei mir, darum weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden, daß sie sehend werden, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.« ... Und er fing an, zu sagen zu ihnen: Heute ist dies Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.
(Lk 5,16-21)

Wie aber schon ein kurzer Blick in die Bergpredigt zeigt, ist Jesus nur in den wenigsten Fällen von einem alttestamentlichen Text ausgegangen. Ähnlich sieht es bei den Aposteln aus. In seiner großen Predigt am ersten christlichen Pfingstfest zitiert Petrus zwar verschiedene Schriftstellen (Joel 3,1-5 / Ps 16,  8-11 / Ps 110,1), Ausgangspunkt ist aber die Situation. Ähnlich verhält sich Paulus in der Synagoge in Pisidien (AG 13,13-41). Vollständig anders verhält sich Paulus aber bei seiner Predigt auf dem Areopag. Er sucht sich seinen Ausgangspunkt bei einem heidnischen Altar, den er in der Stadt gesehen hat, und predigt über Gott und Jesus, ohne irgendeinen Bibelvers zu zitieren.

Übrigens hat auch Luther bei seinen berühmten Invokavit-Predigten keine Rücksicht genommen auf die überlieferte Perikopenordnung. Er hat sich nicht einmal einen anderen Ausgangstext gesucht, sondern frei losgespredigt, wie es sich aus der damaligen Situation ergab.

Es geht also auch anders. Man kann als Schriftgelehrter des neuen Bundes einen Bibeltext nehmen, ihn auslegen und auf unsere heutige Situation anwenden. Man kann als vollmächtiger Diener Gottes aber auch anders predigen, indem man beispielsweise von der Situation ausgeht und sich dazu einen passenden Bibeltext aussucht. Das ist in erster Linie bei aufwühlenden politischen oder gesellschaftlichen Ereignissen zu empfehlen; ich habe das aber auch eine ganze Zeitlang regelmäßig im Jugendgottesdienst getan. Ich habe an jedem Tag, an dem die Jugendgruppe stattfand, morgens die Zeitung mit dem Nebengedanken gelesen: Gibt es einen Artikel, über den ich heute Abend predigen kann. Der Vorteil dieser Methode ist, daß man die Predigt gleich mit einer interessanten Tatsache oder mit einem aufwühlenden Problem beginnen kann.

Der kirchengesetzliche Perikopenzwang besteht ja sowieso nur in Hinblick auf den sonntäglichen Hauptgottesdienst. In allen Nebengottesdiensten ist man sowieso frei. Aber auch in Hinblick auf den Hauptgottesdienst möchte ich den Galaterbrief zitieren:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! ... lasset euch nicht ... einfangen in das knechtische Joch!
(Gal 5,1)

Natürlich ist es gut, wenn man den Kirchenvorstand für das Anliegen gewinnt, auch im Hauptgottesdienst flexibel zu sein, wenn ein interessantes Thema sich aufdrängt.

4. Geschichten erzählen

Predigen Sie möglichst nicht so allgemein über die “Rechtfertigung des Sünders“, wie es Paulus im Römerbrief tut, predigen Sie lieber konkret über die Engel im Himmel, die sich über den Sünder freuen, der Buße tut, wie uns das Jesus vor Augen malt. Der Römerbrief ist gut für einen systematisch denkenden Theologen und für eine akademische Gemeinde, unsere Normalgemeinden brauchen anschauliche Geschichten und Beispiele.

Die Geschichte vom verlorenen Sohn ist nicht nur ein Predigttext zum Auslegen, sondern auch ein Beispiel, wie man selber geistliche Geschichten erfinden kann. Beginnen Sie die Predigt mit den Worten: “Wir stellen uns vor, da ist ein kleiner Junge, der geht gern in den Kindergottesdienst.“ Dann erzählen Sie, wie die Mutter gläubig ist, der Vater aber ungläubig - oder umgekehrt. Welche Anfechtungen kommen auf ihn zu? Was bedeutet für ihn der Konfirmandenunterricht bei einem liberalen Pfarrer? Was bedeutet es für den 16-Jährigen, daß die Schulkameraden schon feste Freundinnen haben, er aber nicht. Was passiert, wenn er mit 17 auch ein Mädchen findet, das er liebt und die zu allem bereit ist. Was bedeutet das für den Glauben? Was passiert da geistlich? Wie verhält sich Gott bzw Gottes Heiliger Geist? Wie sieht sein Leben mit 30 aus? Warum kommt er mit 40 in die Krise? Kehrt er jetzt um? Findet er wieder Kontakt zur Kirche, oder nicht? Wie sieht es mit 65 Jahren aus? Geht er zum kirchlichen Seniorenkreis, aber nicht in den Gottesdienst? Und wenn er mit 70 stirbt, wenn er begraben wird, wenn er aufersteht, wie steht er dann da  vor Gott?

