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10.

 

Kommentar zu den

»Richtlinien zum Exorzismus

an den vom Teufel Besessenen«

des römischen Rituale

Abschnitt XII

Einführung und Literaturübersicht

Es gibt in unserer Zeit eine ganze Reihe von Büchern über den Exorzismus, die man zwar alle kritisch lesen sollte, aus denen man aber doch vieles lernen kann, was zum Verständnis der Heiligen Schrift hilfreich ist und vielleicht eines Tages wichtig werden könnte, wenn durch den sich immer stärker ausbreitenden Aberglauben auch für die evangelische Kirche die Frage nach dem Exorzismus aktuell werden sollte. Das wichtigste Buch, das in diesem Zusammenhang erschienen ist, ist zweifellos die lateinisch-deutsche Ausgabe des römischen Exorzismus aus dem vorkonziliaren römischen Rituale mit den ihm vorangestellten Richtlinien. Diese Richtlinien möchte ich hiermit an Hand der Literatur, die ich zum Exorzismus gelesen habe, wie auch auf Grund eigener Überlegungen kommentieren.

Ich selber habe zwar noch nie mit Bewußtsein einen Besessenen gesehen. Auch einen Exorzismus habe ich noch nicht miterlebt. Die „Richtlinien zum Exorzismus an den vom Teufel Besessenen“ des römischen Rituale ermuntern uns aber, die Bücher nicht zu verachten, in denen die Erfahrungen früherer Exorzisten niedergelegt sind:

Damit er (der Exorzist) seines Amtes richtig walte, soll er sich viele wissenswerte Kenntnisse von bewährten Autoren, die wir hier der Kürze wegen übergehen, ... aneignen.

Die am meisten „bewährten“ Autoren sind zweifellos die biblischen Schriftsteller. Ihre Bücher sind unfehlbar inspiriert und führen niemanden in die Irre. Leider sind ihre Angaben zum Exorzismus aber nur sehr knapp und in manchen Einzelheiten nur verständlich, wenn man sie von den ausführlicher überlieferten Erfahrungen der späteren Kirche her deutet. Die späteren Bücher wiederum enthalten zwar viele interessante und ausführliche Einzelheiten, sie müssen aber alle mehr oder weniger kritisch gelesen werden.

Eine  Zwischenstellung  zwischen  der  Bibel  und  den  Werken  verschiedener Einzelautoren nehmen die Richtlinien des römischen Rituale ein, hinter denen die offizielle Autorität der römischen Kirche steht. Diese Richtlinien sollen daher im Folgenden den Leitfaden dieses Aufsatzes abgeben. Leider behandeln sie den Exorzismus etwas unsystematisch. Um ihrer hohen kirchlichen Autorität willen sollen sie aber doch den Leitfaden dieses Aufsatzes abgeben. Dabei lassen sich Wiederholungen leider nicht vermeiden. Einige zusätzliche Punkte, die in den Instruktionen des römischen Rituale nicht berührt werden, möchte ich dann im Anhang behandeln.

Ich beginne zunächst mit einem kurzen Überblick über die Bücher, aus denen ich meine Informationen bezogen habe:

 

1. Quellen

G. Siegmund (Herausgeber):

„Der Exorzismus der katholischen Kirche. Authentischer lateinischer Text nach der von Papst Pius XII. erweiterten und genehmigten Fassung mit deutscher Übersetzung“ (Stein am Rhein 1981)
Abkürzung: Exz

„Die Erteilung der heiligen Weihen in der katholischen Kirche. Nach dem römischen Pontifikale lateinisch und deutsch“ (Mainz 1965)
Abkürzung: W

Dieses kleine Heft enthält die vorkonziliaren Weihetexte, also auch die Weihe zum Exorzisten.

A. Franz:

„Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter“ (Freiburg 1909)
Abkürzung: F

Der zweite Band  enthält eine Reihe lateinischer Exorzismen (Seite 586-615).

 

 

2. Sekundärliteratur

Die informativsten Bücher sind zweifellos die beiden Bücher des deutschen Jesuiten A. Rodewyk:

„Dämonische Besessenheit heute“ (Stein am Rhein 41976)
Abkürzung R1

 und

„Die dämonische Besessenheit“ (Aschaffenburg 21975)
Abkürzung R2

Rodewyk hat selber Exorzismen vorgenommen, er stützt sich aber auch auf reiches Erfahrungsmaterial anderer Exorzisten und bemüht sich um eine systematische Darstellung seines Stoffes. Er gilt bei manchen Katholiken als der Fachmann für Dämonologie; und seine Bücher sind in der Tat besonders informativ und lehrreich. Sie müssen dennoch mit äußerst kritischem Verstand gelesen werden. Das gilt besonders für Rodewyks Liebe zu den Teufelspredigten und überhaupt für das ganze leichtgläubige Vertrauen, das er den verschiedenen Aussagen der bösen Geister entgegenbringt.

An zweiter Stelle möchte ich das wichtige Buch von K. Koch nennen:

„Seelsorge und Okkultismus“ (Berghausen 8ohne Jahr, nach 1956)
Abkürzung: K

In dieser Doktorarbeit des bekannten evangelischen Pfarrers und Evangelisten wird an Hand vieler praktischer Beispiele der fast naturgesetzliche Zusammenhang zwischen den verschiedensten okkulten Praktiken und der anschließenden seelischen und geistlichen Belastung bis hin zur Besessenheit aufgezeigt. Dabei geht er zwar nur relativ kurz auf die Besessenheit ein, aber er ordnet sie konsequent in den Zusammenhang von Schuld und den Folgen der Schuld ein - eine Sicht der Dinge, die sich in den katholischen Büchern so nicht findet.

 

Als besonders wichtig möchte ich auch das Buch von G. Amorth anführen:

„Ein Exorzist erzählt“(Abensberg 21994)
Abkürzung: A

Amorth ist ein italienischer, konservativ-katholischer Exorzist, der aus reicher Erfahrung berichtet. Er ist in vieler Hinsicht vorsichtiger und seriöser als Rodewyk, wenn ich ihm auch in einigen Punkten widersprechen möchte. Das Buch dürfte noch im Buchhandel erhältlich sein.

 

Das beste katholische Buch, das ich zum Thema des Exorzismus gelesen habe, kommt von R. Lauretin:

„Der Teufel. Mythos oder Realität?“ (Hauteville 1996) (ISBN 3-907523-72-5)
Abkürzung: RL

Professor Lauretin ist Mitglied der Päpstlichen Theologischen Akademie in Rom. Er hat selber keine Exorzismen vorgenommen, ist aber bei zahlreichen Exorzismen zugegen gewesen. Er war Vorsitzender eines Exorzistenkongresses und hat eine Umfrage unter 37 Exorzisten veranstaltet. Das Hauptanliegen seines Buches scheint der Versuch einer theologischen Einflußnahme auf die in Rom beabsichtigte Reform des Exorzismusformulars zu sein. Sein Wunsch ist, daß diese Reform nur vorsichtig und nicht allzu radikal durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang geht es ihm zunächst um die tatsächliche Realität des Teufels und der Dämonen. Er äußert sich dann aber auch ausführlich zum Exorzismus. Dabei geht er nicht so sehr in die Einzelheiten wie Rodewyk und Amorth, deren Bücher daher neben Lauretins umfangreichem Werk ihren besonderen Wert behalten.

 

 

Die übrigen Bücher führe ich in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Verfasser an:

Athanasius:

„Leben und Wandel unseres frommen Vaters Antonius“ (BKV231,687ff)
Abkürzung: Ath

Ich halte den Eremiten Antonius nicht für einen Heiligen. Er hat sich von der christlichen Gemeinde zurückgezogen, ist jahrelang weder zum Gottesdienst noch zur Kommunion gegangen und hat damit fortwährend gegen das dritte Gebot verstoßen. Der Bericht über die Angriffe der Dämonen gegen den Eremiten ist jedoch interessant und lehrreich.

J. C. Blumhardt:

„Blumhardts Kampf. Zuverlässiger Abdruck seines eigenen Berichts über die Krankheits- und Heilungsgeschichte der Gottliebin Dittus in Möttlingen“ (Stuttgart 151975)
Abkürzung: B

Der evangelische Pfarrer Blumhardt hat keinen Exorzismus vollzogen, sondern die Dämonen durch Gebet vertrieben. Aber auch seine Erfahrungen sind lehrreich und stimmen weitgehend mit denen der katholischen Exorzisten überein.

W. van Dam:

„Satan existiert. Erfahrungen eines Exorzisten“ (Augsburg 1994)
Abkürzung: Dam

Van Dam ist ein niederländischer Pastor, wahrscheinlich reformiert und offensichtlich Charismatiker. Ein Vortrag von Kurt Koch hat ihm 1964 die Augen für die Realität der Dämonen geöffnet, darüber hinaus hat er die Äußerungen der alten Kirchenväter und die Bücher von Rodewyk studiert. Er schreibt, daß er an mehr als tausend Besessenen Exorzismen vollzogen hat. Seine Erfahrungen decken sich weitgehend mit denen anderer Exorzisten, aber auch sein Buch ist kritisch zu lesen.

 

 

F. Goodman:

„Anneliese Michel und ihre Dämonen“ (Stein am Rhein 1980)
Abkürzuung: FG

An Hand von Tagebuchnotizen und vielen Tonbandmitschnitten dokumentiert die  protestantische  deutsch-amerikanische  Professorin  für  Linguistik  und Anthropologie ausführlich und eindringlich den tragisch gescheiterten Versuch zweier katholischer Priester, die Studentin Anneliese Michel von ihren Dämonen zu befreien. Die ganze Angelegenheit endete mit dem Tod des Mädchens und hatte ein gerichtliches Nachspiel, in dem die Exorzisten zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, weil sie es angeblich versäumt hatten, einen Arzt hinzuzuziehen.

 

L. Gutwenger (Herausgeberin):

„Treibt Dämonen aus. Von Blumhardt bis Rodewyk. Vom Wirken katholischer und evangelischer Exorzisten“ (Stein am Rhein 1992)
Abkürzung LG

Dieses Buch bietet ein Sammelsurium sehr unterschiedlichen Materials. Es enthält u. a. einen Nachdruck von Blumhardts „Kampf“ sowie ergänzende Informationen zum Fall Anneliese Michel. Andererseits wird dem Phänomen der „Teufelspredigt“ eine unangemessene Aufmerksamkeit entgegengebracht.

 

E. von Petersdorff:

„Dämonologie“ (Stein am Rhein 21982)
Abkürzung: P I und P II

In diesem zweibändigen Werk sind mit großem Fleiß die verschiedensten Spekulationen über die Welt der Dämonen zusammengestellt und systematisiert. Kaum lesenswert.

 

G. Siegmund (Herausgeber):

„Von Wemding nach Klingenberg. Weltberühmte Fälle von Teufelsaustreibungen“ (Stein am Rhein 1985)
Abkürzung: S

Dieses Buch enthält eine besonders interessante Einzelfallsammlung mit Kommentaren verschiedener Autoren.

 

 

B. Kommentar zu den Richtlinien des römischen Rituale

1. Absatz

Der Priester, der durch eine besondere und ausdrückliche Vollmacht des Ordinarius (Ortsbischofs) die vom Teufel Besessenen beschwört, soll sich durch Frömmigkeit, Klugheit und unbescholtenen Lebenswandel auszeichnen. Nicht auf seine eigene, sondern auf die Kraft Gottes gestützt, und losgelöst von jedem menschlichen Verlangen, vollziehe er aus Liebe und mit Standhaftigkeit und Demut dieses Gott so wohlgefällige Werk. Es geziemt sich ferner, daß er reifen Alters sei und nicht bloß wegen seines Auftrages, sondern auch wegen seines sittlichen Ernstes Achtung verdient.

Bei den altkirchlichen Theologen stößt man immer wieder einmal auf die Überzeugung, daß prinzipiell jeder Christ zum Exorzismus befähigt ist. So schreibt Justin der Märtyrer:

Und uns, die wir an unseren unter Pontius Pilatus gekreuzigten Herrn Jesus glauben, sind jetzt alle Dämonen und die bösen Geister auf unsere Beschwörung hin untertan.
(Dial LXXVI,6)

Besonders zugespitzt findet sich die gleiche Überzeugung bei Tertullian. Tertullian erklärt in seiner Apologie, daß in allen Menschen, aus denen angeblich ein Gott spricht, in Wirklichkeit ein Dämon wohnt. Dies könne man durch einen Exorzismus beweisen. In diesem Zusammenhang schreibt er:

Erscheinen soll hier an dieser Stelle vor eurem Richtersitz einer, von dem feststeht, daß er von einem Dämon besessen ist; wenn ein beliebiger Christ ihm zu sprechen befiehlt, wird dieser Geist sich ... der Wahrheit gemäß als Dämon bekennen ... Ebenso führe man einen von denen vor, die angeblich unter der Gewalt eines Gottes leiden ... sollten sie sich nicht als Dämonen bekennen und vor dem Christen zu lügen wagen, dann vergießt auf der Stelle das Blut dieses über alle Maßen unverschämten (angeblichen) Christen.
(Apologie 23,4-6)

Auch aus der evangelischen Missionsgeschichte sind Beispiele bekannt, wo einfache Christen - jedenfalls keine geweihten Exorzisten - den Geistern vollmächtig gebieten konnten:

Auf Sumatra und Nias haben die Christen Besessenen gegenüber es gewagt, ruhig den bösen Geist im Namen Jesu gehen zu heißen, dann war es ihnen selbstverständlich, daß der Dämon den armen Menschen verließ.
(K 222)

Nun stellt sich die Frage: Wozu hat Jesus den Aposteln besondere exorzistische Vollmacht verliehen, und warum gab es in der katholischen Kirche bis zum letzten Konzil eine besondere Exorzistenweihe, wenn sowieso jeder Christ exorzisieren kann?

Es gibt offenbar zwei Wege, die exorzistische Vollmacht zu erhalten, nämlich Taufe und Weihe. Ein wesentlicher Bestandteil des Exorzismus ist ja die Bedrohung der Dämonen. Im römischen Exorzismus heißt es:

Je später du ausfährst, um so größer wird die Strafe, denn du verachtest nicht Menschen, sondern den Herrscher über die Lebenden und die Toten. Er wird kommen, um die Lebenden und die Toten und die Welt durch das Feuer zu richten.
(Exz 47)

Zur Drohung berechtigt ist einmal der rechtmäßige Vertreter eines mächtigen Mannes, das heißt in diesem Fall der bevollmächtigte Amtsträger Jesu Christi. Drohen kann aber auch das Kind eines Mächtigen, das seinen Vater täglich sieht und sprechen kann. Das heißt auf unsere Frage übertragen: Auch der Getaufte als Kind Gottes kann die Dämonen wirksam bedrohen.

Die Exorzistenweihe ist demnach so zu beurteilen, wie wenn ein erwachsener Sohn seinen Vater nicht nur bei den Mahlzeiten trifft und ihn bei dieser Gelegenheit um Hilfe gegen unangenehme Mitmenschen bitten kann, sondern wie wenn er darüber hinaus auch noch Jura studiert hat und formell als Prokurist seines Vaters eingesetzt worden ist. Die Exorzistenweihe verstärkt also die Vollmacht, wobei das „Jurastudium“ des Sohnes auf unser Beispiel übertragen bedeutet, daß der Exorzist möglichst Theologie studiert und sich auch ausreichend mit Fragen des Exorzismus befaßt haben sollte.