Das nächste mal erzählen Sie die Geschichte einer gut ausgebildeten Frau, die unerwartet ein Kind bekommt und die sich zwischen Beruf, Familie und Abtreibung entscheiden muß.

Erfinden und erzählen Sie geistliche Geschichten! Das ist spannend! Wieviel Geld geben die Leute aus für gute oder schlechte Romane, für gute oder schlechte Filme! Nutzen wir das Interesse an menschlichen Schicksalen und transportieren wir auf diesem Weg geistliche Botschaften, wie es ja auch Jesus in seinen vielen Gleichnissen tut. Dabei sind die Gleichnisse der Evangelien vermutlich nur die Kurzfassung viel längerer Geschichten.

Nutzen Sie das Potential der vielen spannenden alttestamentlichen Geschichten. Rechnen Sie nach, wieviel rechtmäßige Frauen David in seinem Harem hatte, als er sich an der Bathseba verging. Es steht in der Bibel, und von dieser Information dürfen wir Gebrauch machen. Überlegen Sie, warum Bathseba von ihrer unehelichen Schwangerschaft nicht ihrem Mann Mitteilung macht, sondern eine Botschaft an David schickt. Machen Sie Sich Gedanken, ob Uria von der Angelegenheit nichts wußte, als er zu David bestellt war, oder ob er nicht doch über diese halböffentliche Affäre Bescheid wußte. Und dann kommen Sie auf Gott zu sprechen. Warum läßt er den Dingen ihren Lauf? Warum greift er nicht vorher ein, bevor es zu Ehebruch und Mord kommt? Wir erzählen ja keine Geschichten ohne eine geistliche Deutung. Aber interessant sollte die Predigt doch sein.

Im Philipperbrief schreibt Paulus, daß Jesus seinem himmlischen Vater gehorsam war. Was Gott jedoch genau gesagt hat, erfahren wir hier nicht. Luther macht daraus eine Geschichte, wie Gott seinem ewigen Sohn im Himmel den Befehl gibt:

Er sprach zu seinem lieben Sohn: “Die Zeit ist hier zu erbarmen; fahr hin, meins Herzens werte Krohn, und sei das Heil dem Armen und hilf ihm aus der Sünden Not, erwürg für ihn den bittern Tod und laß ihn mit dir leben.“

Der Sohn dem Vater gehorsam ward, er kam zu mir auf Erden von einer Jungfrau rein und zart; er sollt mein Bruder werden ...
(“Nun freut euch, lieben Christengemein“ / vgl auch das Lied “Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“)

Solche Dramatisierungen sind uns auch in der Predigt erlaubt, wir müssen sie nur ausreichend kennzeichnen.

Wir könnten beispielsweise schildern, wie ein getaufter Christ in die Hölle kommt, indem wir wie folgt erzählen:

Wir stellen uns vor: Jetzt, wo es zu spät ist, besinnt sich der Betreffende auf seine Taufe. Er fängt vielleicht an, laut zu schreien: Ich bin ein getaufter Christ, ich bin ein Kind Gottes, ich gehöre in den Himmel, nicht in die Hölle. Das Schreien nützt ihm natürlich nichts, aber vielleicht schickt Gott einen Engel, und der sagt zu ihm: Du hast zwar Recht, du gehörst eigentlich in den Himmel, aber du hättest schon auf der Erde eigentlich in die Kirche gehört, das ist ja der Vorhof des Himmels. Auf der Erde wolltest du mit Gott und dem Himmel nichts zu tun haben, und deine Taufe war dir gleichgültig. Jetzt hilft dir auch deine Taufe nichts. Im Gegenteil, sie fügt dir zu aller Höllenqual den zusätzlichen Schmerz hinzu, daß du eigentlich nicht hierher gehörst. Da hast Du ganz recht! Nur, warum hast du das nicht eher bedacht!