Es ist aber noch eine weitere Voraussetzung notwendig, und darauf macht uns der erste Abschnitt der „Richtlinien des römischen Exorzismus“ aufmerksam. Der Exorzist

soll sich durch Frömmigkeit, Klugheit und unbescholtenen Lebenswandel auszeichnen.

Mit anderen Worten: Er darf nicht durch eigene schwere Sünden seine Vollmacht verloren haben. (Wenn der Sohn selber ein Tunichtgut ist, bleibt die Drohung, sich beim Vater zu beschweren, wirkungslos.)

Darum empfiehlt Rodewyk, ein Exorzist solle unbedingt vorher zur Beichte gehen. Er berichtet von verschiedenen Menschen, die einen Besessenen besuchen oder einen Exorzismus vornehmen wollten, denen die Dämonen jedoch ihre ungebeichteten Sünden im Beisein anderer Anwesender vorgehalten hätten, worauf diese beschämt nach Hause gegangen seien. Demgegenüber zeigt die allgemeine Erfahrung, daß die Dämonen auf gebeichtete Sünden nicht zu sprechen kommen, bzw daß sie diese Sünden nicht kennen (R2 90f / A 84 / S 79).

Es ist also verständlich, wenn die Richtlinien nur einen „frommen“ Exorzisten zulassen wollen. Und da man oft nicht weiß, wer wirklich fromm ist, soll er wenigstens „unbescholten“ sein.

Wenn jedoch der Exorzist selber ein schwerer, unbußfertiger Sünder ist, so läuft er möglicherweise Gefahr, daß die Besessenheit auf ihn selber überspringt. Daß es zu einem solchen Überspringen kommen kann, haben die Ereignisse in einem Kloster in Loudun gezeigt. Koch spricht in diesem Zusammenhang von einer „Ansteckung der exorzisierenden Priester“. Er schreibt:

Bei der Besessenheitsepidemie in Loudun ist eine Reihe von Geistlichen erkrankt, die Patres Surin, Lactance, Tranquille, Lucas usw. Auch die Nonne Jeanne des Anges ist erst durch die Exorzismen richtig besessen geworden.
(K 223)

Auch Lauretin kommt auf diese Ereignisse in einem französischen Nonnenkloster zu sprechen, die sich dort im 17. Jahrhundert abgespielt haben (RL 127-149 / 195). Hier hatte der Pater Surin offenbar den Fehler begangen, daß er sich dem Dämon freiwillig zur Verfügung stellte, wenn dieser dafür aus der Priorin ausfahren würde.

Dies war sicher ein besonders ungewöhnlicher Fall. Wenn es auch in anderen Fällen zum Überspringen des Dämons gekommen ist, so wird man das doch wohl am ehesten so zu erklären haben, daß schwere ungebeichtete Sünden vorlagen. In diese Richtung weist jedenfalls die folgende Mahnung der früheren katholischen Exorzistenweihe:

Bestrebet euch daher, daß ihr ... aus euren Herzen und Leibern alle Unreinigkeit und Bosheit entfernet, damit ihr nicht jenen unterlieget, die ihr aus anderen durch euren Dienst verscheuchet. Lernet durch euer Amt die Laster beherrschen, auf daß der Feind in euren Sitten nichts ihm Gehöriges beanspruchen könne.
(W 22)

Wer ein lasterhaftes Leben führt, ist demnach dem Teufel verfallen, der seinen Anspruch bis dahin möglicherweise aufgeschoben hat, nun aber eine gute Gelegenheit sieht, ihn geltend zu machen.

*

Der Exorzist muß also fromm und zu Recht unbescholten sein. Und damit niemand diese Voraussetzung auf die leichte Schulter nimmt, betonen die Richtlinien auch noch, daß der Exorzist „wegen seines sittlichen Ernstes Achtung verdienen“ müsse. Daß allerdings auch Klugheit im Umgang mit den Dämonen nötig ist, ergibt sich aus vielen Einzelheiten, auf die wir noch im folgenden zu sprechen kommen müssen.

Im übrigen sind auch noch „Liebe“ und „Standhaftigkeit“ erforderlich. Hat der Exorzist nicht die nötige Liebe und Standhaftigkeit, wird er den langwierigen Exorzismus nach einiger Zeit erfolglos abbrechen und dem Teufel den Triumph überlassen. Und da ein schwerer Exorzismus nicht unter vier Augen vollzogen werden kann, sondern Helfer nötig sind, würden dann auch diese mithineingezogen werden in die Niederlage des Dieners Christi. Darum ist also Beharrlichkeit notwendig und eine echte Liebe zu dem armen besessenen Menschen.

Offensichtlich haben die Dämonen bei Jesus  immer und sofort gehorcht. Von den Aposteln hören wir jedoch, daß sie zumindest einmal nicht in der Lage waren, den Dämon sofort aus dem Besessenen zu vertreiben. Jesus hat dazu gesagt:

Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten und Fasten.
(Mk 9,29)

Das heißt: Bei einem solchen schweren Fall von Besessenheit kann es Tage, Wochen oder Monate dauern, bis der böse Geist ausfährt, und während dieser Zeit muß die Austreibung durch anhaltendes Fasten und Gebet unterstützt werden.

In die gleiche Richtung weist auch ein Wort des Cyprian, der ebenfalls von der Möglichkeit sehr langwieriger Exorzismen ausgeht:

So kommt es auch heute noch vor, daß der Teufel durch Beschwörer mit menschlicher Stimme, aber göttlicher Macht gegeißelt und gesengt und gefoltert wird. Daß er zwar oft sagt, er fahre aus und verlasse die Menschen Gottes, daß er aber mit diesen Worten nur betrügt und mit der gleichen lügnerischen Verstocktheit und Tücke das übt, was früher durch Pharao geschehen ist.
(Brief 69,15)

In gleicher Weise spricht Theodor von Mopsuestia von einem „großen Geschrei“ der Exorzisten, das „über lange Zeit hinweg“ andauere1.

Nach den Richtlinien des römischen Rituale sollte der Exorzist keinen Exorzismus „aus dem menschlichen Verlangen“, das heißt aus Neugier oder Sensationslust beginnen. Die Warnung vor „menschlichem Verlangen“ ist offenbar nötig. Rodewyk und andere scheinen dem ungeistlichen Verlangen, durch die Dämonen über jenseitige Dinge belehrt zu werden, immer wieder erlegen zu sein. Vielleicht liegt hier einer der Gründe, warum sich manche Exorzismen sogar über Jahre hinaus erstreckt haben (A 43 / R1 83ff) und warum beispielsweise der Exorzismus an Anneliese Michel ganz gescheitert ist.

Aus alledem ist es nun leicht verständlich, daß die Richtlinien hohe Anforderungen an die Person des Exorzisten stellen. Die Taufe allein und selbst die Weihe genügen in vielen Fällen nicht. Damit sich nun niemand selbst überschätzt, muß nach den Richtlinien die Erlaubnis zum Exorzismus vom zuständigen Bischof eingeholt werden. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil viele Exorzismen - meist unbeabsichtigt - ein starkes öffentliches Interesse auslösen. Gelegentlich kommt es zu gerichtlichen Nachspielen (S 14+23f / vgl R1 90), und dabei wird in aller Regel auch nach der Stellung der Kirche zu diesem angeblich „mittelalterlichen Aberglauben“ und nach der Verantwortung der kirchlichen Autoritäten gefragt.

 

2. Absatz

Damit er seines Amtes richtig walte, soll er sich viele wissenswerte Kenntnisse  von  bewährten  Autoren,  die  wir  hier  der  Kürze  wegen übergehen, und aus (dem sonstigen) Erfahrung(swissen) aneignen. Das Wenige, das hier als besonders wichtig angeführt wird, möge er sorgfältig beachten.

Diesen Absatz habe ich ja schon zitiert. Hier möchte ich nur kurz die Frage stellen, welches denn die „bewährten“ Autoren sind? Die Antwort darauf ist schwierig. Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als jeden Autor kritisch zu lesen.

 

3. Absatz

Vor allem darf er (der Exorzist) nicht ohne weiteres annehmen, jemand sei vom Teufel besessen, sondern er muß jene Merkmale kennen, durch die ein Besessener sich von jenen unterscheidet, die an einer Krankheit, namentlich seelischer Art, leiden. Die Merkmale einer teuflischen Besessenheit können folgende sein: Wenn einer ausführlich eine ihm unbekannte Sprache spricht oder einen versteht, der in einer solchen redet; wenn er Entferntes oder Verborgenes kundtut; eine Kraft aufweist, die über sein Alter und seinen Zustand hinausgeht. Wenn derartige Tatsachen zugleich in größerer Anzahl auftreten, so sind sie als um so bedeutsamere Anzeichen zu bewerten.

Schon in meiner Vikariatsausbildung bin ich darauf hingewiesen worden, daß ein Seelsorger seine Grenzen erkennen muß. Es sei falsch, kranke Menschen seelsorgerlich zu behandeln. Kranke gehörten in die Hand eines Arztes, seelisch Kranke müßten an den Psychologen weitergeleitet werden. Nun möchte ich es dahingestellt sein lassen, ob es tatsächlich richtig ist, einen gläubigen Christen, der beim Pfarrer Hilfe sucht, an einen Psychologen weiterzureichen - es sollte zumindest kein ungläubiger Psychologe sein! Aber sicher ist es richtig, daß kranke Menschen zunächst einmal in die Hände des Arztes gehören.

Dies gilt auch für einen Geisteskranken, der in seinem äußerlichen Auftreten einem Besessenen oft zum Verwechseln ähnlich sieht. Sowohl das dramatische Toben als auch das melancholische sich in sich selbst Verkriechen können bei psychisch Kranken wie auch bei Besessenen vorkommen. In unseren Zeiten ist Vorsicht um so nötiger, als der erfolglose Exorzist relativ schnell vor das Gericht gezogen werden kann, wo man ihm zum Vorwurf machen wird, den kranken Menschen von den Ärzten ferngehalten und so seine schnelle Heilung verhindert zu haben. Selbst bei der tatsächlich besessenen Anneliese Michel sind die beiden Exorzisten vor Gericht gestellt und zu Bewährungsstrafen verurteilt worden - übrigens, obwohl sich auch ein Arzt um die Studentin gekümmert hat.

Aber auch ohne die Möglichkeit eines gerichtlichen Nachspiels sollte man nicht leichtfertig auf Besessenheit schließen, sondern seine Diagnose zurückhaltend und vorsichtig stellen.

Fünf Merkmale zählen die Richtlinien des römischen Rituale auf, die charakteristisch für die Besessenheit sind:

1. Das Reden in einer Fremdsprache, die der Besessene nicht gelernt hat.

2. Das Verstehen einer solchen Fremdsprache.

3. Die Fähigkeit, verborgene Dinge sehen zu können.

4. Die Fähigkeit, Zukünftiges vorherzusagen.

5. Sehr starke, ungewöhnliche Kräfte.

Die ersten beiden Merkmale leuchten unmittelbar ein: Eine Krankheit, ein seelischer Defekt, kann niemals die Ursache dafür sein, daß ein Mensch eine fremde Sprache beherrscht. Katholische Exorzisten haben deshalb den Dämon gern auf Latein angesprochen; bekamen sie lateinische Antworten, so war das ein annähernd sicheres Zeichen für Besessenheit. Allerdings treten diese Kennzeichen nach Amorth nur während des Exorzismus auf, nie vorher, da der Dämon sich ja nicht unnötig zu erkennen geben will (A 40f). Man muß demnach den Dämon zunächst mit einem Probe-Exorzismus reizen und provozieren, bevor man diese Zeichen erleben kann.

Auch der dritte und vierte Punkt leuchten unmittelbar ein. Wer Zukünftiges richtig vorhersagt, ist - falls es sich nicht um einen Zufallstreffer handelt - inspiriert, entweder vom Heiligen Geist oder vom bösen Geist. Das Entsprechende gilt wohl auch für die Fähigkeit, etwa aus weiter Entfernung angeben zu können, daß ein gesuchter Leichnam auf dem Grund eines Hafenbeckens liegt. Von einem solchen Fall habe ich einmal gelesen.

Von einer erstaunlichen Stärke der Besessenen liest man immer wieder. Bei dem Exorzismus von Wemding im Jahr 1891 konnten vier Männer den rasenden, zehnjährigen Michael Zilk nur mit Mühe festhalten (S 19f). Ein solches Festhalten ist vielfach nötig, weil der Besessene oft aggressiv wird, auf den Exorzisten losgeht, ihm das Rituale aus der Hand schlägt und ihm mit Schlägen zusetzt. Der Schweizer Abbé Schindelholz berichtet:

So nahm ich mein Rituale ... und Weihwasser zur Hand und begab mich zunächst in vorsichtige Distanz. Doch katzenartig, wie ein Blitz sprang das Mädchen auf und ließ mein Rituale in die Luft fliegen, zusammen mit allen Heiligenbildern, die sich darin befanden. Unverzüglich wurde Barbara auf ihr Bett niedergedrückt, wo sie wütend versuchte, sich loszumachen. Vier starke Männer versuchten, sie festzuhalten.
(LG 218)

Von Anneliese Michel hören wir:

Oft musste Anneliese bei den exorzistischen Sitzungen festgehalten werden, damit sie sich und andere nicht mit Beissen, Treten und Boxen verletzte. Gewöhnlich tat das (ihr Freund) Peter oder ihr Vater. Aber sie hatte solch eine unwahrscheinliche Kraft, dass die Männer kaum dagegen aufkamen. Sie fiel immer wieder auf die Knie, um in rasender Geschwindigkeit wieder aufzustehen, bei einer Sitzung laut Pater Arnold mindestens sechshundert Mal, mit ganz geringen Unterbrechungen.
(FG 210)

 

Ein anderes Beispiel berichtet Rodewyk:

Zu sieben Leuten mußte man Monika nun halten. Drei Schwestern saßen am Bettende auf den Füßen der Besessenen ...
Als Monika an Händen und Füßen und am Kopf festgehalten wurde, kniete Bischof Delalle mit einem Knie auf ihrer Brust, um den Körper niederzuhalten - und dann krachte das Bett zusammen. Als Monika dann auf dem Boden lag, kam man besser zurecht.
(R2 150+195)

Amorth berichtet über

den Fall eines mageren und offensichtlich schwachen Mädchens. Während der Exorzismen konnten es vier Männer kaum festhalten. Es zerriß alle Fesseln, auch breite Lederriemen, mit denen man es festzubinden versuchte. Einmal wurde es mit dicken Stricken an ein Eisenbett gebunden, aber es verbog die Stäbe und brach das Eisen.
(A 61)

 

Übrigens: Wer einen Besessenen festbinden will, sollte vorher das Einverständnis der betroffenen Person einholen (am besten schriftlich), damit man nicht später wegen angeblicher Freiheitsberaubung angeklagt werden kann. Der Betreffende ist außerhalb des eigentlichen Besessenheitsanfalls zu solch einem Einverständnis durchaus in der Lage(RL 304).

Von der besonderen Stärke der Besessenen berichtet auch das Neue Testament. Der Besessene bei Gerasa hat einfach die Ketten zerrissen, mit denen er gebunden war (Mk 5,4), und nach der Apostelgeschichte konnte ein Besessener sieben jüdische Beschwörer schwer mißhandeln:

... der böse Geist antwortete und sprach: Jesus kenne ich wohl, und von Paulus weiß ich wohl - wer seid ihr aber? Und der Mensch, in dem der böse Geist war, sprang auf sie und ward ihrer aller mächtig und warf sie unter sich, so daß sie nackt und verwundet aus dem Hause entflohen.
(AG 19,15+16)

Hier hat also ein einzelner Besessener sieben Männer zu Boden geworfen, verwundet und entkleidet, so daß sie an keine Gegenwehr denken, sondern nur noch fliehen konnten.

Zu den vom römischen Rituale genannten Kennzeichen für wirkliche Besessenheit fügt Rodewyk noch hinzu, daß man einen Besessenen auch daran erkennen könne, wenn man dem Dämon in Gedanken einen exorzistischen Befehl erteile und wenn der Besessene darauf mit einem Anfall reagiere (R2 13).

Für Amorth ist es ein weiteres wichtiges Zeichen für Besessenheit,

daß der Dämon alles tut, um seine Anwesenheit zu verbergen. Und gerade das ist eine Beobachtung, die uns hilft (wenn auch nicht alleine), die Besessenheit von gewissen Formen psychischer Krankheiten zu unterscheiden, bei denen ja der Patient alles tut, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Dämon verhält sich gerade umgekehrt.
(A 89)

Gelegentlich hat man auch mit den Besessenen experimentiert: Man hat sie beispielsweise abwechselnd mit Weihwasser und mit ungeweihtem Wasser besprengt. Bei einfachem Wasser blieben sie still, bei Weihwasser fingen sie an zu toben. Für die Exorzisten war dies eine Bestätigung, daß es sich um eine wirkliche Besessenheit handelte (R2 70+154f / S 39 / FG 133).

Bisweilen soll es vorgekommen sein, daß ein Besessener schweben konnte. So heißt es bei Zeno von Verona (+ 371/72), der zusammenfassend beschreibt, was passieren kann, wenn ein Besessener im Namen Jesu beschworen wird2:

Der Besessene verliert plötzlich seine Farbe, seine Gestalt wird von Naturkraft in die Höhe geworfen, die Augäpfel des Besinnungslosen verdrehen sich zu schauerlichem Schielen, grauenerregend durch Massen von Schaum knirscht die Reihe der Zähne zwischen den blassen Lippen; der Dämon stöhnt, er weint, er zittert vor dem angekündigten Tag des Gerichts, er jammert, daß er ausgetrieben wird ...

Und von den beiden Illfurter Knaben, die von 1865 bis 1869 besessen waren, hören wir:

Saß er (= einer der Jungen) auf einem Stuhl, so wurde manchmal der Stuhl mitsamt dem Knaben in die Höhe gehoben, dann wieder fallen gelassen, so daß der Stuhl in eine Ecke und das Kind in eine andere Ecke flog. Selbst die Mutter, die mit ihrem Kind auf der Bank saß, wurde mit ihm in die Höhe gehoben und dann in eine Ecke geschleudert, ohne jedoch Schaden zu nehmen.
(R2 8 / vgl auch R1 223 / R2 98f / RL 301)

Auch so etwas ist natürlich eine wichtige Bestätigung des Besessenheitsverdachts, wenn solche Levitationen auch nur selten vorkommen dürften. Es sollen auch Beispiele von ungewöhnlicher Schwere vorgekommen sein, daß beispielsweise eine Frau auf dem Boden lag und von 10 bis 12 Männern nicht hochgehoben werden konnte (R2 100). Auch Spukerscheinungen und andere Arten der „Infestationen“ sind wichtige Indizien, daß es sich tatsächlich um Besessenheit handelt.

 

4. Absatz

Um sich eine bessere Kenntnis zu verschaffen, frage er nach einer ersten oder  zweiten  Beschwörung  den  Besessenen,  was  er  seelisch  oder körperlich empfunden hat. Auf diese Weise kann er auch ersehen, bei welchen Worten die Teufel mehr beunruhigt werden. Diese soll er dann mit besonderem Nachdruck vorbringen und öfters wiederholen.

Offenbar haben die Dämonen ebenso wie die Menschen eine jeweils eigene, unterschiedliche Personalität (A 86 / R2 40); das heißt: sie reagieren auch sehr unterschiedlich. Der eine Dämon wird vielleicht durch Evangeliumslesungen besonders verstört, der andere gerät dagegen durch das Kreuzschlagen in besonderen Schrecken. Dies alles spürt der Besessene offenbar, so daß er darüber Auskunft geben kann.

Man soll aber wohlgemerkt den Besessenen und nicht den Dämon befragen. Gespräche mit dem Dämon selber sind absolut abzulehnen, kommen allerdings immer wieder vor. Wir werden uns mit diesem Problem noch ausgiebig befassen müssen.

Der Besessene spürt also, was dem Dämon besonders zugesetzt hat. Wenn er den guten Willen zur Zusammenarbeit mit dem Exorzisten hat, kann er darüber Auskunft geben. Ohne diesen Willen sollte man vielleicht keinen Exorzismus beginnen. Was nützt es, den Teufel zu vertreiben, wenn er sofort wieder zurückkehren kann, da der Betreffende die Herzenstür weit aufhält?

Rodewyk berichtet von dem Fall Magda, daß der Dämon sofort wieder da war, wenn Magda auch nur dachte, der Teufel könne doch gern wieder zurückkommen. Er schreibt:

Die Rückfälle wurden meist dadurch eingeleitet, daß Magda die Teufel rief. Diese suchten sie in eine Not hineinzutreiben, aus der sie sich allein nicht helfen zu können glaubte. Dann boten sie ihr jede Hilfe an. Im Anfang genügte schon der leise Wunsch, die Teufel möchten zurückkommen, damit eine neue Besessenheit eintrat; später (nach vielen Exorzismen) mußte er formell geäußert ... werden.
(R1 260f)

 

5. Absatz

Er (der Exorzist) achte darauf, welche Künste und Listen die Teufel anwenden, um den Exorzisten zu täuschen. Sie pflegen nämlich meist trügerisch zu antworten und sich ungern zu offenbaren, damit der Exorzist infolge Ermüdung aufhört oder der Anschein erweckt wird, der Kranke sei gar nicht vom Teufel besessen.

Jesus nennt den Teufel einen „Vater der Lüge“ (Joh 8,44). Darum darf man ihm und den Dämonen nichts oder fast gar nichts glauben. Wir werden auf diesen Punkt noch ausführlich zu sprechen kommen.

Der „Vater der Lüge“ ist aber auch ein Meister der Verstellung. Das Lukasevangelium berichtet einmal von einem Dämon, der stumm war (Lk 11,14+15 / vgl Mt 9,32+33). Er hatte offenbar nie getobt, sondern hielt sich wohl von Anfang an im Besessenen verborgen. Mit dem Einfahren des Dämons war dann auch der Besessene in tiefe Sprachlosigkeit gefallen. Die Angehörigen hielten den Besessenen offenbar für krank. Nur Jesus scheint die wahre Ursache der Stummheit erkannt und durch einen Exorzismus beseitigt zu haben.

Von Anneliese Michel hören wir, daß sich bei ihr auf Befehl des Exorzisten sechs Dämonen namentlich zu erkennen gegeben haben. Alle sechs wurden bei einer zunächst erfolgreichen Sitzung ausgetrieben. Man meinte schon, den endgültigen Sieg errungen zu haben. Anneliese wurde ganz ruhig und schien wie aus einem Traum erwacht. Man hatte schon zum Lobe Gottes das Tedeum gesungen und danach ein Marienlied angestimmt. Da meldete sich plötzlich ein siebter Dämon, der sich bisher verborgen gehalten hatte. Es war jedoch schon spät am Abend: 22.41 Uhr. Die Exorzisten waren erschöpft. So machten sie an diesem Abend nicht weiter. Erst drei Tage später folgte der nächste Exorzismus, der aber leider erfolglos blieb. Irgendwann sind dann auch alle bisher ausgetriebenen Dämonen wieder zurückgekehrt, so daß alle Beteiligten sehr entmutigt waren (FG 172-180).

 

6. Absatz

Nachdem  die  Teufel  einmal  überführt  wurden,  verbergen  sie  sich manchmal und geben den Körper von aller Belästigung frei, so daß der Kranke glaubt, er sei nun völlig befreit. Aber der Exorzist darf nicht aufhören, bis er die echten Zeichen der Befreiung wahrnimmt.

Es kann offenbar eine Taktik der Dämonen sein, sich nach einer Zeit längeren Tobens still zu verhalten, damit der Exorzist glaubt, den Sieg errungen zu haben, und die exorzistischen Bemühungen einstellt.

Ich wiederhole hier noch einmal eine Aussage von Amorth, die ich schon an anderer Stelle zitiert habe:

Es ist also offensichtlich, ... daß der Dämon alles tut, um seine Anwesenheit zu verbergen. Und gerade das ist eine Beobachtung, die uns hilft ( ... ), die Besessenheit von gewissen Formen psychischer Krankheiten zu unterscheiden, bei denen ja der Patient alles tut, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Dämon verhält sich also gerade umgekehrt.
(A 89)

*

Welches sind die „echten Zeichen der Befreiung“? Das römische Rituale hält es für sinnvoll, daß der Exorzist vom Teufel ein besonderes Zeichen fordert, das dieser beim Ausfahren dann widerwillig geben muß (Exz 31). Dementsprechend haben die katholischen Exorzisten den Dämonen gerne auferlegt, bei ihrem Ausfahren den Anfang des Ave Maria zu sprechen. Dem sind die bösen Geister offenbar in verschiedenen Fällen auch nachgekommen (R2 197f / FG 164+168ff).

Ich bin in diesem Punkt dennoch skeptisch. Wird man nicht auch hier allzuleicht vom Teufel betrogen? Ist es nicht viel eher ein echtes Zeichen der Befreiung, wenn der bis dahin Besessene nun ein ungehindertes Gebetsleben führen und treu zum Gottesdienst kommen kann?

 

7. Absatz

Manchmal legen die Teufel alle möglichen Hindernisse in den Weg, damit der Kranke sich dem Exorzismus nicht unterziehe, oder sie versuchen, glaubhaft zu machen, die Krankheit sei eine natürliche. Bisweilen bewirken sie, daß der Kranke während der Beschwörung schläft oder lassen ihn ein Gesicht schauen; sie entziehen sich, so daß es scheint, der Kranke sei befreit.

Mit dem „Gesicht“ sind offenbar Visionen gemeint, bei denen der Besessene scheinbar heilige Dinge erlebt. Bei Anneliese Michel waren es Marien- und Christuserscheinungen. Frau Goodman berichtet darüber mit folgenden Worten:

Es war an diesem Tag, dass Anneliese etwas völlig Neues und Erfreuliches erlebte. In der Welt, die sie umgab, tat sich urplötzlich eine Tür auf, so, als sei sie blind und taub gewesen und könne nun sehen und hören. Die Gottesmutter, ihre Beschützerin während der exorzistischen Sitzungen, näherte sich ihr persönlich und begann mit ihr zu sprechen. Sie befahl ihr, aufzuschreiben, was sie ihr zu sagen habe. Anneliese tat, wie sie geheißen worden war. Außerdem verlangte die Gottesmutter, dass sie all dies Pater Renz erzählen solle.
(FG 149)

Dabei hat die angebliche Maria ihr erklärt:

Das Strafgericht ist sehr, sehr nahe. Betet, soviel ihr könnt, für eure Nachbarschaft, Freunde und Wohltäter, für Priester und Laien, Politiker und das Volk.
(FG 154)

Dem fügt der angebliche Jesus hinzu:

Holt euch Lebensmittel ins Haus; sage dies allen, die du kennst.
(FG 154)

Wie es auch sonst bei unechten Erscheinungen vorkommt, kitzelt die falsche Erscheinung das Ego der Betroffenen, indem sie erklärt:

Du wirst eine große Heilige werden.
(FG 155)

Die angebliche Mutter Gottes verspricht ihr, daß sie noch im gleichen Monat befreit werden würde (FG 153). Dieses Versprechen erfüllt sich aber nicht. Im Gegenteil: Nach einem halben Jahr erfolgloser Exorzismen stirbt Anneliese, und die Exorzisten werden vor Gericht gestellt.

Die Glaubwürdigkeit all dieser falschen Erscheinungen werden durch das Gefühl bestärkt, daß Anneliese jetzt ein stärkeres Verlangen zum Beten habe (FG 150).

Aus dem Befehl der angeblichen Gottesmutter, alle Eingebungen den Exorzisten mitzuteilen, kann die Absicht des Teufels leicht erschlossen werden: Er will die Exorzisten durch ein Theater ablenken von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Exorzismus. Einmal gelingt es dem Dämon sogar - durch ihn, den Dämon! - einen Befehl der Gottesmutter ergehen zu lassen. In einem Brief des Exorzisten an den Bischof heißt es:

Gestern sagte „er“: Ich muß euch einen Auftrag von „der da“ (er, bzw. sie zeigt dabei auf die Mutter Gottes, deren Bild auf dem Tisch steht ...) sagen: ... Ihr sollt die heiligen fünf Wunden mehr verehren. Wir haben daraufhin sofort damit begonnen ...
(FG 152)

 

Statt dem Teufel exorzistische Befehle zu erteilen, gehorchen also die Exorzisten seinen hinterhältigen Anweisungen.

Die Szene auf dem Tonband ist höchst eindrucksvoll: ... die heilige Wunde deiner rechten Hand ... „Halten Sie ihr Maul!“ und dann langes, wütendes Knurren  ...  die heilige Wunde deiner linken  Hand ... „Halten Sie ihr Maul!“ noch viel wütenderes und schlimmeres Geknurr ... die heiligen Wunden deines Hauptes ... „Halten Sie ihr Maul, hören Sie auf, ich kann das nit haben!“ ... Fauchen und furchtbares Brüllen. Trotz allem jedoch fahren die Dämonen nicht aus.
(FG 153)

Welch ein schreckliches Theater! Ein Exorzismus findet jedenfalls in dieser Zeit nicht statt. Zu Recht hat Luther gedichtet: „... groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist“!

Der Versuch der Dämonen, die Exorzisten vom Exorzismus abzulenken, scheint überhaupt immer wieder erfolgreich gewesen zu sein. Vielleicht war dies auch schon das Ziel der Dämonen, als sie Jesus öffentlich als den Messias anredeten. Konnte er noch gegen sie vorgehen, wenn sie ihm derart die Ehre gaben? Er hat es getan. Er hat sich nicht ablenken lassen.

 

8. Absatz

Manche (Dämonen) werden behaupten, es liege eine Zauberei vor, erklären, von wem sie ausgeführt wurde, und zeigen die Art und Weise auf, wie sie zu beheben sei. Der Kranke hüte sich deshalb davor, sich an Zauberer, Wahrsagerinnen oder andere Personen als an die Diener der Kirche zu wenden, abergläubische Mittel zu gebrauchen oder sonst auf eine unerlaubte Weise zu handeln.