Die interessante Predigt reiht nicht dogmatisch richtige Sätze aneinander, sondern sie malt aus.

5. Meditativ predigen

Der heutige Theologe wird in Quellenscheidung ausgebildet und anderen nutzlosen Dingen, die die biblischen Texte meistens als unhistorisch hinstellen und nur auf ihr sogenanntes Kerygma befragen. Ganz anders ist das meditative Verständnis, das die Texte als historisch zuverlässig versteht und versucht, die knappen historischen Angaben der Bibel durch den damaligen Kontext zu ergänzen. Um es an einem Beispiel zu zeigen: Im Evangelium vom 10. Sonntag nach Trinitatis heißt es:

Als Jesus nahe hinzukam, sah er die Stadt Jerusalem an und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es werden über dich die Tage kommen, daß deine Feinde werden um dich und deine Kinder einen Wall aufwerfen, dich belagern und an allen Orten ängstigen; und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum daß du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.
(Lk 19,41-44)

Jesus weint über die Eroberung der Stadt Jerusalem. Er sieht im Geist die römische Kriegsmaschine und die zukünftigen Trümmer der Stadt. Aber Jesus sieht auch die Menschen und er weiß, was nach damaligem Kriegsrecht mit den Menschen einer eroberten Stadt geschieht. - Wissen Sie das?

Wenn eine Stadt sich damals nicht freiwillig ergeben hat, sondern von den feindlichen Soldaten unter Lebensgefahr erobert wurde, durften die Soldaten alles plündern und wegnehmen, was in der Stadt war - auch die Menschen! Das bedeutet, daß erst einmal alle Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden. Im Deboralied heißt es ironisch:

Sie werden wohl Beute finden und verteilen, ein Weib, zwei Weiber für jeden Mann ...
(Ri 5,30)

Dann wurden alle arbeitsfähigen Männer und Frauen samt den Kindern als Sklaven verkauft. Dabei wurden gewöhnlich die Familien auseinandergerissen. Die alten Leute, die man nicht verkaufen konnte, wurden erschlagen oder ihrem Schicksal überlassen.

Das alles muß man wissen - das alles muß man vor Augen sehen, wenn man von den Tränen Jesu liest. Was man davon in der Predigt ausführlich erwähnt oder vielleicht nur kurz andeutet, ist eine schwierige Frage. Den Jugendlichen im Jugendgottesdienst wird man mehr zumuten können als den Alten, die schon den Einmarsch der Russen in Deutschland erlebt haben. Aber erst, wenn man gut Bescheid weiß und viele Einzelheiten kennt, kann man recht entscheiden, was man der Gemeinde zumuten will, damit die Predigt lebendig und interessant wird, und wo man sich vielleicht lieber mit Andeutungen begnügt, damit die Predigt nicht zu “interessant“ und zu aufregend wird.

Betrachten wir als ein anderes Beispiel die Kreuzigung Jesu meditativ. Das normale Verständnis begnügt sich mit den wichtigsten Fakten: Jesus wurde durch die Hände und Füße an das Kreuz genagelt, das tat offenbar sehr weh. Er ist dann nach sechs Stunden am Blutverlust gestorben.

Wer jedoch den Kreuzestod Jesu meditiert, dringt tiefer in das Kreuzesleiden ein. Ich habe gelesen, daß die Nägel durch die Handwurzeln getrieben wurden, wo alle die feinfühligen Nervenstränge der Finger und der ganzen Hand gebündelt sind. Ein Nagel an dieser Stelle soll solche Schmerzen bereiten, daß ein Gekreuzigter auf der Stelle sterben kann. Jesus hat diesen Schmerz sechs Stunden ertragen.