Aus den verschiedenen Absätzen 8, 15 und 20 ergibt sich, daß verschiedene Fragen an den Dämon gerichtet werden sollen. Erfragt werden soll unter anderem die Anzahl der Dämonen sowie ihre Namen. Auf diese Fragen komme ich bei meinen Anmerkungen zum 15. und 20. Absatz zu sprechen. Hier geht es zunächst nur um die Frage nach der Ursache der Besessenheit. Sie könnte nämlich mit irgendwelchen abergläubischen Praktiken des Betreffenden zusammenhängen, von denen der Besessene sich abwenden muß, wenn er befreit werden will. So müssen beispielsweise noch vorhandene Amulette oder Zauberbücher erst vernichtet werden, bevor eine Befreiung eintreten kann.

Man muß allerdings auch bei diesen Antworten der Dämonen skeptisch sein, auch hier lügen sie meistens. Gern beschuldigen sie irgendwelche fremden Menschen der Zauberei und erklären, diesen Zauber könne nur die Gegenmaßnahme eines anderen Okkultisten entkräften. Damit versuchen die Dämonen, den Betreffenden noch tiefer in den Okkultismus zu verstricken.

 

9. Absatz

Manchmal läßt der Teufel den Kranken in Ruhe, damit es scheine, er  sei  gewichen,  und  er  gestattet  ihm,  die  Kommunion  zu  empfangen. Überhaupt sind die Künste und Listen des Teufels zahllos, um den Menschen in die Irre zu führen. Der Exorzist sei darum auf der Hut, um nicht sich selbst täuschen zu lassen.

Die Dämonen haben eine Abscheu vor allen heiligen Dingen. Diese Abscheu übertragen sie in der Regel auch auf die Besessenen. Auch hier liegt ein gewisses Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Besessenen und dem Geisteskranken vor (R2 58). Daher macht es der Dämon dem Besessenen in vielen Fällen unmöglich, die heilige Kommunion zu empfangen. Rodewyk schreibt über die besessene Magda:

Als ich ihr einmal die Kommunion reichen wollte, schlug sie mir plötzlich die Hostie aus der Hand.
(R1 140)

Und:

Da er (der Dämon) den ganzen Körper völlig beherrschte, konnte er durch einen einfachen Trick erreichen, daß sie die Hostie aus dem Mund nahm: Er rief bei ihr einen Schluckkrampf hervor, der sich erst wieder löste, wenn sie die Hostie herausgenommen hatte.
(R1 139)

Die Instruktionen machen uns jedoch darauf aufmerksam, daß der Dämon es dem Betreffenden manchmal doch erlaubt, ohne Probleme die Kommunion zu empfangen. Der Exorzist soll offenbar glauben, daß er schon erfolgreich gewesen sei. Neue Anfälle werden dann vielleicht als Rückfälle gedeutet, die den Exorzisten und alle Beteiligten entsprechend entmutigen sollen.

*

Zweimal, im 5. und im 9. Absatz, ist in den Instruktionen von den „Künsten und Listen“ des Teufels die Rede. Diese Wiederholung unterstreicht, daß man mit den verschiedenartigsten Listen des Teufels rechnen muß und sich davon nicht ablenken lassen darf. Zu den vielen Listen des Teufels gehört es nun auch, daß er gern mit dem Exorzisten diskutiert oder sogar eine interessante Unterhaltung führt. Rodewyk hat auf diese Weise versucht, vom Dämon interessante Einzelheiten über die jenseitige Welt zu erfahren (R1 233ff). Abgesehen davon, daß man ja keiner Aussage des Teufels glauben darf, führt eine solche Unterhaltung zu nichts. Sie nimmt unnötig Zeit in Anspruch, ermüdet den Exorzisten und hält ihn von seiner eigentlichen Pflicht ab, dem Dämon zu drohen und ihm den Befehl zum Ausfahren zu geben.

Zu  den  listigen  Ablenkungsmanövern  der  Dämonen  können  auch  mitleiderregende Selbstanklagen gehören. So heißt es in der Vita Antonii:

Und jener rief mit jammernder Stimme: „Ich bin ein Freund der Unzucht; ich habe als meine Aufgabe übernommen die Verlockungen zu ihr und ihre Reizmittel zum Schaden der Jünglinge; und „Geist der Unzucht“ ist mein Name.
(Kap VI)

Und:

Sie bringen ein Getöse hervor und lachen töricht und pfeifen; wenn man aber nicht auf sie achtet, dann weinen und jammern sie wie Besiegte.
(Kap XXVI)

Wahrscheinlich muß man sich einen ähnlich jammernd-anklagenden Tonfall vorstellen, wenn es im Neuen Testament von dem Besessenen in Nazareth heißt:

Und sogleich war auch in ihrer Synagoge ein Mensch, besessen von einem unsauberen Geist; der schrie und sprach: Was willst du von uns, Jesu von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu verderben. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes.
(Mk 1,23+24 / vgl Lk 4,33+34)

Einen ähnlich jammernden Tonfall werden wir uns wohl auch bei dem Besessenen zu Gerasa vorstellen müssen, wenn er zu Jesus sagt:

Was willst du von mir, o Jesu, du Sohn des Allerhöchsten? Ich beschwöre dich bei Gott, daß du mich nicht quälest!
(Mk 5,7 / vgl Mt 8,29)

Rodewyk hält solche Verzweiflungsausbrüche der Dämonen für ihr wahres Wesen. Er beschreibt zunächst die stolze Überlegenheit der Teufel und fährt dann fort:

Die Stimmung kann aber auch umschlagen. Dann steht ein ganz anderer Teufel da: heulend, verzweifelt ... Das großschnäuzige Theater war nur Fassade, hinter der sich eine namenlose Verzweiflung verbirgt und ein Leid in einem Ausmaß, daß man selbst mit dem Teufel Mitleid haben könnte. Er krümmt sich vor Schmerz, und das Weinen und Heulen geht in ein völlig zerbrochenes Wimmern über. Es kann so weit gehen, daß der Teufel ausruft: „Du da oben, hör auf, ich kann nicht mehr!“
(R2 175)

Es ist jedoch die Frage, ob der Dämon hier wirklich sein wahres Wesen preisgibt oder ob er nicht auch hier Theater spielt - nur ein anderes, in der Absicht, im Exorzisten falsches Mitleid zu erwecken, so daß er sich mit weiteren Drohungen zurückhält oder die Drohungen nur noch mit zurückhaltender Kraft ausspricht.

Zur großen List des Teufels kann es sogar gehören, zum unermüdlichen Gebet aufzurufen. Auch hierüber belehrt uns die Vita Antonii:

... wenn wir ruhen, wecken sie uns auf zum Gebet; das tun sie fort und fort, so daß sie uns fast nicht zu schlafen erlauben. ... Man soll aber nicht auf sie achten, wenn sie uns auch zum Gebet aufwecken ...
(Kap XXV)

Und:

So wollen ... wir nicht auf sie hören, ... wenn sie uns zum Gebet wecken oder wenn sie vom Fasten reden.
(Kap XXVII)

Auch die angebliche Gottesmutter hatte ja zu Anneliese Michel gesagt: „Betet, soviel ihr könnt ...“ (FG 154).

Übrigens werden die Menschen bei vielen Marienerscheinungen aufgefordert, mehr zu beten. Das wird dann oft als untrügliches Zeichen der Echtheit einer Erscheinung gewertet. Aber eine solche Aufforderung zum vermehrten Gebet ist keineswegs ein sicheres Zeichen. Wir haben vielmehr auch hier mit der vielfältigen List des Teufels zu rechnen, von dem es schon in der Bibel heißt, daß er sich als  ein „Engel des Lichtes“ verstellen kann (2.Kor 11,14).

Wenn er kann, hält der Teufel sogar fromme Predigten. Rodewyk hat dieser „Teufelspredigt“ ein ganzes Kapitel gewidmet (R2 178-187), und auch Frau Gutwenger, offenbar eine Schülerin von Pater Rodewyk, gewährt in ihrem Sammelband diesem Thema einen weiten Raum. Rodewyk zitiert aus einem mittelalterlichen Bericht (R2 180):

Durch Gottes Macht gezwungen sprach der unreine Geist, wenn auch wider Willen, vor dem Volke vieles über das Heil der Taufe, über das Sakrament des Leibes Christi, über die Gefahr der Exkommunizierten, über den Untergang der Katharer und dergleichen mehr zu seiner eigenen Beschämung und zur Verherrlichung Christi.

Ob eine solche Teufelspredigt wirklich zur Verherrlichung Christi dient, möchte ich bezweifeln. Hat der Böse einfältige Zuhörer, kann er leicht Richtiges und Falsches vermischen. In einer Teufelspredigt aus dem Jahr 1811 sagt der Dämon: „Der Rosenkranz ist das vornehmste Gebet.“ (R2 181) Die katholischen Zuhörer werden das vielleicht gern gehört haben, aber ist der Rosenkranz wirklich das vornehmste Gebet? Wäre hier nicht an erster Stelle das kurze Vaterunser zu nennen, das Jesus selbst den Aposteln empfohlen hat? Und wären nicht an zweiter Stelle die inspirierten Psalmen zu erwähnen, die Jesus selbst noch am Kreuz gebetet hat? Sollte das vornehmste Gebet der alten Kirche unbekannt gewesen und erst der mittelalterlichen Kirche bekannt geworden sein? Jedenfalls gewinnt der Dämon Zeit und Anerkennung, wenn man ihn predigen läßt, anstatt ihn auszutreiben.

Rodewyk hat auch selber eifrig Teufelspredigten notiert:

Eines Abends fragte mich Judas, was das Thema meiner nächsten Fastenpredigt sei. Ich sagte: „Veronika“ (6. Kreuzwegstation). Darauf fing er sogleich an über dieses Thema zu sprechen. Erst als ich merkte, daß er darüber ausführlicher zu reden begann, versuchte ich mitzuschreiben. So ist mir die Einleitung leider entgangen.
(LG 207)

Welch ein Bild der Eintracht zwischen dem Teufel und dem Priester! Der Teufel lehrt und der Priester schreibt mit - anstatt ihn zu geißeln, zu sengen und zu foltern. Zu Recht schreibt Lauretin über das Amt eines Exorzisten:

Es gibt keinen Dienst, bei dem einem mehr Fallen gestellt werden als bei diesem.
(RL 149)

Wenn man dann noch erfährt, daß Rodewyk eine Teufelspredigt als Grundlage für einen Exerzitienkurs benutzt hat, und wenn man liest, wie das von einer katholischen Professorin rühmend erwähnt wird, kann man sich nur wundern (LG 179). Wäre nicht doch ein biblischer Text angemessener oder wenigstens ein Kirchenvätertext? Jesus hat die Dämonen nicht reden lassen - von der Beantwortung weniger Fragen abgesehen: Mk 1,25+34 = Lk 4,35+41.

Ein Exorzist darf keinesfalls leichtgläubig oder naiv sein. Er darf vor allem keiner falschen Neugier nachgeben. Er darf sich auf keine Weise ablenken lassen und muß unerschütterlich seinen Exorzismus vollziehen. Mit den Dämonen spricht er überhaupt - abgesehen von der Frage nach Namen und Anzahl - nur, um sich die Sicherheit zu verschaffen, daß er es mit echter Besessenheit zu tun hat.

 

10. Absatz

Eingedenk der Worte des Herrn, es gebe eine Art von Teufeln, die nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden kann (Mt 17,20), sorge der Priester, soweit es in seinen Kräften steht, daß nach dem Beispiel der Väter hauptsächlich diese beiden Mittel um göttliche Hilfe angewendet werden und zwar von ihm selbst und von anderen.

Evangelische Pastoren haben in der Regel keine Erfahrung mit dem Fasten. Selbst das kurze Frühstücksfasten vor der Messe ist ihnen ungewohnt. Auch mit einem ein- oder mehrtägigen Fasten haben sie in aller Regel keine Erfahrung. Darum erlaube ich mir den Hinweis, daß ein Fasten bei vollem Arbeitsprogramm unsinnig ist. Wer bei vollem Arbeitsprogramm fastet, wird eher nervös und gereizt, als daß er ein intensiveres geistliches Leben führen kann. Vor allem stressige Arbeit an der Schreibmaschine oder am Computer ist an Fastentagen strikt zu meiden. Wer wirklich fasten und beten will, muß sich Zeit nehmen. Er soll ja zur inneren Ruhe kommen.

Übrigens braucht der Exorzismus auch ohne Fasten sehr viel Zeit und Kraft. Er ist nur selten einfach nebenbei zu bewältigen. Wer sich also auf einen Exorzismus einlassen will, muß das wissen und zum zeitlichen Opfer bereit sein. Blumhardt hat sich zwei Jahre lang mit der Gottliebin Dittus befaßt, aber auch Amorth erklärt, daß manche Fälle „viele Exorzismen, oft jahrelang“ brauchen, „und nicht immer erreicht man die Befreiung“ (A 43).

Andererseits sollte man sich aber auch nicht entmutigen lassen. Lauretin schreibt:

Die Dauer eines Exorzismus ist sehr unterschiedlich. Nach der oben angegebenen Umfrage kann sie, je nach Fall, zwischen fünf Minuten und 16 Stunden dauern. Der Mittelwert liegt bei etwa einer Stunde.
(RL 312)

Bei schwierigen Fällen braucht der Exorzist allerdings sehr viel Zeit und er muß zum gebetsverstärkenden Fasten bereit sein. Er kann aber auch andere bitten, seinen Kampf durch ihr Gebet und Fasten zu unterstützen, sei es, daß sie überhaupt für diesen Fall beten oder daß sie sich zur Zeit des Exorzismus an einem anderen Ort versammeln und gegen die Dämonen anbeten. Das hat sich offenbar in vielen Fällen als sehr hilfreich erwiesen.

 

11. Absatz

Der Besessene soll für den Exorzismus, wo möglich, in die Kirche oder an einen geweihten und angemessenen Ort, fern von der Masse, gebracht werden. Ist er aber krank oder liegt ein entsprechender Grund vor, kann der Exorzismus in einer Privatwohnung vollzogen werden.

Der Kern des Exorzismus besteht aus dem Befehl auszufahren, verstärkt mit der im Namen Gottes ausgesprochenen Drohung, daß der Dämon bei Ungehorsam sich eine zusätzliche Strafverschärfung am Jüngsten Tag zuzieht. So heißt es im römischen Exorzismus:

Je später du ausfährst, um so größer wird die Strafe, denn du verachtest nicht Menschen, sondern den Herrscher über die Lebenden und die Toten. Er wird kommen, um die Lebenden und die Toten und die Welt durch das Feuer zu richten.
(Exz 47)

Neben diesem Kernstück des Exorzismus gibt es eine Reihe weiterer Handlungen, durch die der Dämon angegriffen und seine Widerstandskraft geschwächt werden soll. Hier sind in erster Linie die Evangelienlesungen zu nennen, besonders solche, die von den Exorzismen Jesu berichten. Aber auch der heilige Ort einer Kirche schwächt den Dämon und erleichtert den Exorzismus. Daher also die Vorschrift der Instruktionen, der Exorzismus habe - wenn irgend möglich - in der Kirche stattzufinden. Ausnahmen werden nur bei Bettlägerigkeit oder aus einem anderen zwingenden Grund erlaubt.