Wer den Kreuzestod Jesu meditiert, sieht mit Paul Gerhard wie der Blutverlust das Gesicht Jesu verändert:

Die Farben deiner Wangen, der roten Lippen Pracht, sind hin und ganz vergangen, des blassen Todes Macht hat alles hingenommen ...

Was passiert denn, wenn ein Mensch langsam sein Blut verliert? Er bekommt Kreislaufprobleme! Verbunden mit schrecklichen Angstgefühlen! Die Kreislaufangst des Gekreuzigten steigert also die sowieso schon schwere Todesangst. Außerdem bewirkt der zusammenbrechende Kreislauf, daß der Gekreuzigte Schüttelfrost bekommt. Was heißt das? Was bedeutet es für die festgenagelten Hände und Füße, wenn der Körper Schüttelfrost bekommt und zu zittern beginnt?

Nach einiger Zeit erlahmt der Schüttelfrost, es kommen die Krämpfe. Der ganze Brustkorb bekommt Krämpfe. Der Betreffende kann nicht mehr reden und kaum noch atmen. Es ist eine Besonderheit, daß Jesus zum Schluß noch einen lauten Schrei ausgestoßen hat. Normalerweise verröchelt der Mann am Kreuz.

Der Gekreuzigte stirbt schließlich an mehreren Ursachen zugleich. Er verblutet, er erstickt und er stirbt am Wundschmerz.

Aber das ist ja noch nicht alles! Was bedeutet es, daß die Soldaten um die Kleidung Jesu gelost haben? Das bedeutet, daß sie ihn vorher nackt ausgezogen haben! Kennen Sie den Traum, daß man nackend ist und versucht, wegzulaufen, aber man kommt nicht von der Stelle, und man schämt sich furchtbar? Für Jesus war das kein Traum, sondern die Wirklichkeit.

Ich habe einmal an einem Karfreitag ausführlich über die Einzelheiten des Todes Jesu gepredigt. Ich habe es nie wieder getan. Die Gemeinde war schockiert. Das war ihr zu viel. Aber immerhin: Gelangweilt hat sich niemand.

Ich habe später wenigstens den Konfirmanden etwas deutlicher erklärt, was es mit dem Kreuzestod Jesu im Einzelnen auf sich hatte, um ihre Gleichgültigkeit aufzubrechen. Bei den Erwachsenen habe ich es bei dem einen oder anderen Hinweis belassen. Sie sollten wenigstens die eine oder andere Einzelheit wissen, damit sie erkennen, was Paulus schreibt:

ihr seid teuer erkauft ...
(1.Kor 6,20)

Insgesamt gilt: Wer sich meditativ in die biblischen Geschichten hineinversetzt und sich möglichst viele Einzelheiten konkret vorstellt, kann seine Predigten geschickt beleben, indem er durch viele interessante Einzelheiten ein lebendiges Bild der damaligen Heilsereignisse vorträgt.

Grundsätzlich gilt: Ein normales Gemeindeglied besitzt eine gesunde geistliche Neugier. So wie ein Mann, der sich in ein Mädchen verliebt, möglichst viel über sie erfahren möchte, so will auch der gläubige Christ möglichst viele Einzelheiten wissen, die die Bibel als bekannt voraussetzt und verschweigt. Wenn wir dieser gesunden, legitimen Neugier entgegenkommen, wird unsere Predigt lebendiger.

6. Die Diskussion eines erwarteten Einwandes

Sehr gut beleben kann man eine Predigt auch dadurch, daß man einen erwarteten Einwand selber aufnimmt und durchdiskutiert. Ein schönes, ausführliches Beispiel dafür findet sich in Luthers Invokavitpredigten, wo er im Hinblick auf die Wittenberger Bilderstürmer unter anderem erklärt:

Ja, sprachen dieselbigen Bilderstürmer, steht doch da im 2. Buch Mosis geschrieben: “Du sollst dir kein Bildniß, noch irgendein Gleichnis machen, weder deß, das oben im Himmel, noch deß, das unten auf Erden, oder deß, das im Wasser unter der Erde ist“. Siehe da, sagen sie, das sind ja klare, helle Worte, dadurch die Bilder verboten werden.

Ich weiß es wohl, lieben Freunde, daß dies ihr Grund ist, aber sie werden uns mit diesem Text nichts anhaben. Denn wenn wir das erste Gebot und die ganze Meinung desselbigen Textes ansehen, so ist das der Verstand und die Meinung Mosis, daß wir sollen allein Einen GOtt anbeten, und kein Bild, wie es auch der Text klar gibt, der hernach bald folgt: “Bete sie nicht an, und diene ihnen nicht.“ Darum soll man zu denselbigen Bilderstürmern sagen: Das Anbeten ist hier verboten, und nicht das Machen. Bilder mag ich wohl haben oder machen, aber anbeten soll ich sie nicht.

Und wenn sie ferner sprechen: Steht doch hier klar ausgedrückt: Du sollst dir kein Bild machen; so sprich du: Steht doch auch hie klar: Du sollst sie nicht anbeten.  ...

(Es hat doch auch) Moses eine eherne Schlange aufgerichtet in der Wüste, der selbst verboten hat, kein Bild zu machen. Ist eine Schlange nicht auch ein Bild? Was wollen die Bilderstürmer hierzu sagen? Item, waren doch auch zween Cherubim mit Flügeln auf dem Gnadenstuhl im Tempel gemacht, eben an dem Ort, da GOtt allein wollte gesucht und angebetet werden. Sind das nicht auch Bilder? Wie magst du denn so kühn sein, und frei schließen aus diesem Text, daß man Bilder stürmen und umreißen solle.
(Walch2  20,26f)

In ähnlicher Weise sollten auch wir die Einwände, die üblicherweise gegen bestimmte Aussagen der Bibel oder des christlichen Glaubens erhoben werden, in unserer Predigt aufnehmen und durchdiskutieren. Etwa so: “Vielleicht ist jetzt hier jemand in der Kirche der sagt: ... Die Antwort darauf lautet: ... Vielleicht sagt er dann: ... Antwort: ...“

7. Keine Worterklärungen

Es gibt Predigten, die strotzen von Wortspielen und Worterklärungen. So etwas hört sich anspruchsvoll und tiefsinnig an. Ich rate aber ab. Wortspiele sind in der Regel leere Hülsen, sie bringen keine wirkliche Erkenntnis. Was hat ein Christ davon, wenn ihm erklärt wird, das Wort “Sünde“ hinge mit “Sund“ zusammen, einer Meerenge, die etwa eine Insel vom Festland trennt; genau so trenne die Sünde von Gott?

Es ist besser, diese oder jene Sünde konkret - möglichst konkret! - zu benennen und zu sagen: Das Finanzamt zu betrügen, ist von Gott verboten, wenn du es doch tust, mußt du dich nicht wundern, wenn dich Gott bestraft.

Viele Leute besitzen, weil sie interessiert und neugierig sind, ein Lexikon. Ein etymologisches Lexikon besitzen sie allerdings nicht, weil Worterklärungen in aller Regel wenig interessant sind. Viele Pastoren tun aber so, als ob ihre Worterklärungen große Erkenntnisse vermitteln - das ist einfach zu akademisch und zu weltfremd.

 

8. Banale Vergleiche

Die Bibel ist voller Vergleiche. Gott wird mit einem menschlichen Vater verglichen, einmal auch mit einer menschlichen Mutter. Er wird mit einem König verglichen oder mit einem ungerechten Richter. Auch wir sollen und können uns gute Vergleiche ausdenken. Ein guter Vergleich ist die halbe Predigt. Schrecklich aber sind die banalen und die schiefen Vergleiche.

Vor einiger Zeit bin ich in einen Gottesdienst geraten, in dem eine Lesepredigt zum Reformationstag vorgelesen wurde. Predigttext war Jos 24,1-24. Dort wird berichtet, wie Josua das Volk zur Entscheidung aufgerufen hat: Wollt ihr Gott dienen, der euch aus Ägypten befreit hat; oder wollt ihr fremden Göttern dienen, und so den schweren Zorn Gottes heraufbeschwören? Gott wird sich von euch abwenden und euch plagen und sogar ausrotten. Was wollt ihr?