Über diese Vorschrift haben sich katholische Exorzisten häufig hinweggesetzt. Auch die Exorzismen an Anneliese Michel haben immer in der elterlichen Wohnung stattgefunden. Das kann - neben anderen - einer der Gründe gewesen sein, warum die monatelangen Exorzismen schließlich doch erfolglos geblieben sind.

*

Im Mittelalter hat man gern öffentliche Exorzismen vorgenommen. Man beabsichtigte offenbar, bei den Zuschauern den Glauben an die jenseitige Welt und ihr Vertrauen in die Allmacht Gottes zu stärken. In der Reformationszeit hoffte man, durch öffentliche Diskussionen mit dem Teufel die Irrlehre des Protestantismus wirkungsvoll widerlegen zu können. Das hat aber leider nicht geklappt. Rodewyk schreibt:

In der Reformationszeit versuchte man, die Besessenheit z. T. apologetisch gegen die andere Konfession auszuwerten, aber oft mit wenig Geschick und mit sehr zweifelhaftem Erfolg. So disputierte ein Teufel „päpstlich oder calvinisch, aber lutherisch wollte er nicht sein“.
(R2 51)

Bei dem Exorzismus, der 1891 in Wemding stattfand, hat der Exorzist die Öffentlichkeit aufgerufen, ihn mit Gebet zu unterstützen. Die Kirche blieb zu diesem Zweck geöffnet:

Viele Leute aus Wemding und Umgebung strömten in die Kapuzinerkirche zu Wemding. Die Kirche war bis auf den letzten Platz von Katholiken und Protestanten besetzt. ... Die Zuschauer waren tief beeindruckt.
(S 19+20)

Allerdings hat diese Öffentlichkeit Folgen. Der Dämon beschuldigt eine bis dahin wohlangesehene Frau, sie habe den besessenen Jungen verwünscht. Die Menge glaubt dieser Anschuldigung, und der Ruf dieser Frau ist nachhaltig ruiniert. Demgegenüber  verlangen  die  schon  damals  gültigen  Instruktionen,  daß  der Exorzismus nicht öffentlich zu vollziehen sei: „fern von der Masse“. Wir sehen hier und an anderen Stellen, daß sich die Exorzisten oftmals nicht an die Instruktionen des Rituale halten und daß dadurch erhebliche Probleme auftreten können.

 

12. Absatz

Wenn es die seelischen und körperlichen Kräfte des Besessenen erlauben, werde dieser ermahnt, für sich zu Gott zu beten, zu fasten und nach dem Dafürhalten des Priesters öfters zu beichten und zu kommunizieren. Während des Exorzismus soll er sich tief sammeln, sich zu Gott hinwenden und mit festem Glauben und voll Demut ihn um Heilung anflehen. Wenn er stark belästigt wird, möge er es geduldig ertragen und sein volles Vertrauen auf Gottes Hilfe setzen.

Zunächst einmal setzen die Instruktionen voraus, daß der Besessene eigentlich ein gläubiger und frommer Mensch ist. Exorzismen an Menschen, die den christlichen Glauben ablehnen, sind sinnlos. Wenn man es tatsächlich schafft, aus ihnen die Dämonen zu vertreiben, so werden sie schnell wieder zurückkehren - wegen der gleichen Sünden, derentwegen sie das erste Mal Zutritt erhalten hatten, oder weil ihnen der Betroffene sogar bewußt die Herzenstür geöffnet hat (vgl R1 260f).

Ein sinnvoller Exorzismus setzt also ein Mindestmaß an christlichem Glauben oder wenigstens an allgemeiner Gutwilligkeit voraus. Hier ist es nun wichtig zu wissen, daß der Teufel zumindest bei den leichteren Formen der Besessenheit nur vom Körper Besitz ergriffen hat, nicht von der Seele (A 25 / R2 130 / RL 324). Das bedeutet, daß die Seele wenigstens während der Ruhepausen Frömmigkeit beweisen kann. Sie kann beichten, fasten, beten und unter Umständen zur Kommunion gehen.

Amorth weist darauf hin, daß der Besessene auf diese Weise am Exorzismus mitarbeiten kann und muß. Amorth schreibt:

Für einen erfolgreichen Exorzismus ist die Mitarbeit des Patienten unbedingt erforderlich. Ich sage immer, daß die Exorzismen nur 10% der Wirkungen im Kampf gegen das Böse ausmachen, 90% bewirkt der Betroffene selbst. Wie ist das möglich? Der Betroffene trägt zu seiner eigenen Befreiung durch viel Beten, dem häufigen Sakramentenempfang, einem Leben nach den Vorschriften des Evangeliums und den Gebrauch der Sakramentale (... exorzisiertes Wasser, Öl und Salz ...) bei. Sehr wirksam ist auch das Gebet anderer für ihn ...
(A 101 / vgl A 41)3

13. Absatz

Er habe ein Kruzifix zur Hand oder in Sichtweite vor sich. Auch lege man, wo sie zu haben sind, Heiligenreliquien, geziemend und sicher gefaßt, voll Ehrfurcht auf die Brust oder den Kopf des Besessenen. Dabei ist aber achtzugeben, daß diese heiligen Gegenstände nicht unwürdig behandelt werden oder der Teufel ihnen eine Unbill zufüge. Vollends darf wegen der Gefahr der Verunehrung die heilige Eucharistie nicht über dem Haupt des Besessenen gehalten oder sonst seinem Körper nahegebracht werden.

Hier ist von den sekundären Hilfsmitteln die Rede, die die Dämonen beim Exorzismus offenbar zusätzlich reizen und vielleicht aus ihrem Versteck hervorlocken, vor allem aber auch in ihrem hinhaltenden Widerstand schwächen können. Amorth sagt dazu:

Der Exorzist ... sucht alle Möglichkeit, um den Dämon zu ärgern, zu schwächen und kampfunfähig zu machen.
(A 104)

 

 

Als besondere Hilfsmittel dafür werden hier in den Instruktionen zum Rituale das Kruzifix in der Hand oder in Sichtweite und Heiligenreliquien genannt. In einem anderen Zusammenhang reden die Instruktionen auch vom Weihwasser (Abschnitt 16), und das eigentliche Rituale erwähnt eine violette - vermutlich geweihte - Stola (Exz 27), die dem Betreffenden um den Hals gelegt werden soll (Exz 38).

Katholische Exorzisten haben die Besessenen nicht nur mit Weihwasser besprengt (z.B. R1 128 / R2 70ff+118 / A 104 / S 39), sondern auch mit geweihtem Katechumenenöl gesalbt (A 106ff). Sie können sich dabei auf das Vorbild der exorzistischen Salbungen der alten Kirche vor der Taufe berufen4.

Erstaunlicherweise empfiehlt auch der niederländisch-protestantische Charismatiker van Dam den Gebrauch von Weihwasser und Öl als zusätzliche Hilfsmittel (Dam 96).

Ein evangelischer Exorzist wird nur selten eine echte Reliquie besitzen. Dagegen kann er ohne Schwierigkeiten ein Kruzifix, eine geweihte Stola und auch Weihwasser besitzen und einsetzen. Das sind sicher nicht die wichtigsten Dinge beim Exorzismus, aber auch auf kleine Hilfen sollte man nicht verzichten.

Übrigens ist auch bei katholischen Exorzisten die Echtheitsfrage der Reliquien belastend. Rodewyk hat sich zu helfen versucht, indem er dem Teufel die Echtheitsbestimmung der Reliquien überlassen hat. Er schreibt:

Ich besaß eine Reliquie mit einer sicheren Authentik, wonach sie zu einem Trierer Märtyrer gehörte. Einer der Teufel identifizierte sie auch als solche und fügte weiter hinzu, der Märtyrer sei ein Mann von etwa 22/23 Jahren gewesen, ein Soldat oder, vielleicht besser, ein Polizist, der hauptsächlich für die Unterbringung der Fremden zu sorgen hatte. Er verbarg Christen und ließ sie entkommen. Dabei wurde er gefaßt und ging mit großer Begeisterung in den Tod wie überhaupt damals alle Märtyrer. Er wurde mit dem Schwerte hingerichtet.

Bei einer anderen Reliquie, über deren Herkunft ich nichts wußte, erhielt ich die Antwort: „Dieselbe gehört nicht einem Apostel, aber wohl einem, der dem Nazarener sehr nahegestanden hat. Es ist ein Mensch, der viel gelitten hat. Darum liegt die Kraft, die davon ausgeht, in der Richtung der Standhaftigkeit im Glauben, ähnlich wie z. B. eine Reliquie der heiligen Agnes gebraucht wird gegen unreine Versuchungen. Diese bestimmten Kräfte können wir spüren.
(R1 128)

Die Frage ist jedoch, ob der Teufel überhaupt die Wahrheit sagt, wenn er derart gefragt wird. Vielleicht macht er sich einen Spaß daraus, bei tatsächlich unechten Reliquien etwas über die angeblichen Märtyrer zu fabulieren. Wenn er dann mit diesen Reliquien geschwächt werden soll, spielt er vielleicht Theater, so als ob er tatsächlich gereizt würde; er wird aber nicht gereizt und geschwächt, sondern erstarkt bei dem teuflischen Spiel und schwächt und ermüdet seinerseits den Exorzisten. Zwar erklärt Rodewyk selber:

Es ist an sich nicht Sache der Teufel ... Reliquien zu bestimmen, und wenn sie dann einiges über das Schicksal des betreffenden Märtyrers sagen, so kann man das wohl zur Kenntnis nehmen, aber weiter nichts darauf bauen.
(R1 129)

Aber schon mit dem „zur Kenntnis nehmen“ tut man den Dämonen zu viel Ehre an. Unsere Aufgabe ist es nicht, von ihnen irgendwelche unsicheren Auskünfte zu erhalten oder gar mit ihnen zu diskutieren, sondern ihnen im Namen Jesu zu gebieten. Wer keine garantiert echte Reliquie besitzt, sollte also auf diese Hilfe ganz verzichten.

 

14. Absatz

Der Exorzist ergehe sich nicht in weitschweifigen Reden oder in unnützen und neugierigen Fragen, besonders über zukünftige und verborgene Dinge, die mit seinem Amte nichts zu tun haben; vielmehr befehle er dem unreinen Geist, zu schweigen und nur auf seine Fragen zu antworten. Man darf dem Teufel nicht glauben, wenn er vorgibt, die Seele eines Heiligen oder eines Verstorbenen oder ein guter Engel zu sein.

Die Warnung vor „unnützen oder neugierigen Fragen“ ist nur allzu berechtigt. Der Teufel versteht es offenbar sehr geschickt, die Neugier eines Exorzisten zu reizen, ihn in ein Gespräch hineinzuziehen, ihm womöglich irgendeinen Auftrag zu erteilen oder sich gar als Prediger zu betätigen.

Schon in anderem Zusammenhang hatten wir gehört, daß die Exorzisten, anstatt Anneliese Michel zu exorzisieren, einen durch den Dämon behaupteten, angeblichen Auftrag der Gottesmutter ausgeführt und die heiligen Wunden Christi unter der hämischen Begleitmusik des bösen Geistes verehrt haben. Einen ähnlichen Fall finden wir auch bei Rodewyk. Hierbei handelt es sich um einen angeblichen Auftrag Gottes:

Bei anderer Gelegenheit sprach Luzifer über das Priestertum und seine Bedeutung. Er versicherte nochmals, daß bei Magda die Taufexorzismen nicht richtig gesprochen worden seien. Im Auftrage Gottes sollten diese deshalb, sobald er ausgefahren sei, nachgeholt werden. Schließlich sollten alle, die bislang mitgearbeitet hatten, an einem Abend zusammenkommen, weil er ihnen etwas mitteilen müsse. Das geschah dann auch.
(R1 50)

Wieso sollten die Exorzismen erst nach dem Ausfahren des Teufels nachgeholt werden? Es ging doch gerade darum, sie jetzt zu vollziehen? Rodewyk fährt fort:

Luzifer setzte dabei den Zuhörern die Grundlinien des ganzen Falles auseinander. Zwei Punkte sollten die Zuhörer in Zukunft beachten: einmal, daß die Sache mit Rücksicht auf die schwierige Zeit geheimgehalten werden sollte, bis der Bischof später die Schweigepflicht aufheben werde; und dann, daß sie dem Exorzisten in dieser schwierigen Aufgabe zur Seite stehen müßten. „Ein solches Leben wie dieses wird nicht oft gelebt. Eine solche Stunde wie die gegenwärtige kommt in hunderten von Jahren vielleicht einmal. Daß sie jetzt kommen sollte, ist mir befohlen ...“
(R1 50f)

Welch ein Sieg des Teufels! Welch eine Naivität des Exorzisten! Statt daß der Dämon sich dem Befehl des Beschwörers fügt, gehorchen die Beteiligten seinen Anweisungen und hören sich sein Gerede an.

*

Zu der erstaunlichen Tatsache, daß man dem Teufel sogar die Gelegenheit gegeben hat, lange Predigten zu halten, habe ich mich schon in meinem Kommentar zum 9. Absatz kritisch geäußert. Jesus hätte den Teufel sicher nicht predigen lassen. Die eigentliche Triebfeder, die zu solchen Entgleisungen führt, ist vermutlich die in manchen katholischen Kreisen verbreitete Sucht nach neuen, außerbiblischen Offenbarungen. Wenn diese nicht durch den Verkehr mit den sogenannten „Armen Seelen“ oder durch Marienvisionen zu erhalten sind, kann man notfalls auch auf die Predigt des Teufels hören. Man glaubt, das Falsche herausfiltern zu können und hält den Rest für wahr.

Der Exorzist sollte aber auch den leisesten Anflug von Neugier unterdrücken und strikt bei seiner Aufgabe bleiben: dem Teufel das Ausfahren zu gebieten und seine Widerstandskraft durch biblische Lesungen, Psalmenrezitation, Kreuzschlagen, Weihwasser, Katechumenenöl, durch einen heiligen Ort, durch Handauflegung und den Gebrauch einer Stola entscheidend zu schwächen.

*

Ein Trick des Teufels, ein erschrockenes Schaudern des Exorzisten und seine Neugierde zu provozieren, scheint auch darin zu liegen, daß er behauptet, die unglückliche Seele eines verstorbenen Menschen zu sein. Selbst Blumhardt hat diesem Betrug geglaubt, wenn er sich dadurch wohl auch nicht in längere Unterhaltungen hat hineinziehen lassen (B 21 / 32 / 33 / 35f / 40). Amorth schreibt dazu:

Verstorbene, die scheinbar bei spiritistischen Sitzungen erscheinen, oder Seelen Verstorbener, die in lebende Körper fahren, um sie zu quälen, sind nichts anderes als Dämonen. Die ganz seltenen Ausnahmen, die Gott zuläßt, sind die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen.
(A 24)

Dagegen ermahnen uns die Instruktionen zum Rituale, diesen Aussagen der Dämonen überhaupt keinen Glauben zu schenken, auch nicht als Ausnahmefall.

Schon Chrysostomos hat darauf hingewiesen, daß man den Dämonen nicht glauben dürfe, wenn sie behaupten, die Seele eines Verstorbenen zu sein. Er kommentiert den Aufenthalt der beiden Besessenen bei Gadara in den Grabhöhlen (Mt 8,28) mit den Worten:

Warum aber halten sie sich so gerne in den Gräbern auf? Um den Leuten einen recht unseligen Aberglauben beizubringen, wie z. B., die Seelen der Abgeschiedenen würden in Dämonen verwandelt werden, woran ja keinen Augenblick zu denken ist. ... Ja, sagst du, die Dämonen selbst rufen ja: Ich bin die Seele dieses und dieses Menschen! Allein das ist Lüge und teuflischer Betrug.
(BKV2 25,160f)

 

15. Absatz

Fragen, die gestellt werden müssen, sind z. B. jene nach der Anzahl und den Namen der eingefahrenen bösen Geister, jene nach der Zeit und dem Grunde ihres Eintrittes und dergleichen mehr. Der Exorzist soll die übrigen  Possen,  das  Gelächter  und  die  Albernheiten  des  Teufels zurückweisen und verachten und die Umstehenden, deren ohnehin nur wenige seien, ermahnen, sich nicht darum zu kümmern und dem Besessenen keine Fragen zu stellen, sondern demütig und eifrig für ihn zu Gott zu beten.

Wenn man sich auch vor allen neugierigen Fragen hüten muß, sind doch einige wenige wichtige Fragen erlaubt oder sogar notwendig. Die Frage nach dem Namen des Dämons ist legitimiert durch das Vorbild Jesu bei seinem Exorzismus an den beiden Besessenen von Gadara. Lauretin verweist außerdem auf die Erfahrungen der Kirche:

Die Exorzisten bezeugen seit Jahrhunderten, daß die Enthüllung des Namens eine schnellere Befreiung bewirkt
(RL 310)

Die Dämonen lügen zwar auch bei der Nennung ihres Namens, aber sie können doch bei ihrem falschen Namen angesprochen und wirkungsvoll beschworen werden. Gehorchen sie nicht, so werden sie am Jüngsten Tag unter Nennung ihres falschen Namens bestraft und um so tiefer in die Hölle verbannt. Vermutlich werden auch Lenin und Stalin am Jüngsten Tag bei ihrem falschen Namen aufgerufen und unter diesem Namen gerichtet werden.

*

Auch die Frage nach der Anzahl der Dämonen kann sinnvoll sein, damit man nicht beim Ausfahren des ersten Dämons glaubt, der Besessene sei nun ganz frei. Ob die Dämonen auf diese Frage immer richtig antworten, erscheint mir allerdings ungewiß.

Sehr problematisch ist die Frage nach der Ursache der Besessenheit. Wir haben uns damit ja schon kurz beim 8. Absatz befaßt. Beim Exorzismus von Wemding am 14. Juli 1891 an dem zehnjährigen Michael Zilk hat der Dämon vor vielen in der Kirche Anwesenden behauptet, er sei durch die Verwünschung einer Nachbarin in den Knaben gefahren. Diese Frau war nun als Hexe verschrien. Ihr Mann wollte dagegen mit einer gerichtliche Klage vorgehen. Aber gegen wen? Gegen den besessenen Jungen? Gegen den Teufel? Gegen den Exorzisten, der diese Aussage ja nicht gemacht hatte (S 20+31)? Als der Fall dann in die Presse kam und hochgespielt wurde, hat die Frau selber eine Verleumdungsklage gegen den Exorzisten eingereicht; und das Gericht hat ihn zu einer Geldstrafe verurteilt (S 23f).

Auch mit dem Fall, daß der Dämon behauptet hat, er sei bei der Taufe in ein Mädchen eingefahren, weil der Kaplan die Taufexorzismen ohne innere Beteiligung gesprochen habe, haben wir uns ja schon unter Punkt 14 befaßt. Rodewyk kommt auf diese Behauptung des bösen Geistes immer wieder zurück. Dabei ist einmal von mangelnder Konzentration die Rede (R1 134 / LG 190), ein anderes Mal heißt es:

Die Teufel sind unverrückbar bei der Behauptung geblieben, daß der Priester, der diese ersten Exorzismen über Magda sprach, sich nichts dabei gedacht habe, sie vielmehr für eine bloße Zeremonie hielt und nicht die ernste Absicht hatte, die Teufel zu vertreiben. So sei es möglich geworden, daß Kain ganz früh in Magda einfuhr ...
(R1 31 / vgl auch R1 50 / LG 120)

Der Dämon hat auch noch die Unverschämtheit zu behaupten:

So etwas kommt oft vor, daß einer von uns nach der Taufe einfährt.
(LG 190)

Leider glaubt Rodewyk allen diesen hinterhältigen Lügen. Wenn sie stimmen würden, müßte man sich vor jedem Sakrament fürchten, denn wie kann ein Gemeindeglied wissen, was der Pastor wirklich glaubt und wie konzentriert er bei der Sache ist?

Ein zweiter Dämon soll in das gleiche Mädchen „zur Zeit der Erstkommunion“ eingefahren sein (R1 262).

Mit der Beichte kam sie nicht zurecht und empfing nach ihrer eigenen Aussage die erste heilige Kommunion unwürdig ...
(R1 33)

Von da an sollen dann mehrere andere Dämonen in sie eingefahren sein (R1 33). Das sind natürlich alles Lügen, durch die die heiligen Sakramente in ein gefährliches Licht gesetzt werden sollen. Es scheint aber so, daß ein Exorzist sich leicht vom Teufel beeindrucken und belügen läßt.

Einen Sinn hat die Frage nach der Ursache der Besessenheit aber doch. In vielen Fällen dürfte der Besitz eines Amuletts oder anderer Okkultgegenstände zur Besessenheit geführt haben. Diese Gegenstände müssen aufgespürt und vernichtet werden - allerdings unter Gebet und mit anschließender Reinigung der Hände mit Weihwasser, wie Amorth dringend empfiehlt (A 126f).

Der  Exorzist  muß  also  die  Antworten  der  Dämonen  kritisch  beurteilen.  Die Behauptung irgendeiner Fremdverschuldung (Verwünschung durch eine andere Person, ein oberflächlich vollzogenes Sakrament usw) dürfte gelogen sein. Der Teufel muß also durch Androhung noch schlimmerer Höllenqualen gezwungen werden,  nachprüfbare  Aussagen  über  die  Eigenschuld  des  Besessenen  zu machen.

An diese Eigenschuld sollte man aber auch versuchen, auf dem Weg der Beichte heranzukommen.

*

Nun haben katholische Exorzisten jedoch auch die Frage nach dem Zeitpunkt des Ausfahrens gestellt und dabei den Aussagen des Teufels mehr oder weniger vertraut (R2 118+131). Aber ist es nicht grundsätzlich problematisch, wenn man jemanden, dem man einen Befehl erteilt, fragt, wann er zu gehorchen beabsichtigt?

Erstaunlicherweise ist die Frage an den Dämon, wann er auszufahren beabsichtigt, auch im Rituale vorgesehen. Es heißt dort im ersten exorzistischen Befehl:

                Gib mir deinen Namen, den Tag und die Stunde deines Fortganges mit irgendeinem Zeichen kund!
                   (Exz 31)

Dies ist allerdings eine Stelle in dem sonst ausgezeichneten römischen Exorzismus, die man wohl kritisch betrachten muß. Sie steht zudem im Widerspruch zu anderen Befehlen, in denen es wiederholt heißt, der Dämon solle sofort, ohne Zögern ausfahren:

Widerstehe nicht und fahre ohne Säumen aus diesem Menschen aus ...
(Exz 43)

Warum willst du noch länger hier verweilen?
(Exz 49)

Es gibt keinen Aufschub mehr. Sieh, Gott, der Herrscher, kommt schnell herbei. Loderndes Feuer läuft vor ihm her und verzehrt seine Feinde ringsum.
(Exz 51)

Solchen Befehlen zum sofortigen Ausfahren widerspricht es, wenn man sich auf Fristen einläßt, die der Teufel selber festsetzen darf. Darüber hinaus steht zu befürchten, daß der Einsatz des Exorzisten in der Zwischenzeit erlahmt und der Dämon Gelegenheit hat, sich zu erholen, wenn man dem vom Teufel genannten Zeitpunkt vertraut. Ich denke also, daß dies - bei aller Hochachtung gegenüber dem römischen Exorzismus - keine sinnvolle Frage ist.

 

16. Absatz

Der Exorzist vollziehe die Exorzismen mit befehlender Macht, voll Glaube, Demut und Eifer. Bemerkt er, daß der böse Geist sich sehr beunruhigt, soll er ihm um so mehr zusetzen und ihn bedrängen. Wenn er wahrnimmt, der Besessene werde an irgend einem Körperteil erfaßt oder verletzt oder es bilde sich daran eine Geschwulst, so mache er ein Kreuzzeichen darauf und besprenge ihn mit dem bereitstehenden Weihwasser.

Zweifellos die wichtigste Anweisung für den Exorzisten ist, daß er dem Dämon in  der  Vollmacht  Jesu  Christi  den  Befehl  zum  Ausfahren  geben  soll.  Das entspricht auch dem Vorbild des Neuen Testamentes. Bei diesem Befehlen kann der Exorzist erleben, daß der Besessene in die sogenannte „Krise“ hineingerät. Er beginnt, auf eine ganz unbeschreibliche Weise zu toben und den Exorzisten auf allerlei Weise zu bedrohen. Vor dieser Krise und den dabei ausgesprochenen Gegendrohungen des Teufels soll man nicht erschrecken. Sie ist kein Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche des Teufels. Gerade in dieser Krise muß der Befehl zum Ausfahren wiederholt und gesteigert werden.

Es kann aber auch sein, daß der Dämon in seiner Bedrängnis versucht, beim Exorzisten Mitleid zu erregen, indem er furchtbar jammert und klagt. Er appelliert damit auf hinterhältige Weise an den Sinn für Fairneß, der es verbietet, einen um Gnade Bittenden weiter zu bedrängen. Von diesem sonst so guten Fairneßsinn soll sich der Exorzist in diesem Fall aber nicht leiten lassen, sondern er soll den Teufel weiterhin, wie Cyprian sich ausdrückt, „geißeln, sengen und foltern“ (Brief 69,15).

Aber auch mit anderen Tricks versucht der Teufel in entscheidenden Augenblicken  abzulenken:  Mit  sonst  unmöglichen  Verrenkungen  und  scheinbaren Geschwulsten will er den Exorzisten ablenken und möglichst aus der Fassung bringen.  Noch  dramatischer  ist  das  Herausfahren  von  Glassplittern,  Stricknadeln, rostigen Nägeln, Federn usw aus dem Mund, aus dem Kopf oder aus anderen Körperteilen. Von solchen und anderen erstaunlichen Kunststücken berichten sowohl Blumhardt als auch Amorth und Rodewyk (B 43/A 107 / R2 104). Der Exorzist darf sich jedoch in keiner Weise ablenken lassen. Er soll ungerührt weiter drohen und befehlen.

 

17. Absatz

Er beachte auch, bei welchen Worten die Teufel mehr erzittern; diese wiederhole er dann öfters. Und bei den Drohungen angelangt, spreche er sie mehrmals aus unter ständiger Erhöhung der Strafe. Sieht er, daß er damit Erfolg hat, so verharre er dabei zwei, drei Stunden und auch länger, wenn er es vermag, bis er den Sieg erringt.

Zur Vollmacht des Exorzisten gehört es demnach, die angedrohte Strafe zu erhöhen: Du wirst doppelt bestraft und auf ewig gequält werden, wenn du nicht jetzt sofort ausfährst! Du wirst dreifach bestraft und in alle Ewigkeit gequält werden, wenn du nicht sogleich aus diesem Kind Gottes ausfährst!

*

Es scheint so, daß auch die Dämonen - ähnlich wie ja auch die Menschen - eine unterschiedliche Geistesstruktur besitzen. So wie der eine Christ vielleicht von einem Bibelwort besonders tief ergriffen sein kann, während der andere an diesem Wort keine außergewöhnliche Tiefe erkennen kann, dafür ist ihm eine andere Bibelstelle besonders lieb und wert, so haben auch bei den Dämonen die verschiedenen Drohungen des Exorzismus, das Kreuzschlagen, die verschiedenen Evangelienlesungen, die Psalmrezitationen und Glaubensbekenntnisse offenbar eine unterschiedliche Wirkung. Einem Dämon wird vielleicht der Exorzismus im heiligen Raum einer geweihten Kirche oder der Gebrauch von Katechumenenöl und Weihwasser besonders zusetzen, den anderen Dämon beeindrucken diese besonderen Kampfmittel vielleicht nicht. Amorth spricht hier von unterschiedlichen „Schwachpunkten“ der Dämonen. Er erklärt:

Einige können dem Kreuzzeichen nicht widerstehen, das mit der Stola über der schmerzenden Stelle gemacht wird. Andere vertragen nicht den Hauch ins Gesicht. Wieder andere widersetzen sich mit allen Kräften der Besprengung mit Weihwasser. Dann gibt es Sätze, entweder aus den Exorzismusgebeten oder in anderen Gebeten ... auf die der Dämon wütend reagiert oder aber sogar seine Kraft verliert. Solche Sätze muß man wiederholen ...
(A 86)

Amorth erwähnt hier auch das Anblasen beim Exorzismus. Das Rituale selber und die dazu gehörenden Instruktionen übergehen diesen exorzistischen Ritus, er wird aber schon bei Irenäus5, Tertullian6, Hippolytund Dionysius von Alexandrien8 erwähnt. Und Cyrill von Jerusalem erklärt:

Das einfache Anblasen von seiten des Exorzisten wirkt auf den unsichtbaren Dämon wie Feuer.
(XVI. Taufkatechese 19 / vgl auch Einleitende Katechese 9)

Dieses Anblasen war schließlich bei den Exorzismen der vorkonziliaren römischen Katechumenenöl- und Firmölweihe vorgeschrieben. Es hat also eine lange und gute Tradition für sich. Man sollte also auch bei den heutigen Exorzismen probieren, ob der Dämon auf diesen Ritus reagiert.

 

18. Absatz

Der Exorzist hüte sich, dem kranken Besessenen irgend eine Arznei zu verabreichen oder anzuraten. Diese Sache überlasse er den Ärzten.

Diese Anweisung setzt voraus, daß ein Besessener zugleich auch krank sein kann. In diesem Fall dürfte die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit einem gläubigen Arzt sinnvoll sein. In jedem Fall soll der Exorzist sich hüten, irgendwie medizinisch tätig zu sein. Nicht einmal die Empfehlung irgendeiner Arznei ist ihm gestattet.

Übrigens: Wenn der Arzt versagt, wie das bei Anneliese Michel offenbar der Fall war, wird die Öffentlichkeit die Schuld ausschließlich beim Exorzisten suchen.

 

19. Absatz

Wenn er bei einer Frau den Exorzismus vornimmt, habe er immer ehrenhafte Personen bei sich, welche die Besessene festhalten, wenn sie vom Teufel geplagt wird. Diese Personen seien, wo möglich, mit der Patientin nahe verwandt. Der Ehrbarkeit beflissen, hüte sich der Exorzist, irgend etwas zu sagen oder zu tun, was ihn oder andere zu schlechten Gedanken veranlassen könnte.