Die Lesepredigt versucht nun, die Entscheidungssituation des Volkes Israel mit folgendem Vergleich verständlicher zu machen:

Wir alle kennen Wegweiser. Wo größere Straßen aufeinanderstoßen, da findet man Wegweiser. In den Städten zeigen Hinweisschilder die Hauptrichtungen an, damit die Verkehrsteilnehmer sich orientieren können ... Wer im Gebirge unterwegs ist, kommt immer wieder an einer Wegkreuzung zu einem Holzpfahl, an dem zwei, drei oder noch mehr kleine Wegweiser angenagelt sind, sie zeigen dem Wanderer an, wohin die verschiedenen Pfade führen.

Wer die Entscheidung für Gott oder den Götzendienst mit den Hinweisschildern für Wanderer im Gebirge verdeutlichen will, verharmlost die Situation. Die Schilder am Holzpfahl weisen nicht auf einen Abgrund hin. Sie bieten als Alternative einen erholsamen Weg zum Dorf A oder B an. Auf dem Landtag zu Sichem ging es aber um Leben oder Tod.

Solche banalen Vergleiche kann man oft hören. Sie helfen nicht, sondern sie verharmlosen das Wort Gottes. Wenn man keinen wirklich guten Vergleich weiß, sollte man auf einen Vergleich verzichten. Wenn man sonst keinen guten Einstieg in die Predigt findet, kann man immer mit der Beschreibung der historischen Situation beginnen.

Jos 24 bildet den Abschluß der Landnahme, und es geht um die bange Frage, wie das Volk Israel sich in Zukunft verhalten wird. Wird es in dankbarer Freude dem unsichtbaren Gott die Treue halten, oder wird es sich zu den selbstgefertigten Götzenbildern der Kanaanäer wenden mit den schrecklichsten Konsequenzen, als da sind: Opferung des ältesten Sohnes in jeder Familie, kultische Prostitution mit Tempelhurern und Tempelhuren, mit perversem Umgang mit Schweinen und anderen Tieren und mit all den seelischen Verwüstungen, die das Heidentum mit sich bringt. - Auch über die von Gott später tatsächlich vollzogenen Strafen wissen wir ja gut Bescheid.

Wenn man von den damaligen Tatsachen ausgeht, hat man einen interessanten, aufwühlenden und mitreißenden Einstieg. Da braucht man keine zusätzlichen Vergleiche. Man muß nur noch deutliche Worte finden, wo es heute hinführt, wenn man Gott und den Gottesdienst links liegen läßt und sich auf die abschüssige Ebene dieser Welt begibt.

 

9. Predigt und Bild

Eine besonders interessante Frage zum Schluß: Kann man eine Predigt mit Bildern interessant und anschaulich machen? Grundsätzlich ja! Es gibt aber praktische Probleme. Ich selber bin als Kind durch eine Bilderbibel für den christlichen Glauben gewonnen worden. Meine Großmutter hat mir an Hand von Schnorr-von-Carolsfeld-Bildern die biblische Geschichte erzählt. Das hat mich tief beeindruckt.

Ich selber habe jahrelang im Kindergottesdienst mit hochwertigen Dias und einem guten Projektor gearbeitet. Wir haben den Gottesdienst in der Kirche begonnen, sind dann zur biblischen Geschichte mit entsprechenden Dias in einen Nebenraum gegangen und dann zur Schlußkatechese und zum liturgischen Abschluß wieder in die Kirche zurückgekehrt.

Daran denke ich gerne zurück; aber ich würde nicht wagen, mit Erwachsenen Gleiches zu tun. Ich wäre nicht sicher, daß nicht eigenwillige Erwachsene erst zum zweiten Teil erscheinen würden oder schon nach dem zweiten Teil nach Hause gingen, oder daß nicht jemand zwischendurch in die Toilette verschwinden würde. Alte Leute mit Krückstock, Handtasche und Brillenetui könnten den Ortswechsel nicht so einfach bewerkstelligen, wie die Kindergottesdienstkinder es taten. Mit Erwachsenen bleibt man besser an einem Ort.