Wie bei allen anderen seelsorgerlichen Handlungen an weiblichen Gemeindegliedern wird es wohl auch im Fall von Besessenheit schwierig sein, jeden schlechten Gedanken zu unterdrücken. Vermutlich wird der Teufel auch an diesem Punkt ansetzen, um den Exorzisten zu schwächen. Vielleicht ist dies ein Grund, warum im 1. Absatz empfohlen wird, der Exorzist solle „reifen Alters“ sein. Zumindest muß sich der Exorzist von vorneherein über dieses Problem im Klaren sein. Darum muß er unbedingt die Anweisung beachten und „ehrenhafte Personen“ um Hilfe bitten, und er muß den Exorzismus gut vorbereiten mit voraufgehenden Beichten und Abendmahlsgottesdiensten, die ihn wenigstens zeitweilig in den Stand besonderer Frömmigkeit versetzen.

 

20. Absatz

Während des Exorzismus gebrauche er mehr die Worte der Heiligen Schrift als seine eigenen oder die Worte anderer. Er befehle dem Teufel, zu sagen, ob er infolge irgend einer Zauberei oder zauberischer Zeichen und Mittel im Körper festgehalten werde. Wenn der Besessene solche mit dem Munde eingenommen hat, speie er sie aus. Wenn sie sich außerhalb des Körpers befinden, soll der Teufel sie offenbaren und das Aufgefundene werde verbrannt. Der Besessene werde auch ermahnt, dem Exorzisten alle seine Versuchungen kundzutun.

 

Wie ein Gebet zu Gott nicht nur aus liturgischen Formeln bestehen sollte - selbst das liturgische Stundengebet gibt Raum für ein ganz besonders persönliches stilles Gebet - so wird auch in den Instruktionen zum Exorzismus vorausgesetzt, daß der Diener Gottes nicht nur Formeln rezitiert, sondern auch mit eigenen Worten den Teufel bedroht. Er soll sich dabei aber anlehnen an den Sprachgebrauch der Heiligen Schrift und an andere erprobte Formulierungen - vor allem soll er sich anlehnen an das Exorzismusformular. Immerhin: Eigene Formulierungen werden nicht nur erlaubt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt.

*

Auch bei dem Befehl an den Teufel, „zu sagen, ob er infolge irgend einer Zauberei oder zauberischer Zeichen und Mittel im Körper festgehalten werde“, wird man wohl mit vielen Lügen rechnen müssen. Man kann aber die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit dadurch erhöhen, daß man dem Dämon auch für seine Lügen noch weitere zusätzliche Höllenqualen androht. Die Aussagen des Teufels müssen dann insoweit überprüft werden, daß man den Besessenen zu einem ruhigen  Zeitpunkt  um  die  Bestätigung  der  teuflischen  Aussagen  bittet,  und indem man vor allem die Herausgabe etwaiger Amulette, Zauberbücher usw verlangt.

Behauptet der Dämon dagegen, er sei durch Fremdverschulden, durch eine Verfluchung durch einen anderen Menschen, durch die Unaufmerksamkeit eines Pfarrers bei der Taufe usw in den Menschen eingefahren, so sollte man ihm keinesfalls glauben. Daß der Teufel in einen „unschuldigen“ getauften Menschen einfahren kann, was katholische Exorzisten für möglich halten (R1 262 / A 48), halte ich für ganz ausgeschlossen. (Ich werde auf diese Frage noch ausführlich zurückkommen.)

Aber selbst wenn eine solche Behauptung des Teufels stimmen würde, brauchte man sie nicht zu beachten. Sie ist absolut unerheblich für den weiteren Exorzismus. Den angeblichen oder wirklichen Fremdverursacher wird man kaum zum Widerruf, zur Beichte oder zu anderen Schritten nötigen können. Und selbst wenn das möglich wäre, würde der Dämon daraufhin kaum ausfahren.

*

Die Apostelgeschichte berichtet von einer besessenen Magd mit einem Pythongeist, von Luther nur als „Wahrsagegeist“ übersetzt (AG 16,16). Der niederländische Missionsarzt Thiessen erzählt in einem auf Schallplatte gepreßten Vortrag, daß man in Indonesien einer jungen Pythonschlange mit dem Mund den Atem aussaugt, wobei die Schlange stirbt und der Mensch die Fähigkeit zum Wahrsagen erhofft. Andererseits habe eine Frau, die unter schweren seelischen Anfechtungen litt, auf das Gebet des Missionars eine merkwürdige Schlange ausgebrochen, woraufhin sie geheilt war. Wenn also der Dämon irgendwie behauptet, er selber oder irgendein Zaubermittel sei durch den Mund in den Besessenen eingefahren, so wird man ihm befehlen müssen, auch aus dem Mund wieder herauszufahren. Bei alten Bibelillustrationen wird ja sowieso vorausgesetzt, daß ein Dämon durch den Mund hinausfährt. Manchmal fährt der Teufel allerdings auch aus anderen Körperöffnungen heraus (R1 253f / R2 202)

 

21. Absatz

Wenn ein Besessener befreit ist, werde er aufgefordert, sich sorgfältig vor Sünden zu hüten, damit er dem Teufel keinen Anlaß gebe, in ihn zurückzukehren und die letzten Dinge dieses Menschen noch ärger werden als die ersten.

Wenn  die  Instruktionen  hier  von  „Sünden“  reden,  sind  wohl  nur  schwere Sünden gemeint. Andererseits:  Wer das Buch von Kurt Koch liest, kann leicht zu der Meinung gelangen, daß nur Okkultismus-Sünden zur Besessenheit führen. Offenbar können aber alle schweren Sünden dazu führen, daß der Teufel von einem Menschen Besitz ergreift. Bei Judas war es schon allein die Absicht, Jesus zu verraten; bei Saul war es der Ungehorsam, daß er den Bann an den Amalekitern nicht vollständig vollstreckt hatte9.

Der Befreite muß sich also vor neuen schweren Sünden hüten, sonst folgt dem ethischen Rückfall leicht auch der Rückfall in die Besessenheit, die ja nach einem Wort Jesu siebenmal schlimmer sein kann, als die erste Besessenheit.

Es gibt also einen Zusammenhang zwischen schweren Sünden und Besessenheit. Daraus ergibt sich, daß der Exorzismus kein isolierter Vorgang bleiben darf, sondern daß er eingebettet sein muß in die allgemeine Seelsorge. Der Exorzist muß sich bemühen herauszufinden, welche schweren Sünden der Betreffende auf sich geladen hat, die dann vermutlich zur Besessenheit geführt haben. Er muß dem Befreiten die Augen für diese Zusammenhänge öffnen und ihn dringend vor dem Rückfall in schwere Sünden warnen. Wahrscheinlich muß er ihm auch gewisse Ratschläge geben, wie der Betreffende diese besonderen Sünden in Zukunft vermeiden kann.

Tertullian berichtet von einer Christin, die durch einen Theaterbesuch besessen wurde10. Ist ein Theaterbesuch eine schwere Sünde? Es kommt darauf an, um was für ein Stück es sich handelt. Die alten Kirchenväter klagen ja immer wieder über den verderblichen Einfluß der damaligen lasterhaft-heidnischen Stücke11. Vielleicht wurden bei dem von Tertullian erwähnten Theaterbesuch die Dämonen verherrlicht, und die betreffende Christin hat das Stück mit sündigem Wohlgefallen angesehen.

Übrigens glaubt Amorth, daß auch das Anhören satanischer Rockmusik zur Besessenheit führen kann (A 47).

*

Soweit also die Richtlinien des römischen Rituale und der Kommentar dazu. Ich möchte aber auch noch auf drei Fragen eingehen, die ich in den bisherigen Ausführungen nur gestreift oder gar nicht berührt habe.

 

C. Anhang

1. Gibt es eine unschuldige Besessenheit?

Sowohl Rodewyk, Amorth als auch Siegmund glauben, daß ein Mensch ohne eigenes  Verschulden  besessen  werden  kann.  So  erklärt  Amorth  die  Verwünschungen durch fremde Personen zur häufigsten Ursache der Besessenheit (A 50+116 / vgl auch R2 129 / S 20+31). Es scheint mir hier aber äußerste Skepsis angebracht zu sein. In aller Regel dürfte diese Ursache von den Dämonen benannt worden sein, die vielleicht von anderen Gründen ablenken wollten.

Rodewyk und Amorth glauben auch an Besessenheit durch einen verwünschten Apfel (R2 133), durch verwünschten Wein (A 146) oder sonstwie verwünschte Speisen und Getränke (A 107). Auch hier vermute ich, daß die katholischen Exorzisten sich allzu leichtgläubig auf die Aussagen der Dämonen verlassen haben. Oder sie haben unkritisch die Selbstdiagnose der Besessenen übernommen, die eine eigene Schuld nicht erkennen konnten und statt dessen die Schuld bei fremden Personen suchten.

Es ist aber in jedem Fall anzunehmen, daß eine Sünde des Betreffenden selber dem bösen Geist Zutritt verschafft hat. Und wenn es vielleicht auch nur das ständige Wohlgefallen an schlüpfrigen Fernsehfilmen war!

An unschuldige Besessenheit kann ich höchstens glauben, wenn die eigenen Eltern ihrem Kind vor der Taufe ein Amulett umgehängt haben (vgl A 126). Dann werden ja die Eltern selber zu Recht durch ein besessenes Kind bestraft. Auch Koch glaubt ja, daß sich eine schwere Aberglaubenspraxis der Eltern belastend auf die Kinder auswirken kann (K 118).

*

Ein Sonderproblem stellt die Bereitschaft mancher Katholiken dar, sich „unschuldig“ dem Teufel zu ergeben, um durch die Qual der Besessenheit für die Sünden der Menschheit zu büßen. Man stößt immer wieder einmal auf diese perverse Bereitschaft mancher Katholiken. Gewisse Teile der katholischen Kirche haben offenbar bis heute nicht begriffen, daß Jesus schon am Kreuz jede nur erdenkliche Sühneleistung erbracht hat.

Rodewyk scheint dem Gedanken der Besessenheit eines Unschuldigen als Möglichkeit der Sühne und des Niederringens des Satans zunächst aufgeschlossen gegenüber zu stehen (R2 135f). Er beugt sich dann aber zumindest in einigen neueren Fällen dem ablehnenden Urteil Roms:

In neuester Zeit fanden sich solche, die die Besessenheit als Sühne für andere übernahmen. In dem Buch „Maria im Kampf mit dem Drachen“ wird berichtet, daß Maria Opferseelen ausgesucht habe, die eine Besessenheit auf sich nahmen, um mit dem Teufel zu kämpfen und seine Macht in der Welt zurückzudämmen. Dadurch angeregt, boten sich später andere von sich aus zur Besessenheit an. Ist das erlaubt? Wer kann sich von sich aus zutrauen, ohne besonderen göttlichen Auftrag, den Kampf mit dem Teufel in so schwerer Form auf sich zu nehmen, ohne an der Seele Schaden zu nehmen? Wer will vorher wissen, ob ihm Gott zu diesem gewagten Abenteuer die notwendigen Gnaden geben wird? Hinter solchen Angeboten kann Stolz und Überheblichkeit stehen, die sich alles zutraut und so zur Vermessenheit kommt. Sie haben nicht verstanden, daß das „Stürze dich von der Tempelzinne herab!“ eine Versuchung war. Rom hat sich energisch gegen diese Tendenzen gewandt und den Neudruck des erwähnten Buches verboten.

Immerhin scheint Rodewyk es aber doch für möglich zu halten, daß es einen „besonderen göttlichen Auftrag“ geben könne, „den Kampf mit dem Teufel in so schwerer Form auf sich zu nehmen“.

Auch Petersdorff erwähnt das Buch „Maria im Kampf mit dem Drachen“. Er glaubt aber, daß Rom das Buch zunächst zustimmend zur Kenntnis genommen und  später  nur  mit  Rücksicht  auf  „Unberufene  und  Unreife“  abgelehnt  habe (P II,358f).

Ich halte es für denkbar, daß wir es auch bei Anneliese Michel mit dem Problem der Sühnebesessenheit zu tun haben. Möglicherweise hat sie sich bewußt dem Satan zur Verfügung gestellt, um so für „Arme Seelen“ eine Sühneleistung zu erbringen. Sie selber hat die folgende Äußerung gegenüber dem Pater Renz, einem ihrer Exorzisten, gemacht:

Oh, Herr Pater, ich hätte mir nie gedacht, dass das so grausam ist! Ich habe mir immer gedacht, ich will auch für andere Leute leiden, damit sie nicht in die Hölle kommen, aber dass das so schlimm ist und so grausam, und so furchtbar! Da denkt man: Leiden, das ist so eine leichte Sache. Aber wenn es dann wirklich schlimm wird, dann will man überhaupt nicht mehr ...
(FG 190)

In dem nach ihrem Tod aufgefundenen Tagebuch heißt es:

Heiland sagt: Du wirst viel leiden und sühnen, schon jetzt. Dein Leiden, deine Traurigkeit und Trostlosigkeit dienen mir dazu, andere Seelen zu retten.
(LG 238)

Auch Pfarrer Alt, der andere Exorzist, hat eine Zeitlang an eine Sühnebesessenheit von Anneliese Michel geglaubt. In einem Brief an Bischof Stangl schreibt er12:

Mir scheint es bewiesen zu sein, dass es sich hier um den typischen Fall einer Sühnebesessenheit handelt.
(FG 215)

Später hat Alt diesen Gedanken allerdings widerrufen. Er schreibt:

Die Ursache ihrer Besessenheit war eindeutig eine Verfluchung im Mutterleib. Sie war nicht sühnebesessen wie etwa Marie des Vallées.
(LG 237)

Wenn er nun die Verfluchung im Mutterleib als „eindeutige“ Ursache bezeichnet, verläßt er sich offenbar kritiklos auf die Behauptung der Dämonen. Die vom Teufel beschuldigte Frau war, wie wir wissen (FG 130), zur Zeit des Exorzismus  schon verstorben. Eine Überprüfung war also unmöglich. Schlimmer erscheint es mir jedoch, daß er überhaupt an die Möglichkeit einer Sühnebesessenheit gedacht hat. Es gibt offenbar bei manchen katholischen Theologen immer noch erhebliche Schwierigkeiten beim rechten Verständnis der biblischen Erlösungslehre.

 

2. Exorzismus im Namen Marias?

Bei den modernen katholischen Exorzismen spielt Maria eine wichtige Rolle. Schon Pius IX. hat einen kurzen Exorzismus herausgegeben, in dem der Dämon wie folgt angesprochen wird:

Dir gebietet die glorreiche Jungfrau und Gottesmutter Maria, die vom ersten Augenblick ihrer unbefleckten Empfängnis an dein stolzes Haupt durch ihre Demut zertreten hat.
(Exz 93)

Dementsprechend heißt es dann auch in den exorzistischen Befehlen bei Anneliese Michel:

Weiche, weiche, weiche der seligen Jungfrau!
(FG 163)

oder:

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, im Namen der allerseligsten Jungfrau ...
(FG 170)

Der Exorzismus von Earling begann mit den Worten:

Im Namen Jesu und seiner hochgebenedeiten Mutter Maria, der Makellosen und Schlangenkopfzertreterin ...
(S 63)

Hier wird Jesus nur kurz erwähnt; jedes schmückende Beiwort fehlt. Der Name seiner Mutter ist dagegen von mehreren ausschmückenden Worten umgeben. Nun beruht die Erklärung, daß Maria die Schlangenkopfzertreterin sei, jedoch auf einer falschen Vulgatavariante zu 1.Mose 3,15. Es ist also zu fragen, ob sich aus einer falschen Überlieferung eine tatsächliche Vollmacht ergeben kann? Das ist sicher nicht der Fall. Der Exorzismus im Namen der Gottesmutter Maria ist also höchst problematisch.

Nach Petersdorff wird in dem erwähnten Buch „Maria im Kampf mit dem Drachen“ die Klage eines Dämons überliefert:

Sie (Maria) ist noch schrecklicher als ihr Sohn.
(P II,359)

Petersdorff hält das zwar für eine Übertreibung, scheint diese Aussage in abgeschwächter Form jedoch nicht abzulehnen. In die gleiche Richtung bewegt sich auch Rodewyk. Er schreibt:

Die Gestalt Christi ragt auf dem Hintergrund einer Besessenheit gewaltig groß auf.  ... Trotzdem tritt er auffallend stark zurück.  ... An seiner Stelle tritt desto deutlicher seine heilige Mutter, Maria, hervor. Man gewinnt den Eindruck, daß das Austreiben der Teufel in der Hauptsache ihr überlassen ist: „Der Nazarener will die Muttergottes dadurch ehren, daß er es ihr überläßt, uns auszutreiben.“
(R1 118f)

Rodewyks Behauptung, daß die Gestalt Jesu Christi beim Exorzismus zurücktrete und statt dessen seine Mutter hervortrete, wird also gestützt durch die Aussage eines Dämons:

„Der Nazarener will die Muttergottes dadurch ehren, daß er es ihr überläßt, uns auszutreiben.“

Ist es nicht erbärmlich, wenn ein christlicher Theologe sich von den bösen Geistern belehren läßt, anstatt biblische Theologie zu betreiben? Ergänzungsweise kann man sicher auch die Tradition der alten Kirche heranziehen, aber doch niemals die Aussagen der Dämonen!

Ich jedenfalls bin äußerst skeptisch - trotz aller Hochachtung und Verehrung, die auch wir evangelischen Christen der heiligen Gottesmutter schulden. In den mittelalterlichen Exorzismen, die Franz überliefert, ist von keinerlei Vollmacht der Maria die Rede. Offensichtlich haben wir es hier mit einer kirchlichen Entwicklung zu tun, nämlich mit einer Auswirkung der falschen Vulgatafassung von 1.Mose 3,15 und des fragwürdigen Immaculata-Dogmas auf den bisher anders überlieferten Exorzismus. Erstaunlicherweise hat sich Pius XII., der ja wirklich ein großer Verehrer der Gottesmutter war, dieser Entwicklung nicht angepaßt. In seinem Exorzismusformular findet sich kein Hinweis auf Maria, außer daß es an einer Stelle heißt, es sei „nützlich“, neben dem Vaterunser und dem Glaubensbekenntnis auch immer wieder das Ave Maria andächtig zu beten13.

Bei einem Exorzismus die heilige Gottesmutter um Fürbitte anzurufen, kann sicher nicht schaden. Eine ganz andere Frage ist es aber, ob man sich auf ihre Autorität gegenüber den Dämonen beruft. Vielleicht ist dieses illegitime Geltendmachen  einer  marianischen  Autorität  -  neben  anderen  Gründen  -  eine  der Ursachen für das Scheitern des Anneliese-Michel-Exorzismus und für die Langwierigkeit mancher anderer Exorzismen.

 

 

3. Die Handauflegung beim Exorzismus

Im kurzen Formular der römischen Exorzistenweihe ist dreimal von der Handauflegung die Rede. Zunächst heißt es in der Belehrung des Bischofs:

Ihr empfanget also die Gewalt, den Besessenen die Hand aufzulegen, und durch die Auflegung eurer Hände, durch die Gnade des Heiligen Geistes und die Worte der Beschwörung werden die unreinen Geister aus den besessenen Leibern ausgetrieben.
(W 21f)

Demnach ist die Handauflegung beim Exorzismus besonders wichtig. Sie wird sogar noch vor der Gnade des Heiligen Geistes und vor den Worten der Beschwörung erwähnt.

Während der Bischof den Weihekandidaten das Buch mit dem Exorzismus zur Berührung hinhält, heißt es dann:

Nehmet es hin und präget es dem Gedächtnis ein, und habet die Gewalt, die Hände den Besessenen aufzulegen ...
(W 22)

Hier wird übrigens vorausgesetzt, daß der Exorzist die Beschwörungsworte auswendig kann. Nach der Belehrung durch den Bischof und der Berührung des Buches folgt dann eine längere gebetsähnliche Aufforderung der Gemeinde zum Mitbeten und das eigentliche Weihegebet. In diesem Gebet heißt es:

Heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, würdige Dich, einzusegnen : diese Deine Diener zum Amte der Exorzisten, damit sie durch Auflegung der Hände und durch das Wort des Mundes Gewalt und Herrschaft haben, die unreinen Geister zu bändigen ...
(W 23)

Auch hier wird noch einmal die wichtige Funktion der Handauflegung betont. Erstaunlicherweise kommt sie aber in der Literatur zum Exorzismus nur am Rande vor. Obwohl die Handauflegung auch im römischen Rituale vor dem ersten großen exorzistischen Befehl Vorschrift ist (Exz 38), hat man den Eindruck, daß manche Exorzisten diesen Ritus gar nicht oder nur selten vollziehen. In Rodewyks vielen detaillierten Anweisungen wird er nirgendwo erwähnt. Auch in den anderen katholischen Büchern ist mit einer Ausnahme von der Handauflegung keine Rede. Nur bei Amorth erfährt man ganz nebenbei, daß er selbst wie auch sein exorzistischer Lehrmeister die Handauflegung praktizieren (A 63+95).

Der evangelische Exorzist van Dam schreibt:

Wir haben die Angewohnheit, eine Hand auf den Kopf oder die Schulter des Hilfesuchenden zu legen. Einige warnen davor und meinen, der Feind könne über die Hand auf uns überspringen. Doch das wäre nur möglich, wenn in unserer Rüstung eine Lücke vorhanden wäre.
(Dam 89)

Zum Auflegen der Hand auf die Schulter genügt die Feststellung, daß es sich hierbei um einen pfingstlerischen Brauch handelt, der in der Kirche nie üblich war - jedenfalls nicht beim Exorzismus. Interessant ist jedoch, daß van Dam auf die Furcht mancher protestantischer Dämonenaustreiber vor der Handauflegung hinweist. Möglicherweise haben auch katholische Exorzisten eine geheime Angst vor der Handauflegung. Das würde jedoch bedeuten, daß sie der ihnen bei der Weihe übertragenen Vollmacht nicht vertrauen. Dagegen ist die Scheu vor der Handauflegung bei einem ungeweihten evangelischen Exorzisten vielleicht nicht ganz unberechtigt. So kann man es vielleicht verstehen, wenn auch Koch sich hier sehr vorsichtig ausdrückt:

In den Evangelien fällt auf, daß Jesus bei Besessenen nur gebietet (Mt. 17,18;  Mk. 5,8)  während  er  physisch  Kranke  auch  anrührt  (Mt. 8,15; 9,29; Mk. 7,33; 8,23). Dieses Verhalten kann für den seelsorgerlichen Dienst an okkult Behafteten richtungweisend sein. Hier gilt also ganz besonders der Rat des Paulus, niemand zu früh die Hände aufzulegen. Und dennoch darf daraus kein neues Gesetz gemacht werden. Wenn die Not des schwer angefochtenen Bruders ans Herz geht und die innere Freiheit geschenkt wird, dann kann ein solcher Dienst erfolgen.
(K 287)

Auch diese Äußerung muß kritisch gelesen werden. Sie enthält zunächst zwei exegetische Fehler. Einmal hat Koch jene Stelle im Lukasevangelium übersehen, wo Jesus doch einer besessenen Frau die Hand auflegt, und zwar in einer Synagoge am Sabbat:

Und  siehe,  eine  Frau  war  da,  die  hatte  einen  Geist  der  Krankheit achtzehn Jahre, und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Da aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Weib, sei los von deiner Krankheit! Und legte die Hände auf sie ...
(Lk 13,11-13)

Daß es sich an dieser Stelle tatsächlich um einen dämonischen Geist der Krankheit und nicht bloß um eine seelisch bedingte Krankheit handelt, beweisen die Worte, mit denen Jesus in dem folgenden Streitgespräch die Angelegenheit deutet:

Ihr Heuchler! Löst nicht ein jeglicher unter euch seinen Ochsen oder Esel von der Krippe am Sabbat und führt ihn zur Tränke? Sollte dann diese, die doch Abrahams Tochter ist, welche der Satan gebunden hatte nun wohl achtzehn Jahre, nicht von diesem Band gelöst werden am Sabbattage?
(Lk 13,15+16)

Die Erklärung Jesu ist eindeutig: Die bedauernswerte Frau war nicht durch eigene seelische Fehlhaltung erkrankt, sondern vom Satan gebunden wie ein Tier. Es handelte sich also um einen satanischen Geist der Krankheit; es handelte sich um eine krankmachende Besessenheit. Der Teufel kann ja nicht nur von außerhalb krank machen, wie das im Hiobbuch berichtet wird, sondern selbstverständlich auch, wenn er sich innerhalb eines Körpers befindet14.

Jesus hat also einen krankmachenden Dämon aus der verkrümmten Frau vertrieben. Er hat das getan durch sein Wort und durch die begleitende Handauflegung. Wir haben hier also das biblische Vorbild für die Handauflegung beim Exorzismus.

Wenn außerdem Paulus Timotheus vor voreiliger Handauflegung warnt, so geschieht das im Zusammenhang mit der Ordination. Auf den Exorzismus ist diese Warnung nicht übertragbar. Während ein zu Unrecht Ordinierter großen Schaden anrichten kann, ist bei der exorzistischen Handauflegung für niemanden ein Problem zu befürchten, es sei denn einzig, daß der Exorzist keine ihm übertragene Vollmacht hat und sich selber im Stand unvergebener Sünde befindet. Dann kann ihm die Handauflegung vielleicht selber schaden, aber niemandem sonst.

Im übrigen fällt bei Koch das starke subjektive Moment auf: „Wenn die Not ... ans Herz geht, und die innere Freiheit geschenkt wird“. Dagegen ist zu sagen, daß der Exorzismus eine Aufgabe der Kirche ist; von Jesus selber befohlen  (Mt 10,8 / vgl Mk 16,17). Die Beschwörung der Dämonen sollte sich möglichst nach dem Vorbild Jesu richten; darüber hinaus darf der Exorzist auch aus den Erfahrungen der Kirche lernen. Jeder Schritt muß mit klarem theologischen Verstand vollzogen werden. Für subjektive Gefühle ist hier ebenso wenig Raum wie für Belehrungen aus dem Mund des Teufels.

In der „Katholischen Liturgik“ von L. Eisenhofer steht15:

Von den äußeren Riten des Exorzismus sind die Kreuzzeichnung und die Handauflegung altchristlichen Ursprungs, während die reichliche Verwendung von Weihwasser und die Auflegung der Stola erst im Mittelalter nachgewiesen werden können.16

Dementsprechend sah auch das „Rituale Romanum“ bis zur Liturgiereform Johannes des XXIII. im Jahr 1960 vor, daß auch zum Taufexorzismus eine Handauflegung zu erfolgen hatte17.

Ich ziehe aus alledem den Schluß: Wenn irgendwann einmal auf mich das Problem eines Exorzismus zukommen sollte, würde ich das ausgezeichnete Exorzismusformular des römischen Rituale verwenden und als äußere Riten vor allem die Handauflegung, das Kreuzschlagen und das Anblasen vollziehen18. Allerdings sollte man auch jetzt schon den Taufexorzismus unter Handauflegung vornehmen.

 

 

Anmerkungen



1.) 12. Kat Hom 22.

2.) Traktat 16,3. Vgl auch Hilarius von Poitiers „Liber contra Constantinum imperatorem“ 8.

3.) Das nicht ganz korrekte Deutsch in diesem Zitat geht wohl zu Lasten der Übersetzerin.

4.) Vgl Hippolyt TA 21 / Cyrill von Jerusalem Kat 20,3.

5.) Adv haer I,13,4.

6.) Apol 23,16.

7.) TA 20 / vgl auch die „Kanones des Hippolyt“ 19,6.

8.) Bei Euseb hist eccl VII,10,4.

9.) Wenn es in 1.Sam 16,23 heißt, daß der böse Geist über Saul kam, so ist damit keine bloße Umsessenheit gemeint. Wenn es in der Bibel ebenfalls heißt, daß der Heilige Geist über David kam (1.Sam 16,13) oder auf dem Messias ruhen werde (Jes 11,2) oder auf allen Christen ruht (1.Pt 4,14), so ist damit zweifellos ein Innewohnen des göttlichen Geistes gemeint, keine bloße Hilfe von außen. (Vgl dazu auch „Segen, Amt und Abendmahl“ Seite 44ff.) Das gleiche gilt entsprechend auch vom bösen Geist.

10.) Über die Schauspiele 26.

11.) So bezeichnet beispielsweise Johannes Mandakuni in seiner „Rede über die sündhaften und dämonischen Schauspiele“ die Theater als „die Wohnung der bösen Geister“ (Kapitel 9) und er schreibt:

Denn hier werden die Jungfrauen zur Unkeuschheit angereizt, die Ehegatten zu Ehebruch; dort lernen Weiber den Haß gegen die Männer und die Männer Verachtung gegen die Frauen ...
Ich bin nicht imstande, alle die verschiedenen Arten des Bösen aufzuzählen, die im Theater gelehrt werden: Hochmut, Gotteslästerung, Betrug, Tücke ...
(Kapitel 5)

12.) FG 215. In diesem Zusammenhang weist Alt in einer Anmerkung hin auf ein Buch von Irmgard Hausmann „Marie des Vallées, Sühnopfer für die Zeit der großen Bekehrung“ (Gröbenzell 1974). Er hat offenbar ein sehr positives Verhältnis zum Gedanken der Sühnebesessenheit.

13.) Exz 51. Die Empfehlung, beim Exorzismus auch das Ave Maria zu beten, ist nicht erst von Pius XII. in den Exorzismus eingefügt worden. Sie findet sich schon im vorpianischen Rituale.

14.) Vgl hierzu auch Lk 8,36!

15.) L. Eisenhofer „Katholische Liturgik“ (Freiburg i.B. 1924) Seite 280.

16.) Belegstellen für die Handauflegung beim Exorzismus in der alten Kirche: Tertullian Apol 23,16 / Hippolyt TA 20 / Sulpicius Severus „Vita Martini“ 17. Belegstellen zum Kreuzschlagen finden sich in: 5. Kanon der sogannten „Kanones des Hippolyt“ / Lactanz „Divinae institutiones“ IV,27 / Origenes 6. Homilie zu Exodus 8.

17.) „Rituale Romanum“ (Rom 1925 / Nachdruck 1944) Nr. 27.

18.) Vielleicht sollte man außerdem auch eine Salbung mit Katechumenenöl in Erwägung ziehen. Dabei kann man sich nach dem Vorbild des Serapion von Thmuis richten, der in seinem Euchologium zwei Ölweihgebete wiedergibt, in denen unter anderem auch um die Abwehr der Dämonen durch dieses Öl gebeten wird.