Könnte man das Bild  neben den Altar auf eine Leinwand projizieren oder vielleicht an die Wand hinter bzw neben dem Altar? Und wo sollte der Projektor stehen? Bekäme man damit unverzerrte Bilder? Und gerät dabei nicht der eigentliche Blickfang, der die Anwesenheit Gottes symbolisierende Altar, auf das optische Nebengleis? Ich denke, es gibt hier so viele praktische und ästhetische Probleme, daß man auf Dias während der Predigt doch lieber verzichten sollte.

Ich habe ich erlebt, daß vor einem Gottesdienst kleine Papierbilder ausgeteilt und dann während des Gottesdienstes dazu Erklärungen abgegeben wurden. Allerdings: Die Graphik war nichtssagend, und die Erklärungen nicht besser.

Daraus ziehe ich die Konsequenz: Wenn Papierbilder, dann aber auch gute, nicht zu kleine, und möglichst auf Pappe geklebt, damit es kein Papierknittern im Gottesdienst gibt. Allerdings wäre das wohl schon zu viel Mühe - bloß für eine Predigt!?

 

10. Zusammenfassung

Ich schließe ab und fasse zusammen: Predigen Sie Gesetz und Evangelium so konkret, wie nur möglich. Gehen Sie davon aus, daß ein erheblicher Teil der Männer schon bei der Hure war! Daß leider auch eine aktive Christin schon eine Abtreibung hinter sich haben kann! Daß schon viele das Finanzamt oder die Sozialbehörde betrogen oder ihre alten Eltern im Stich gelassen haben. Lassen Sie Sich nicht von der Fassade täuschen: Es sind nicht immer alle Christen so hochanständig gewesen, wie sie jetzt im Gottesdienst aussehen.

Selbstverständlich muß man vorsichtig sein, wenn man den großen Vorschlaghammer in die Hände nimmt. Man formuliert dann ungefähr so: Wenn jetzt einer unter uns ist, der diese oder jene schwere Sünde auf sich geladen hat und der dafür noch keine Vergebung erhalten hat, so sollte er jetzt in diesem Gottesdienst seine Schuld vor Gott bekennen und um Vergebung bitten. Und dann soll er glauben, wenn er den Leib Christi in Händen hält und wenn das Blut Christi zu ihm kommt, daß Jesus ihm vergibt durch die Kraft seines Kreuzestodes.

Unsere Aufgabe ist es, möglichst jeden zur Einsicht zu bringen, zur Buße zu bewegen und zur Vergebung zu führen. Das geschieht am Besten in einem Gottesdienst mit Abendmahl. Es geht dabei um hochdramatische Vorgänge. Sie sind natürlicherweise von selbst “interessant“, wenn man dieses Wort hier überhaupt anwenden kann. Im Übrigen gilt:

  • Predigen Sie möglichst konkret. Nutzen Sie die Neugier und die Freude der Menschen, interessante Geschichten zu hören.
  • Nutzen Sie den Reichtum biblischer Geschichten, malen Sie diese in ihren Einzelheiten aus.
  • Gehen Sie ausführlich auf die Einwände ein, die oftmals gegen die Glaubensaussagen üblich sind.
  • Suchen Sie gute Vergleiche, aber hüten Sie sich vor nichtstimmigen und banalen Vergleichen.
  • Verzichten Sie auf Worterklärungen und anderen scheinbaren Tiefsinn.
  • Predigen Sie in Taufgottesdiensten ausführlich über die Taufe und vor allem in Abendmahlsgottesdiensten eingehend und ausführlich über das Abendmahl, jedenfalls wenn es nur selten Abendmahl gibt.
  • Vor allem aber gilt: Lösen Sie Sich zumindest innerlich vom Perikopenzwang. Überlegen Sie, so weit das nötig ist, wie Sie mit Hilfe des Kirchenvorstandes Ihren eigenen Ermessensspielraum erweitern können. Die interessante Predigt beginnt vielfach mit einem interessanten Thema, zu dem man sich die dazugehörige Bibelstelle sucht.

Ein abschließender Hinweis für die Studenten unter uns: Dies ist keine Anleitung für eine Examenspredigt; aber auch einem Vikar ist in dem einen oder anderen Punkt Zurückhaltung zu empfehlen.

Karsten Bürgener

 

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